Handwerkermangel – es wird schlimmer als befürchtet!
Sprichwörtlich wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen wir Handwerksmeister – wir verharren allzu häufig in Schockstarre und warten, bis das Kriechtier zubeißt. Das Reptil ist in unserem Fall der Mangel an Mitarbeitern, der uns schon ereilt hat und noch wesentlich härter treffen wird als bisher angenommen.
Das Handwerk ist in Deutschland eines der größten Erwerbstätigkeitsfelder und gleichzeitig der Wirtschaftssektor mit den zweitmeisten Auszubildenden. 342.561 meist junge Menschen erhalten (Quelle: https://de.statista.com) derzeit eine handwerkliche bzw. duale Ausbildung. Das sind 12,2 Prozent aller Erwerbstätigen und 28,2 Prozent aller Auszubildenden in Deutschland. Im Jahr 1997 waren es im Vergleich dazu noch rund 630.000. Das mit Abstand ausbildungsstärkste Gewerbe im Handwerk ist das Elektro- und Metallgewerbe mit rund 184.700 Auszubildenden. Trotzdem hat das Handwerk vermehrt Schwierigkeiten neue Lehrlinge zu finden.
Die demografische Entwicklung in Deutschland führt dazu, dass – wie in Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt – auch Betriebe immer größere Schwierigkeiten haben, ausreichend Bewerberinnen und Bewerber für ihre Ausbildungsplätze zu finden. Zudem verlassen jährlich hunderttausende Menschen mehr den Arbeitsmarkt, als neue hinzukommen. Bereits jetzt gibt es schätzungsweise rund 250.000 offene Stellen im Handwerk. Darüber hinaus steht in den kommenden fünf Jahren nach Einschätzung des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) bei rund 125.000 Betrieben die Betriebsnachfolge an, die den Fachkräfte- und Führungskräftebedarf weiter erhöhen dürfte. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Schulabsolventinnen und -absolventen seit Jahren ab, und aus dieser ohnehin kleineren Gruppe potenzieller Ausbildungsanfängerinnen und -anfänger entscheiden sich immer weniger für eine betriebliche Ausbildung. Das hat eine Ursache in dem gesellschaftlichen Erziehungsirrtum, wonach nur mit Abitur und Studium persönlicher und beruflicher Erfolg zu erreichen ist. Die Zahlen belegen das erschreckend deutlich: im Studienjahr 2023 (Sommersemester 2023 und Wintersemester 2023/2024) haben sich 481.500 Studienanfängerinnen und Studienanfänger erstmals an einer deutschen Hochschule eingeschrieben.
Diese Entwicklungen sind die Hauptgründe dafür, dass es zu einem immer drängenderen Problem und schwierigeren Unterfangen geworden ist, Azubis und Fachkräfte zu gewinnen. Durchschnittlich konnten in den vergangenen Jahren rund 20.000 Ausbildungsplätze, die von den Handwerksbetrieben angeboten wurden, nicht besetzt werden. Diese heute unbesetzten Ausbildungsstellen sind die fehlenden Fachkräfte und Meister von morgen, die dringend für die notwendigen Transformations- und Modernisierungsprozesse gebraucht werden.
ZDH fordert Bildungswende
Um die Energie- und Wärmewende zu stemmen, sowie die zahlreichen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen – beispielsweise eine zunehmend alternde Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen zu versorgen – braucht es flächendeckend ausreichend qualifizierte Fachkräfte im Handwerk. Dafür benötigen wir ein Umdenken in der Gesellschaft, in der Handwerksberufe gerade auch mit Blick auf ihre große gesellschaftliche Relevanz als das wahrgenommen werden, was sie sind: starke Wirtschaftskräfte mit Karrierewegen der Extraklasse. „Wir brauchen eine Bildungswende: hin zu einer ideellen und finanziellen Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung“, heißt die politische Forderung aus dem ZDH dazu.
Greentec geht häufig direkte Wege
Hinzu kommen weitere, teils fatale Entwicklungen: Energieversorger, wie zum Beispiel EON kaufen seit Jahren bestehende Handwerksbetriebe um ihre Servicekraft zu erhöhen. Stadtwerke werben aktiv Fachkräfte ab, um in ihrer Region Contractingmodelle selbst zu installieren und zu warten. Verschärft wird diese Situation zudem durch neue Marktbegleiter aus der so genannten Greentec-Szene; Anbieter wie Qvantum, Enpal oder Octopus Energy agieren über ihren einstufigen Vertriebsweg direkt am Markt – komplett am Handwerk vorbei.
Spezialisiert auf die eigenen Produkte und damit entsprechend effizient brauchen sie qualifiziertes Fachpersonal, das in der Regel auch ansprechend entlohnt wird. Dreimal darf man raten, wo diese Mitarbeiter wohl rekrutiert werden?
Michael Hilpert, Präsident des Zentralverbandes Sanitär, Heizung, Klima (ZVSHK) hat sicherlich das Recht, derartige Entwicklungen – auch die von Viessmann – kritisch zu sehen. Andererseits bietet das SHK-Handwerk leider viel zu offene Flanken, die einen Angriff durch neue Mitspieler am Markt ermöglichen. Das fängt bei der Bezahlung der Mitarbeiter an und hört beim viel zu niedrigen Organisationgrad in den Handwerksinnungen auf. Wie heißt es doch gleich: „Gemeinsam sind die Kleinen stark“. Das müssen sich selbstständige Handwerksmeister aktuell wieder vergegenwärtigen. Gemeinsam kann das SHK-Handwerk viel erreichen; Kampagnen starten, Messen organisieren, junge Menschen motivieren etc. Es muss ein Ruck durch die Branche gehen, der spürbar ist und positive Aufmerksamkeit erregt. Wem dann der Innungsbeitrag zu hoch ist – dem wird in Zukunft kaum zu helfen sein.
Es ist ein gesellschaftlicher Erziehungsirrtum, wonach nur mit Abitur und Studium persönlicher und beruflicher Erfolg zu erreichen ist.
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Dieter Last

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