Unterm Klo putzen ist Luxus
Das Mehrfamilienhaus der Baugenossenschaft Fluwog-Nordmark eG hat eine Auffrischung nötig. Errichtet in den 1950er-Jahren, wird das Gebäude in der Brucknerstraße im Hamburger Stadtteil Barmbek-Süd derzeit energetisch modernisiert. Dabei steht Fluwog-Vorstand Benjamin Schatte aber vor einem Problem: Um Kältebrücken zu reduzieren, müssen die vorhandenen Balkone durch neue, thermisch entkoppelte Balkone ersetzt werden. Auf Standardbalkone darf die Genossenschaft aber nicht zurückzugreifen. Die wären nämlich größer als die vorhandenen Austritte – und wurden deshalb vom Bezirksamt nicht genehmigt. Stattdessen muss Schatte jetzt mit einer Sonderanfertigung in bisheriger Größe arbeiten, die erstens teurer ist und zweitens den Bewohnern weniger Komfort als die günstige Lösung bietet. Der Grund für diese widersinnig anmutende Vorgabe ist, dass sich das Mehrfamilienhaus in einem Milieuschutzgebiet befindet.
Die Behörden sprechen von Gebieten der sozialen Erhaltungssatzung gemäß § 172 des Baugesetzbuches. Diese dienen der „Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“, wie es im Gesetz heißt. In solchen Gebieten bedürfen der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen einer Genehmigung. Damit wollen die Kommunen verhindern, dass Bewohner wegen aufwendiger Modernisierungen und daraus resultierender Mieterhöhungen verdrängt werden. Nach Angaben des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) haben deutschlandweit 22 Städte soziale Erhaltungsgebiete festgelegt (Stand Oktober 2023).
Anhaltende Kritik am Milieuschutz
In letzter Zeit ist die Kritik an den Folgen der sozialen Erhaltungssatzungen lauter geworden. Sie verhinderten in vielen Fällen eine energetische Modernisierung und den Einbau von Aufzügen, sagt Maren Kern, Vorständin des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU).
Milieuschutz ist wichtig, darf aber Klimaschutz und Barrierefreiheit nicht verhindern“, betont sie.
In Leipzig hat die CDU-Fraktion im Stadtrat sogar beantragt, alle sozialen Erhaltungsverordnungen aufzuheben. Und für Wulff Aengevelt, den geschäftsführenden Gesellschafter des Düsseldorfer Maklerunternehmens Aengevelt, sind Milieuschutzsatzungen „ein ungeeignetes Instrument“, das „die soziale und ökologische Weiterentwicklung des Wohnungsbestands verhindert“.
Dieser grundsätzlichen Ablehnung schließt sich der Hamburger Genossenschaftsvorstand Benjamin Schatte nicht an. Die Fluwog teile den Grundgedanken der sozialen Erhaltungsverordnung, betont er und begründet dies so: „Als Genossenschaft stehen wir für bezahlbaren Wohnraum und sorgen in unseren Beständen dafür, dass es keine Verdrängung aus der Innenstadt gibt.“ Ob das Instrument in seiner jetzigen Form dafür geeignet sei, hält Schatte jedoch für fraglich. „Gut gemeint“, sagt er, „ist in diesem Fall nicht gut gemacht.“
Wo bleibt die Balance?
Aus energetischen Sannierungen sollten Mieterhöhungen resultieren
Differenziert fällt auch die Einschätzung von Andreas Breitner aus, dem Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). Er bezeichnet die soziale Erhaltungsverordnung als „sinnvolles Instrument, um Mieterinnen und Mieter in besonders angesagten Wohnquartieren vor explosionsartig steigenden Mieten und Wohnungsverlust infolge der Aufwertung des Quartiers zu schützen“. Allerdings kritisiert Breitner, „dass die strenge Auslegung der Regelungen durch die Bezirksämter auch sinnvolle Investitionen zur Herstellung eines zeitgemäßen Wohnstandards verhindert“. Energetische Sanierungen werden nach seinen Worten in Hamburg sogar dann erschwert, wenn daraus keine Mieterhöhung resultiert. Die Behörden argumentieren damit, dass solche Maßnahmen den Wert der Wohnung steigern und so allgemein für eine Erhöhung der Mieten im betreffenden Quartier sorgen könnten.
Damit relativiert Breitner die Einschätzung des Hamburger Senats, die dieser im Februar dieses Jahres in einem Bericht über die Auswirkungen der 13 Milieuschutzgebiete der Freien und Hansestadt vorgenommen hat. Demnach sind energetische Modernisierungen in Gebieten der sozialen Erhaltungsverordnung erlaubt, müssen jedoch „sensibel gehandhabt“ werden, um Verdrängung zu vermeiden. Grundsätzlich gelingt es laut Ralf Neubauer, dem Bezirksamtsleiter Hamburg-Mitte, „immer öfter, eine Balance zu finden, die sowohl die Interessen der Eigentümerinnen und Eigentümer als auch den Schutz der Mieterinnen und Mieter berücksichtigt“. Das sieht der VNW-Direktor anders. Die Verordnungen, die eigentlich die Mieter schützen sollten, verkehrten sich immer öfter in ihr Gegenteil, kritisiert Andreas Breitner. „In einer alternden Gesellschaft werden Aufzüge und Balkone immer wichtiger, aber die Mieterinnen und Mieter in Gebieten sozialer Erhaltungsverordnungen werden davon ausgeschlossen“, nennt er zwei Beispiele. Auch Video-Gegensprechanlagen würden in der Regel nicht erlaubt, obwohl sie von Mietern aus Sicherheitsgründen gewünscht würden.
Wandhängendes WC? Nicht in Berlin!
Ähnliche Konflikte gibt es in Berlin, wo 81 Milieuschutzgebiete ausgewiesen sind und damit viel mehr als in jeder anderen deutschen Stadt. Bis vor kurzem standen Eigentümer betroffener Mehrfamilienhäuser dabei vor der Herausforderung, dass die Genehmigungspraxis in jedem Bezirk unterschiedlich war. Im einen Bezirk durfte also beispielsweise ein Balkon angebaut werden, während dies in einem anderen Bezirk strikt untersagt war.Ende 2024 veröffentlichte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen jedoch die „Ausführungsvorschriften zu Genehmigungskriterien für bauliche Anlagen in Gebieten zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“, die nun für die Behörden in der ganzen Stadt verbindlich sind. Während BBU-Vorständin Maren Kern eine Überarbeitung dieser von ihr als restriktiv wahrgenommenen Regeln fordert, schätzt sie der Berliner Rechtsanwalt Uwe Bottermann weniger negativ ein. „Positiv an den neuen Ausführungsvorschriften ist, dass jetzt einheitliche Vorgaben gelten“, sagt Bottermann, der als Partner der KanzleiBottermannKhorrami zu den führenden Milieuschutzexperten zählt. Eine deutliche Verbesserung gibt es dabei nach seinen Worten bei Aufzügen: Während vorher ein Aufzug nur in Ausnahmefällen eingebaut werden durfte (etwa beim Ausbau des Dachgeschosses), sind Aufzüge jetzt grundsätzlich genehmigungsfähig.
Andere Maßnahmen bleiben in Berlin hingegen weiterhin untersagt. Das gilt nicht zuletzt für wandhängende Toiletten und Strukturheizkörper. Obwohl diese in den Ausführungsvorschriften nicht explizit erwähnt werden, sind sie laut Bottermann nach wie vor nicht genehmigungsfähig: „Das ergibt sich daraus, dass diese Elemente im Mietspiegel als wohnwerterhöhende Merkmale gelten – und als solche sind sie in Milieuschutzgebieten nicht zulässig“. Eigentümer dürfen also zwar das Bad sanieren, müssen sich dabei aber auf die mühsame Suche nach einem Steh-WC machen – schließlich entsprechen wandhängende Toiletten schon seit Jahren dem üblichen Standard.
Streitpunkt energetische Modernisierung
Erst recht kompliziert wird es bei der Frage, welche energetischen Modernisierungsmaßnahmen zulässig sind. Laut der Berliner Ausführungsverordnung sind Maßnahmen der Energieeinsparung, die über die Mindestanforderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) hinausgehen, „nicht genehmigungsfähig, es sei denn, dass durch diese Maßnahmen eine geringere, jedenfalls keine höhere Belastung für die Mieter entsteht als bei einer energetischen Maßnahme im Rahmen der Mindestanforderungen“.
Was heißt das in der Praxis? „Energetische Modernisierungen werden durch den Milieuschutz nicht grundsätzlich unmöglich“, sagt Uwe Bottermann. Als Beleg führt er eine Sanierungsmaßnahme im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg an, die seine Kanzlei 2024 begleitet hat. „Dabei“, berichtet Bottermann, „konnte der Eigentümer nachweisen, dass sich die Gesamtbelastung für die Mieter trotz der Modernisierungsumlage nicht erhöht, da die Umlage durch die Einsparung bei den Heizkosten kompensiert wird.“
Unzufriedenheit in Frankfurt
Eine solche Regelung würden sich auch Eigentümer in Frankfurt am Main wünschen. Dort gilt nämlich, dass Maßnahmen der energetischen Modernisierung nur dann genehmigt werden, wenn sie nicht über das gesetzlich Vorgeschriebene hinausgehen. Daran ändert auch nichts, wenn der Eigentümer für eine weitergehende Maßnahme Fördermittel beanspruchen und damit die finanzielle Belastung für die Mieter reduzieren könnte.
Schon 2023 forderten der Verband der Südwestdeutschen Wohnungswirtschaft (VdW südwest) und der Eigentümerverband Haus & Grund deshalb eine Weiterentwicklung der geltenden Regeln. Passiert ist das bisher nicht, wie Axel Tausendpfund, Direktor des VdW südwest, bedauert. „Unser Hauptkritikpunkt an der Frankfurter Milieuschutzsatzung ist nach wie vor, dass sie keine energetischen Modernisierungen zulässt, die über die gesetzlichen Vorgaben des Gebäudeenergiegesetzes hinausgehen“, erklärt er. „Dadurch werden Sanierungen und Modernisierungen verhindert, die nötig wären, um die Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen.“
Kommunales Vorkaufsrecht wurde vom BVG gestoppt
Ein Problem immerhin gibt es in Milieuschutzgebieten nicht mehr: Das zuvor praktizierte Vorkaufsrecht durch die Kommune, wie es vor allem einige Berliner Bezirke intensiv nutzten, wurde 2021 vom Bundesverwaltungsgericht gestoppt. Dafür tut sich zumindest in der Milieuschutz-Hauptstadt Berlin eine neue Baustelle auf: Der grüne Baustadtrat des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt, geht seit kurzem gegen die befristete Vermietung von möblierten Wohnungen in Milieuschutzgebieten vor. Schmidts Argument, die befristete Vermietung bedeute eine Nutzungsänderung, lässt Rechtsanwalt Bottermann nicht gelten: Auch die vorübergehende Vermietung einer Wohnung sei schließlich eine Wohnnutzung.
Sollten also soziale Erhaltungssatzungen und damit Milieuschutzgebiete abgeschafft werden? Das nicht, antwortet Rechtsanwalt Bottermann.
Man kann sicher die Frage stellen, ob es wirklich so viele Milieuschutzgebiete braucht, die zum Teil auch noch mit hanebüchenen Begründungen festgesetzt worden sind“, sagt er.
„Es ist nicht sinnvoll, den baulichen Zustand einer Großstadt einfrieren zu wollen. Aber ganz abschaffen sollte man das Instrument der sozialen Erhaltungsverordnung dennoch nicht.“
Christian Hunziker


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