Zukunft der Innenstädte

Wohn-Vielfalt lockt

Top-Lagen in Innenstädten werden angesichts des zunehmenden Sterbens des stationären Handels eine starke Veränderung erleben. Es braucht künftig deutlich mehr Vielfalt aus Handel, Kultur, Bildung und Wohnen. Statt großflächiger Angebote ist eine Vielfalt mit lokalem Kolorit und mehr Aufenthaltsqualität gefragt.
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Ein Beispiel für die Veränderung einer Innenstadt bietet die Stadt Lünen. Dort stand viele Jahre in bester Lage ein Hertie-Kaufhaus leer. 2017 wurde die Immobilie durch den Bauverein Lünen zu einem attraktiven Wohngebäude mit Dienstleistung und Einzelhandel im Erdgeschoss umgebaut. Bild: Bauverein Lünen
Ein Beispiel für die Veränderung einer Innenstadt bietet die Stadt Lünen. Dort stand viele Jahre in bester Lage ein Hertie-Kaufhaus leer. 2017 wurde die Immobilie durch den Bauverein Lünen zu einem attraktiven Wohngebäude mit Dienstleistung und Einzelhandel im Erdgeschoss umgebaut. Bild: Bauverein Lünen

Das ist das Ergebnis einer Studie der Habona Invest, die seit mehreren Jahrzehnten die Entwicklung von Handelsstandorten und -immobilien untersucht. Manuel Jahn, Mitglied des Management Boards der Habona Invest GmbH, bringt es auf den Punkt. „Der Einzelhandel als Lokomotive funktioniert nicht mehr. Es braucht ein neues Leitbild, wie die Innenstadt der Zukunft aussehen kann, was sie künftig leisten und welches Publikum angesprochen werden soll.“ Die meisten Städte hätten die Krise, die mit der Corona-Pandemie beschleunigt wird, noch gar nicht richtig verstanden. Der zunehmende Rückzug des Handels „verläuft meist chaotisch, weil man in dieser Hinsicht absolut unerfahren ist“. Aus seiner Sicht sollte sich jede Kommune Gedanken über einen „Rückbaumanager“ machen, denn die Veränderungen im Handelsbereich seien nicht konjunktur- oder pandemiebedingt, sondern „als schleichender Prozess schon seit mindestens 15 Jahren erkennbar“.

Mehr Aufenthaltsqualität schaffen

Fest stehe, dass die Zukunft der Innenstadt davon abhängt, wie es gelingt, den Menschen neue Konzepte mit einer Mischung aus kurzen Wegen, Kommunikation- und Erlebnismöglichkeiten zu bieten. „Profiteure des Wandels sind lokale, wohnortnahe Strukturen, die eine wachsende Nachfrage verzeichnen. Stadtteilzentren zeigen gerade in Corona-Zeiten, wie Vielfalt und kurze Wege von den Menschen geschätzt werden“. Für einen Teil der Städte, die sich dem Wandel der besten Einkaufslagen stellen müssten, sieht Jahn vor allem auch Perspektiven in der Wohnraumschaffung: Städte im so genannten zweiten Speckgürtel einer Metropole. „Auch wenn der Wandel im Handel erst auf den zweiten Blick in Zusammenhang mit dem Wohnungsmarkt betrachtet wird: Wir erleben, zusätzlich durch die Homeoffice-Erfahrungen in der Pandemiezeit befördert, eine zweite Urbanisierungswelle. Wohnen in den Ballungsräumen ist für viele Haushalte nicht mehr bezahlbar. Ein Angebot in einer Innenstadt am Rande der Randlage zu einer Metropole gewinnt damit für überzeugte Urbanisten an Attraktivität.“ Städte wie beispielsweise Neumünster oder Elmshorn im Hamburger Umland könnten davon profitieren – Lüneburg und Stade machen es bereits vor.

Um für die anstehenden Veränderungen des Handels und damit der Innenstädte gerüstet zu sein, sei es erforderlich, auch die alternde Gesellschaft im Fokus zu haben. „Zu der attraktiven Innenstadt gehören neben modernen Wohnungen vor allem Einrichtungen wie Behörden, Bildungsstätten, Hotels, Ärztezentren. Wer eine lebendige Innenstadt will, der sollte diese Angebote konsequent im Zentrum bündeln.“ Zielsetzung müsse sein, die Menschen mit einer neuen Vielfalt auf eine Entdeckungsreise zu locken und mit einem guten Mix urbanes Leben zu bezahlbaren Preisen attraktiv zu machen.

Eines der wichtigsten Gestaltungelemente in der WEG ist die Eigentümerversammlung. Dort werden Beschlüsse gefasst und über aktuelle Probleme und Projekte beraten. Die Ergebnisse der Eigentümerversammlung werden im einem Protokoll festgehalten, das der...

Wie sieht der Handel die Entwicklung? Nach Ansicht von Dierk Böckenholdt, Hauptgeschäftsführer Handelsverband Nord, Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, ist des für den Handel „Fünf nach Zwölf“. Bei einer Veranstaltung in Neumünster formulierte er es mit Blick auf das Oberzentrum im Süden Schleswig-Holsteins kürzlich so: „Wichtig ist aus meiner Sicht, dass die Funktionen, die die Innenstadt künftig haben soll, neu definiert werden. Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern es geht um die Frage, wie wir wieder Umsätze in die Innenstädte holen. Dazu müssen alle Beteiligten an den Tisch“, so sein Appell.

Neumünsters Oberbürgermeister Dr. Udo Tauras sieht das ähnlich. „Die Innenstadt wird immer der Ort sein, wo Menschen zusammenkommen und ihre Identität mit der Stadt entwickeln. Wir brauchen künftig eine gute Mischung aus Kultur, Bildung und Einzelhandel.“ Dabei komme es wesentlich darauf an, dass auch die Eigentümer der Immobilien die Entwicklungen annehmen und „es braucht dann neue Ideen, wie wir gemeinsam die Immobilien und die Innenstadt entwickeln können“.

Für Heiner Schote, stellvertretender Geschäftsführer der Handelskammer in Hamburg, sind die anstehenden Veränderungen, die die Habona aufzeichnet, auch ein Thema in größeren Städten. Ziel der Kammer müsse sein, den Transformationsprozess zu moderieren, damit ein guter urbaner Mix in den Innenstädten entstehe. „Wohnungen spielen dabei eine große Rolle, aber auch Handwerks- oder Produktionsbetriebe, die kaum Lärm erzeugen. Wichtig ist zudem, auch eine hohe Aufenthalts- und Verweilqualität zu schaffen.“ Die Handelskammer Hamburg setze sich beim Senat für die finanzielle Unterstützung von Quartiersinitiativen ein, damit langfristig lebendige, urbane Quartiere in allen Teilen der Hansestadt möglich bleiben.

10 Fakten zur Innenstadtentwicklung

Seit vielen Jahren analysiert die Habona Invest GmbH auf Basis von Marktforschungsdaten die Veränderungen im Kaufverhalten. Mit den Analysen werden die Investitionsentscheidungen von Immobilienunternehmen abgesichert. Zehn Fakten zur Innenstadtentwicklung:

1. WarenhauskriseDie Zahl der klassischen Warenhäuser in Innenstädten geht seit 1990 kontinuierlich zurück. Sie sind heute kein „Anker“ mehr. Der Umsatz ging von 14 Mrd. Euro auf 4 Mrd. Euro zurück.

2. FashionkriseIn der Bekleidungsbranche findet seit einigen Jahren eine „Flurbereinigung“ statt. Die Pro-Kopf-Bekleidungsausgaben sind zwischen 2008 und 2019 um 25 Prozent zurückgegangen. Es herrscht ein Überangebot und Preisverfall, der auch die großen Namen wie Gerry Weber, H & M und C & A erfasst hat.

3. ShoppingcenterkriseDie Center haben ihren Zenit 2016/17 überschritten. Die Entwicklung zeichnete sich vor der Corona-Pandemie ab und hat sich seit der Pandemie radikal beschleunigt.

4. NahversorgungsrallyeDas Wachstum bei Supermärkten mit frischen, besseren und teureren Produkten ist phänomenal. An machen Standorten wächst der Umsatz pro Jahr bis zu 10 Prozent.

5. Von der linken in die rechte TascheDer Umsatz im Foodbereich ist zwischen 2005 und 2019 um 42 Prozent gestiegen, während er im Nonfoodbereich um 15 Prozent gefallen ist.

6. Online wildert bei NonfoodDas Internet-Geschäft wildert zu 99 Prozent in den Nonfood-Sortimenten und fordert insbesondere die Anbieter in den Fußgängerzonen heraus.

7. Zeit-Wege-Toleranz für Shopping nimmt abBei der Länge der Einkaufsfahrten ist seit 2002 ein Rückgang um 18 Prozent, bei der Anzahl um 25 Prozent zu verzeichnen. Es wird weniger Zeit für Einkaufen investiert. Online-Käufe statt Fahrten in die Innenstadt. Eingekauft wird eher um die Ecke. Handel funktioniert in der Nähe der Wohnorte und immer weniger in zentralen Lagen.

8. Nonfood spielt Baukosten nicht mehr einNur die Entwicklung im Lebensmittelbereich konnte den gestiegenen Baukosten bei Immobilien in den letzten Jahren folgen. Gebäudemieten in der Innenstadt sind von Fashionanbietern immer weniger zu bezahlen.

9. Nonfood-Überhänge werden abgebautBis 2030 könnten 33 Prozent der Bekleidungsumsätze verloren gehen, entsprechende Flächen werden verschwinden. Die Leerstandentwicklung in einigen Städten wird sich beschleunigen

10. Innenstädte brauchen ein neues Leitbild: Die Innenstädte wurden seit den 1960er Jahren einseitig auf den Einzelhandel ausgerichtet, alle anderen Nutzungen herausgedrängt. Diese Monofunktion ist nicht mehr attraktiv. Neue Konzepte für die Innenstadt-lagen sind erforderlich: z.B. Rückbau der Verkaufsfläche, neue Fußgänger-zonenkonzepten, Ausbau von „Mixed Use“, d.h. stärkere Integration von Gastronomie, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie Wohnungen.

Holger Hartwig

Holger Hartwig
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Artikel Wohn-Vielfalt lockt
Seite 20 bis 21
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