Wohn-Vielfalt lockt
Das ist das Ergebnis einer Studie der Habona Invest, die seit mehreren Jahrzehnten die Entwicklung von Handelsstandorten und -immobilien untersucht. Manuel Jahn, Mitglied des Management Boards der Habona Invest GmbH, bringt es auf den Punkt. „Der Einzelhandel als Lokomotive funktioniert nicht mehr. Es braucht ein neues Leitbild, wie die Innenstadt der Zukunft aussehen kann, was sie künftig leisten und welches Publikum angesprochen werden soll.“ Die meisten Städte hätten die Krise, die mit der Corona-Pandemie beschleunigt wird, noch gar nicht richtig verstanden. Der zunehmende Rückzug des Handels „verläuft meist chaotisch, weil man in dieser Hinsicht absolut unerfahren ist“. Aus seiner Sicht sollte sich jede Kommune Gedanken über einen „Rückbaumanager“ machen, denn die Veränderungen im Handelsbereich seien nicht konjunktur- oder pandemiebedingt, sondern „als schleichender Prozess schon seit mindestens 15 Jahren erkennbar“.
Mehr Aufenthaltsqualität schaffen
Fest stehe, dass die Zukunft der Innenstadt davon abhängt, wie es gelingt, den Menschen neue Konzepte mit einer Mischung aus kurzen Wegen, Kommunikation- und Erlebnismöglichkeiten zu bieten. „Profiteure des Wandels sind lokale, wohnortnahe Strukturen, die eine wachsende Nachfrage verzeichnen. Stadtteilzentren zeigen gerade in Corona-Zeiten, wie Vielfalt und kurze Wege von den Menschen geschätzt werden“. Für einen Teil der Städte, die sich dem Wandel der besten Einkaufslagen stellen müssten, sieht Jahn vor allem auch Perspektiven in der Wohnraumschaffung: Städte im so genannten zweiten Speckgürtel einer Metropole. „Auch wenn der Wandel im Handel erst auf den zweiten Blick in Zusammenhang mit dem Wohnungsmarkt betrachtet wird: Wir erleben, zusätzlich durch die Homeoffice-Erfahrungen in der Pandemiezeit befördert, eine zweite Urbanisierungswelle. Wohnen in den Ballungsräumen ist für viele Haushalte nicht mehr bezahlbar. Ein Angebot in einer Innenstadt am Rande der Randlage zu einer Metropole gewinnt damit für überzeugte Urbanisten an Attraktivität.“ Städte wie beispielsweise Neumünster oder Elmshorn im Hamburger Umland könnten davon profitieren – Lüneburg und Stade machen es bereits vor.
Um für die anstehenden Veränderungen des Handels und damit der Innenstädte gerüstet zu sein, sei es erforderlich, auch die alternde Gesellschaft im Fokus zu haben. „Zu der attraktiven Innenstadt gehören neben modernen Wohnungen vor allem Einrichtungen wie Behörden, Bildungsstätten, Hotels, Ärztezentren. Wer eine lebendige Innenstadt will, der sollte diese Angebote konsequent im Zentrum bündeln.“ Zielsetzung müsse sein, die Menschen mit einer neuen Vielfalt auf eine Entdeckungsreise zu locken und mit einem guten Mix urbanes Leben zu bezahlbaren Preisen attraktiv zu machen.
Wie sieht der Handel die Entwicklung? Nach Ansicht von Dierk Böckenholdt, Hauptgeschäftsführer Handelsverband Nord, Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, ist des für den Handel „Fünf nach Zwölf“. Bei einer Veranstaltung in Neumünster formulierte er es mit Blick auf das Oberzentrum im Süden Schleswig-Holsteins kürzlich so: „Wichtig ist aus meiner Sicht, dass die Funktionen, die die Innenstadt künftig haben soll, neu definiert werden. Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern es geht um die Frage, wie wir wieder Umsätze in die Innenstädte holen. Dazu müssen alle Beteiligten an den Tisch“, so sein Appell.
Neumünsters Oberbürgermeister Dr. Udo Tauras sieht das ähnlich. „Die Innenstadt wird immer der Ort sein, wo Menschen zusammenkommen und ihre Identität mit der Stadt entwickeln. Wir brauchen künftig eine gute Mischung aus Kultur, Bildung und Einzelhandel.“ Dabei komme es wesentlich darauf an, dass auch die Eigentümer der Immobilien die Entwicklungen annehmen und „es braucht dann neue Ideen, wie wir gemeinsam die Immobilien und die Innenstadt entwickeln können“.
Für Heiner Schote, stellvertretender Geschäftsführer der Handelskammer in Hamburg, sind die anstehenden Veränderungen, die die Habona aufzeichnet, auch ein Thema in größeren Städten. Ziel der Kammer müsse sein, den Transformationsprozess zu moderieren, damit ein guter urbaner Mix in den Innenstädten entstehe. „Wohnungen spielen dabei eine große Rolle, aber auch Handwerks- oder Produktionsbetriebe, die kaum Lärm erzeugen. Wichtig ist zudem, auch eine hohe Aufenthalts- und Verweilqualität zu schaffen.“ Die Handelskammer Hamburg setze sich beim Senat für die finanzielle Unterstützung von Quartiersinitiativen ein, damit langfristig lebendige, urbane Quartiere in allen Teilen der Hansestadt möglich bleiben.
10 Fakten zur Innenstadtentwicklung
Seit vielen Jahren analysiert die Habona Invest GmbH auf Basis von Marktforschungsdaten die Veränderungen im Kaufverhalten. Mit den Analysen werden die Investitionsentscheidungen von Immobilienunternehmen abgesichert. Zehn Fakten zur Innenstadtentwicklung:
Holger Hartwig


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