Stadtentwicklung als bürgerschaftliche Aufgabe

„Hamburg braucht auch einen Leuchtturm für die Innenstadt“

Interview mit Prof. Elke Pahl-Weber über erfolgreiche Konzepte zur Ankurbelung der Hamburger Innenstadt und das „Fenster der Gelegenheiten“.

1105
Die Hamburger Innenstadt aus luftiger Höhe. Innovationen und ein neues innerstädtisches Highlight sind zur Weiterentwicklung nötig. Bild: BSW/Komorek
Die Hamburger Innenstadt aus luftiger Höhe. Innovationen und ein neues innerstädtisches Highlight sind zur Weiterentwicklung nötig. Bild: BSW/Komorek

Das frühere Karstadt Sport Kaufhaus steht unter dem Namen „Jupiter“ noch bis Ende des Jahres Hamburger Kreativunternehmern zur Verfügung. Dort stehen auch seit wenigen Wochen interimsweise der Schreibtisch der neuen Hamburger Innenstadtkoordinatorin Elke Pahl-Weber und ein großer Besprechungstisch für alle Interessierten.

Pahl-Weber ist Stadtplanerin und Universitätsprofessorin, war Leiterin des Fachgebiets für Bestandsentwicklung und Erneuerung von Siedlungseinheiten am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin. Die gebürtige Hamburgerin ist national und international in vielfältigsten Projekten zur Stadt- und Raumentwicklungen tätig. Seit rund zehn Monaten gilt das Centrum der Hansemetropole an der Elbe ihre höchste Aufmerksamkeit.

Stetiger Dialog aller Beteiligten ist Grundvoraussetzung für das Gelingen

In herausfordernden Zeiten mit extremem Transformationsdruck gilt es laut Elke Pahl-Weber, die Hamburger Innenstadt resilient und krisenfest für die Zukunft aufzustellen. Kommunikation und stetiger Dialog aller Beteiligten sei eine Grundvoraussetzung für das Gelingen – das erfordere Zeit und Verstetigung.

Im Juni wurden drei Fachrunden durchgeführt zu den Themen Kultur, Bildung und urbane Produktion. Es wurden Erkenntnisse zur räumlichen Lage in der Innenstadt erarbeitet, Projektideen diskutiert und Anregungen für ein Leitbild Innenstadt gegeben, so Pahl-Weber. Zwei weitere Fachrunden werden nach der Sommerpause folgen – dann zu Handel und zu Wohnen in Hamburgs Innenstadt.

Interview:

Was macht eine Innenstadtkoordinatorin?

Elke Pahl-Weber: Wie der Name schon sagt, gilt es die unterschiedlichen Interessengruppen in der Stadt zu koordinieren, Inhalte und Meinungen zu bündeln, und im ständigen Austausch ins Tragen zu bringen. Eine Entwicklung der Innenstadt kann nur auf Basis eines vertrauensvollen und konstruktiven Zusammenwirkens öffentlicher und privater Akteure gelingen. Mein Ziel ist die Initiierung und Koordinierung eines ganzheitlichen und innovativen Dialogs aller Akteure, um eine zielgerichtete Gestaltung der Innenstadt zu ermöglichen. Hilfreich sind hier räumlich „kurze Wege“ zu Verantwortlichen wie zur Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen mit Senatorin Karen Pein oder dem Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher. Ziel ist, die Attraktivität der Hamburger City als zentraler Ort des gesellschaftlichen Lebens und des Einzelhandels auch in Zukunft zu erhalten und auszubauen.

Wie ist ihr Eindruck von der Innenstadt als Hamburger Visitenkarte?

Toll und herausfordernd schon vor Corona, auch aufgrund des geänderten Kaufverhaltens beispielsweise durch E-Commerce. Die Zeit klassischer Kaufhaustempel ist vorbei, zugleich finden einmalige Potenziale für gemischte Nutzungen in der Hansestadt noch zu wenig Beachtung. Wasser und Fleete inmitten der City sind etwas Besonderes, das Kontorhausviertel mit seinen beeindruckenden Backstein-Bürohäusern als ein Beispiel bleibt weit unter seinen Möglichkeiten und muss neu in Wert gesetzt werden. Kunst und Kultur sind prägend für die Innenstadt und Anziehungspunkt für viele Innenstadtbesucherinnen und -besucher, das dadurch gebildete Netz kann noch viel stärker wirken. Die Herausforderung ist nun, Bewährtes zu erhalten und dabei rasch an die neuen Anforderungen anzupassen.

Können Sie konkrete Beispiele nennen?

Die Bewahrung der besonderen Gebäudestruktur der Hamburger Altstadt in den vergangenen Jahrzehnten ist gut gelungen, zur nachhaltigen Bestandsentwicklung gehört in Zukunft auch, das Wohnen wieder vermehrt in die City zu bringen – private Eigentümer sind da aktiv und die Stadt unterstützt mit ihrem Programm zur Wohnungsbauförderung.

Ein weiteres Beispiel ist der „Gröninger Hof“, wo urbane Lebensqualität durch die Umwandlung eines Park- zum Wohn- und Arbeitshaus in der Altstadt realisiert werden soll. Bessere Aufenthaltsqualitäten, auch mal ohne Konsumzwang, verspricht auch die temporäre Umgestaltung des Gertrudenkirchhofs bis ins nächste Jahr hinein, mit dem Ziel einer weiteren Verbesserung von Kleinklima. Es ist ein Trittstein für eine grüne Achse von der Mönckebergstraße zur Binnenalster.

Es geht um mehr Aufenthaltsqualität auch jenseits der Ladenöffnungszeiten. Wie wollen Sie das erreichen und welche Gelder stehen zur Verfügung?

Hamburg hat zum Glück zahlreiche Initiativen, Interessenverbände, kulturelle Einrichtungen und nicht zuletzt eine interessierte Bürgerschaft, die sich engagieren wollen für das Wohl ihrer Stadt. Kaufleute, Immobilienbesitzer sowie Politik und Verwaltung setzen sich für ihre City ein. Vor diesem Hintergrund gilt es, die „produktive Stadt“ stärker in den Fokus zu rücken: Mit der Ansiedelung von Handwerk und Manufakturen im Bereich Lebensmittel könnte ein neuer Treffpunkt geschaffen werden. Zur Belebung muss auch wie genannt das Thema Wohnen weiter in die Innenstädte rücken. Hier sind derzeit schon einige Vorhaben in der Umsetzung. Neben neuen Wohnungen zum Beispiel durch Gebäudeaufstockungen im Rahmen der Bestandsentwicklung sollten auch Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Schulen und Spiel- und Freizeitflächen auf eine wachsende Wohnbevölkerung ausgelegt werden. Das Pilotprojekt „Verborgene Potenziale“ im Herzen der Stadt will neben der Erhaltung der Handelsfunktionen mehr Raum für Wohnen, Gastronomie und Kultur sowie eine produktive City schaffen.

… und welche finanziellen Mittel stehen zur Verfügung?

Hamburg erhält rund 4,8 Millionen Euro aus dem Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ und steuert selbst weitere rund 1,7 Millionen Euro bei. Damit stehen insgesamt 6,5 Millionen Euro alleine für das Programm „Verborgene Potenziale“ zur Verfügung. Rund 50 Millionen Euro gehen zudem in die bauliche Aufwertung der Innenstadt im Rahmen der „Handlungskonzept Innenstadt“-Projekte.

Mobilität neu denken wurde am Jungfernstieg ja schon praktiziert, wie geht es in diesem Sinne weiter?

Autoarm, nicht autofrei ist das geeignete Mittel zur Steigerung der innerstädtischen Attraktivität. Um mehr Bürger zu überzeugen, dass Auto öfter stehen zu lassen, muss der ÖPNV und fußläufige Erreichbarkeit der Einzelhändler ebenso gewährleistet sein wie Abstellmöglichkeiten für PKW. Der Jungfernstieg ist die gute Stube von Hamburgs Innenstadt. Ab Sommer 2023 wird er umgebaut und baulich stark aufgewertet. Die Maßnahmen werden die Lärm- und Abgasbelastungen reduzieren, zur Verkehrsberuhigung beitragen und die Sicherheit für Fußgängerinnen und Fußgänger erhöhen. Davon sollen auch die Ladengeschäfte am Jungfernstieg profitieren.

Wichtig ist darüber hinaus die Vernetzung der Altstadt mit der HafenCity. Mit einfachen Mitteln wie Farbe lassen sich schon gute Effekte erzielen, um Verkehr und Fußgänger zu versöhnen. Skywalks zwischen der Innenstadt und der Hafencity könnten für ein attraktives Stadtbild und eine Erleichterung der Mobilität sorgen.

Mit Hilfe der HVV-Switch App können außerdem viele Mobilitätsanbieter angesteuert werden, von Share Now, Carsharing, WeShare oder Tier und Voi.

Was läuft denn besonders gut und wo braucht es einen „neuen Anstrich“ in der Hamburger City?

Da lässt sich etliches Gutes aufzählen. Schöne Fußgängerzonen, die Business Improvement Districts (BID), das Rathausquartier oder die Aufwertung des Burchardplatzes und des Hopfenmarktes zum Beispiel. Auch das von den Kirchen durchgeführte „Auf die Plätze“-Angebot im Sommer steigert die Aufenthaltsqualität.

Mit dem Programm „FreiFläche: Raum für kreative Zwischennutzung“ hat der Hamburger Senat einen Fonds zur Vermeidung von Geschäftsleerständen im Einzelhandel bereitgestellt, um kulturelle und kreative Zwischennutzungen in der Innenstadt und in den bezirklichen Zentren zu ermöglichen. Darüber hinaus aber braucht es einen neuen „Leuchtturm“, eine Attraktion in der Innenstadt, die als Besuchermagnet wirkt. Davon würde auch der Handel profitieren. Nach der Wahl der HafenCity als Standort für das geplante Naturkundemuseum könnte die nächste große Entscheidung zugunsten der Altstadt fallen.

Was sind die nächsten Schritte, um 2023 ein Stück weiter zu kommen?

Grundsätzlich wollen wir einen gemeinschaftlichen Aufbruch, der im Rahmen des runden Tisches mit entsprechenden Leitlinien initiiert werden soll. Zahlreiche Fachgespräche sollen helfen, die hohen Potenziale zur Weiterentwicklung des Standortes Innenstadt zu heben. Dafür werden erste Prototypen erstellt, die verdeutlichen, was gestalterisch möglich ist. Für Ende 2023 sind sogenannte ‚Kaufhausgespräche‘ geplant, wo alle Beteiligten, Bürger und Gäste aus nah und fern mitdiskutieren können und sollen. In diesem Rahmen werden Planungsziele mit Hilfe von 3D-Modellen präsentiert. Im Anschluss soll eine Serie an Ausschreibungen für weitere Pilotprojekte erfolgen.

„Hamburg hat zahlreiche Initiativen, Verbände, kulturelle Einrichtungen und eine interessierte Bürgerschaft, die sich für das Wohl ihrer Stadt engagieren."

Prof. Elke Pahl-Weber, Stadtplanerin

Private Initiativen zur Stadtteilentwicklung

Als Vorreiter in Deutschland hatte die Freie und Hansestadt Hamburg das Modell der Business Improvement Districts (BID) bereits am 1. Januar 2005 mit dem Gesetz zur „Stärkung der Einzelhandels- und Dienstleistungszentren“ (GSED) eingeführt und am 8. März 2022 durch das Gesetz zur „Stärkung von Standorten durch private Initiativen“ (GSPI) ersetzt.

BIDs, die in Hamburg Innovationsbereiche genannt werden, sind klar begrenzte Geschäftsgebiete (Business Districts), in denen auf Veranlassung der Betroffenen (z. B. Eigentümerschaft und Gewerbetreibenden) in einem festgelegten Zeitraum (maximal 8 Jahre) in Eigenorganisation Maßnahmen zur Quartiersaufwertung (Improvement) durchgeführt werden.

Ein Ziel dabei ist es, durch die Schaffung eines Innovationsbereichs die Attraktivität eines Einzelhandels-, Dienstleistungs- und Gewerbezentrums für Kunden und Besucher zu erhöhen.

Finanziert werden BIDs durch eine kommunale Abgabe, die alle im Gebiet ansässigen Grundeigentümer zu leisten haben.

Hans-Jörg Werth

Hans-Jörg Werth
freier Journalist
AnhangGröße
Beitrag als PDF herunterladen414.25 KB

◂ Heft-Navigation ▸

Artikel „Hamburg braucht auch einen Leuchtturm für die Innenstadt“
Seite 28 bis 30
3.4.2024
Seid Unternehmer!
Massiver Wohnungsmangel in allen Ballungsräumen einerseits, andererseits totaler Einbruch der Neubautätigkeit abseits des öffentlich geförderten Wohnungsbaus. Was ist zu tun? In der Titelstory dieser...
1.4.2025
Die pedantischen Auswüchse von Milieuschutzsatzungen
Der Streit um Gebiete der sozialen Erhaltungssatzung ist neu entbrannt. Für Kritiker steht fest: Die sogenannten Milieuschutzgebiete verhindern energetische Modernisierungen, blockieren den...
29.3.2023
Wohnungsbaupolitik bei Bauexperten umstritten
Kritik an Baurecht und Wohnungsbaupolitik haben breiten Raum bei der 1. Holzbau-Konferenz „Building Wood“ im Hamburger Alten Gaswerk eingenommen. Der Forderung von Bundesbauministerin Klara Geywitz...
29.1.2025
Mit Nachverdichtung gegen Wohnungsmangel
Forderungen und Forschungen zum Nachverdichtungspotenzial in Ballungsräumen gibt es zahlreiche. In der Praxis erfordert der Wohnungsbau in Innenhöfen ein äußerst filigranes Geschick. Und das kostet.
28.4.2023
B-Standorte für Investoren zunehmend attraktiv
Jahrelang drehte sich auf dem deutschen Immobilienmarkt alles um die Metropolen. Doch aktuell verändert sich der Markt durch vielfältige Faktoren. Käufer, Investoren und Vermieter sollten ihr...
4.3.2024
Ohne Versiegelung
Zusätzliche preisgedämpfte Mietwohnungen entstehen bisher eher selten durch Dachaufstockung. Dabei ist das Potenzial dafür enorm. Innovative Projekte zeigen, was möglich ist.