Es dauert nicht mehr lange, bis die Mieter in der Knud-Rasmussen-Straße in Lübeck Strom vom eigenen Dach beziehen können. Auf jeweils zwei Gebäuden mit Baujahr 1954 lässt die Lübecker Bauverein eG in diesem und im nächsten Jahr Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen) installieren, um den auf diese Weise erzeugten Strom dann als sogenannten Mieterstrom an ihre dort wohnenden Mitglieder zu vermarkten. Dabei arbeitet die Wohnungsgenossenschaft mit der Einhundert Energie GmbH zusammen, die in einem Contracting-Modell Finanzierung, Installation und Betrieb der PV-Module sowie Stromlieferung übernimmt. Für Christine Koretzky, die Vorständin der Lübecker Bauverein eG, ist das „ein wichtiger Baustein unserer Klimastrategie“, der außerdem Vorteile für die Mieter bringt.
Solche Modelle sähen Vertreter der Wohnungswirtschaft und der Energiebranche gern öfter. Doch seit Langem beklagen sie unzureichende Rahmenbedingungen für das Mieterstromkonzept. Dieses brauche eine radikale Vereinfachung, forderte beispielsweise Axel Gedaschko, der Präsident des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V., im Jahr 2022. Vor allem dürften Wohnungsunternehmen nicht automatisch zu Energieerzeugern mutieren, wenn sie Mieterstromprojekte umsetzen.
Solarpaket 1 bringt Verbesserungen
Es scheint, dass die Forderungen nicht ungehört geblieben sind – jedenfalls brachte die Bundesregierung in diesem Jahr gleich mehrere Vorhaben auf den Weg mit dem Ziel, Mieterstrommodellen den Weg weiter zu ebnen. So beschloss das Kabinett im August das Solarpaket 1, das in der breiten Öffentlichkeit vor allem deshalb bekannt wurde, weil es die Installation von kleinen Balkon-Solaranlagen erleichtert. Für die Wohnungswirtschaft noch wichtiger sind jedoch die Verbesserungen in Bezug auf den Mieterstrom. Vorgesehen ist insbesondere die Einführung eines neuen Modells, nämlich der sogenannten Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung. Dabei, so die Erklärung des GdW, liefert der Vermieter zwar Strom vom Gebäudedach an seine Mieter (Gebäudestromnutzungsvertrag), wird damit aber nicht zum Energieversorger. Damit ist er auch nicht verpflichtet, eine Vollversorgung mit Strom sicherzustellen. Für diejenigen Strommengen, die nicht vom Dachstrom abgedeckt werden, schließen die Mieter einen Vertrag mit einem Stromversorger ab.
Vermieter wird nicht automatisch zum Energieversorger
„Der Bund nimmt mit dem Solarpaket jahrelange Hinweise der Wohnungswirtschaft zu den Hemmnissen beim PV-Ausbau auf“, erklärt der GdW. Für die Wohnungswirtschaft sind demnach jetzt wesentliche Verbesserungen in Bezug auf PV-Anlagen und Mieterstrom vorgesehen. So dürfen Mieterstromanlagen zukünftig nicht nur auf dem Wohngebäude, sondern auch auf „einer Nebenanlage dieses Gebäudes“ installiert werden. Zudem wird die Erstvertragszeit von Mieterstromverträgen von einem auf zwei Jahre verlängert.
Höhere Freigrenzen vor der Gewerbesteuerpflicht
Das sind aber nicht die einzigen Änderungen. Das Wachstumschancengesetz, dessen Entwurf die Bundesregierung bei ihrer Klausur auf Schloss Meseberg Ende August verabschiedet hat, sieht auch steuerliche Verbesserungen vor. Steuerbefreite Wohnungsgenossenschaften sollen demnach zukünftig dreißig Prozent ihrer Einnahmen aus dem Verkauf von Mieterstrom erzielen dürfen, ohne gewerbesteuerpflichtig zu werden. Bisher waren es nur zwanzig Prozent. Für steuerpflichtige Wohnungsunternehmen soll die Grenze von zehn auf zwanzig Prozent angehoben werden. Definitiv beschlossen ist das allerdings noch nicht: Der Bundestag hat dem Wachstumschancengesetz wie auch den Neuerungen im Solarpaket bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht zugestimmt.
Virtueller Summenzähler: Wird es jetzt billiger?
Bereits endgültig verabschiedet ist hingegen das Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende, das nach Ansicht von Experten dem Mieterstromansatz ebenfalls einen Schub bringen dürfte. Laut dem Gesetz ist jetzt nämlich ein digitales Messkonzept zulässig, das als virtueller Summenzähler bezeichnet wird. Dabei erfassen intelligente Messsysteme (Smart Meter) die Photovoltaik-Stromerzeugung und den Stromverbrauch der Nutzer innerhalb einer Liegenschaft digital.
Da Stromerzeugung und -verbrauch nur noch virtuell gemessen werden müssten, entfielen jetzt Investitionen in teure Messtechnik und Kosten für Handwerker, heißt es bei der Einhundert Energie GmbH. Deshalb könnten mehr Mieterstromprojekte wirtschaftlich umgesetzt werden. Einhundert rechnet damit, dass die Zahl der für Mieterstromvorhaben geeigneten Gebäude um nicht weniger als fünfzig Prozent steigt.
Knackpunkte der Umsetzung
Aufmerksam beobachtet werden die neuen Entwicklungen bei der Isarwatt eG in München. Die 2017 von sechs Wohnungsbaugenossenschaften gegründete Dienstleistungsgenossenschaft hat als zentrales Geschäftsfeld die Entwicklung und Umsetzung von Mieterstrommodellen für die Wohnungswirtschaft. Dafür ist die Isarwatt eG in diesem Sommer mit dem DW-Zukunftspreis der Immobilienwirtschaft ausgezeichnet worden. Die Rahmenbedingungen für Mieterstrom seien schwierig, stellte Isarwatt-Vorstand Ulrich Brüggerhoff bei dieser Gelegenheit fest und sprach von einem Weg, der „zwar begehbar, aber energiewirtschaftlich und steuerrechtlich nach wie vor komplex ist“.
Eigenstrom und Netzstrom: Wie funktioniert die Abrechnung?
Beim Solarpaket 1 sieht die Münchner Genossenschaft durchaus positive Aspekte. Allerdings spricht Geschäftsleiterin Claudia Maier mit Blick auf das vorgesehene neue Modell der Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung auch offene Punkte an. Wenn Mieter ihren alten Stromvertrag behalten, aber gleichzeitig Strom vom eigenen Hausdach beziehen, stellt sich für sie die ganz praktische Frage, wie die Abrechnung erfolgen soll. „Wie kann eine einfache, schnelle Umsetzung gelingen?“, fragt Maier. „Scheitern wir vielleicht erneut an der Umsetzungsfalle und daran, dass die Abrechnungssysteme der involvierten Akteure für die neue Regelung nicht vorbereitet sind?“ Von entscheidender Bedeutung für eine erfolgreiche Umsetzung, betont Maier, werde die Digitalisierung sein.
„Es bleibt ein Geflecht von Pflichten und Akteuren“
Nicht gerade enthusiastisch äußert sich auch die Howoge GmbH, die ein ehrgeiziges Photovoltaik-Programm verfolgt und auf allen geeigneten Dächern PV-Anlagen installieren will. Das Solarpaket sei „komplex und vielschichtig“, sagt Matthias Schmitz-Peiffer, Geschäftsführer der Howoge-Tochtergesellschaft Howoge Wärme GmbH, die bei den unternehmenseigenen Mieterstromprojekten als Contractor fungiert. „Viele Marktakteure – zum Beispiel Netzbetreiber und Messstellenbetreiber – werden mit dem Solarpaket angesprochen und in Verpflichtung gesetzt“, erklärt Schmitz-Peiffer. Es werde sich zeigen, wie diese Akteure die Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung umsetzen. „Erst dann“, so der Howoge-Experte, „können wir bewerten und prüfen, wie und in welcher Form wir die Inhalte des Solarpaketes in die Praxis übertragen.“
Bestandsmieter müssen mitmachen
Das Beispiel des landeseigenen Berliner Wohnungsunternehmens Howoge weist zudem auf einen wunden Punkt hin, der unabhängig von den gesetzlichen Rahmenbedingungen zu beachten ist: Damit Mieterstromprojekte wirtschaftlich erfolgreich sind, müssen die Mieter mitspielen. Denn bekanntlich können Mieter nicht verpflichtet werden, den Strom vom eigenen Dach zu beziehen, da sie ihren Stromversorger frei wählen können. Damit sich Mieterstromprojekte jedoch rechnen, muss ein Großteil der Bewohner vor Ort von diesem Angebot Gebrauch machen.
Bei Neubauten ist das selten das Problem. Die Abnahmequote des Howoge-Grünstroms im Neubau beziffert Howoge-Geschäftsführer Ulrich Schiller auf rund achtzig Prozent – was sich dadurch erklären lässt, dass Mieter bei einem Umzug offen sind für einen neuen Stromvertrag. Anders verhält es sich bei Mietern im Bestand. Sie seien bereits an einen Stromanbieter gebunden, erklärt dazu Schiller. Die Abnahmequote beträgt laut Howoge hier lediglich zehn bis zwanzig Prozent. „Vor diesem Hintergrund“, erklärt Matthias Schmitz-Peiffer von der Howoge Wärme GmbH, „speisen wir den Strom in Liegenschaften mit einer sehr geringen Nachfrage in das öffentliche Netz ein.“ In Beständen mit höherer Nachfrage werde er hingegen als Mieterstrom vermarktet.
In einem interessanten Kontrast zu dieser Erfahrung stehen die Ergebnisse einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Civey in diesem Jahr im Auftrag der Energiegenossenschaft Green Planet Energy durchgeführt hat. Demnach geben fast zwei Drittel der befragten Mieter an, sich eine direkte Nutzung des Solarstroms von ihrem Wohnhausdach vorstellen zu können. Ein Drittel erklärt sich sogar bereit, für eine Photovoltaikanlage auf dem Dach selbst Geld zu investieren.
Vonovia setzt PV-Ausbau fort
Auch der Wohnungsriese Vonovia SE setzt weiter auf Mieterstrom. 2021 kündigte der Dax-Konzern an, bis zum Jahr 2030 rund 17.000 Dächer mit Photovoltaikmodulen auszurüsten. Bis Ende 2023 wird dies laut Vonovia-Pressesprecherin Silke Hoock bei etwa 3.000 Dächern erfolgt sein, wobei Mieterstrom fast immer Teil des Vermarktungskonzepts ist. Die Änderungen auf Gesetzesebene beurteilt Europas größter Wohnungskonzern positiv. „Das Solarpaket 1 beseitigt viele Hemmnisse beim PV-Ausbau“, sagt Hoock. „Die Verbesserungen für Mieterstrom und die Vereinfachungen für Balkonkraftwerke sind der richtige Schritt. Somit wird Klimaschutz für jedermann bezahlbar und unbürokratisch umsetzbar.“
Christian Hunziker
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