Retten Kleinstädte den Wohnungsmarkt?
Manchmal reichen wenige Sätze, um große Aufregung zu verursachen. Das war der Fall, als Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) im Sommer 2024 der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ ein Interview gab und dabei darauf hinwies, dass in Deutschland knapp zwei Millionen Wohnungen leer stünden. Deshalb könne es zur Entlastung der großstädtischen Wohnungsmärkte beitragen, wenn Menschen von der Großstadt in den ländlichen Raum zögen. „Gerade in kleinen und mittelgroßen Städten ist das Potenzial groß, weil es dort auch Kitas, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und Ärzte gibt“, sagte Geywitz.
Die Idee der Bauministerin war nicht abwegig
Viel Kritik erntete die Ministerin für diese Aussage – sie wolle damit, so hieß es, vor allem davon ablenken, dass die Bundesregierung das selbstgesteckte Ziel von 400.000 neuen Wohnungen in dieser Wahlperiode deutlich verfehlt habe. Abwegig ist die Idee von Geywitz allerdings nicht. Denn Fachleute weisen schon lange darauf hin, dass keineswegs in ganz Deutschland Wohnungen fehlen, sondern vielerorts Wohnraum in großem Stil leer steht. „Die Attraktivität des ländlichen Raumes sinkt, was lokal zu steigenden Leerständen führt“, stellte beispielsweise Frank Emrich, Verbandsdirektor des Verbandes Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (vtw), im vergangenen Jahr fest. Und Maren Kern, die Vorständin des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), gibt zu bedenken, dass sogar rund um das unter Wohnungsmangel ächzende Berlin viele Wohnungen leer stehen: 9,7 Prozent betrug Ende 2023 der Wohnungsleerstand im sogenannten weiteren Metropolenraum.
Neue Landlust
Auf der anderen Seite diagnostizierte das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung bereits 2022 in seiner Studie „Landlust neu vermessen. Wie sich das Wanderungsgeschehen in Deutschland gewandelt hat“ eine „neue Landlust“. Diese gehe zu Lasten der Großstädte, deren Wanderungssaldo seit 2016 sinke, stellten die Forscher fest. Umgekehrt hättenzwischen 2018 und 2020 – also noch vor dem durch die Coronapandemie ausgelösten Wunsch, der Stadt den Rücken zu kehren – zwei von drei Landgemeinden Wanderungsgewinne erzielt. „Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt und ermöglicht immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, im Homeoffice zu arbeiten“, hält das Berlin-Institut fest. „Wenn die tägliche Fahrt zur Arbeit entfällt, wird für mehr Menschen ein Leben fernab der Großstädte denkbar.“
Gründung der Kleinstadtakademie
Das Bewusstsein für das Potenzial der rund 2.100 deutschen Kleinstädte – laut der statistischen Definition handelt es sich dabei um Gemeinden mit 5.000 bis 20.000 Einwohnern – stärken soll die Kleinstadtakademie, die das Bundesbauministerium 2024 ins Leben gerufen hat. Die Akademie solle, so heißt es beim Ministerium, „als bundesweite Aktions-, Kommunikations- und Lernplattform den Kleinstädten eine gemeinsame Stimme und mehr Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft verschaffen sowie die bundesweite Kooperation und den Erfahrungsaustausch fördern“. Ihren Sitz hat die Kleinstadtakademie im brandenburgischen Wittenberge, das sich in einem Auswahlverfahren unter 44 Bewerbungen durchsetzte.
Allzu viele konkrete Aktivitäten lassen sich der Webseite der Kleinstadtakademie bisher nicht entnehmen. Im Vorfeld ihrer Gründung gab es hingegen diverse Forschungsprojekte, die vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) koordiniert wurden und die unter anderem der Frage nachgingen, wie sich die Ortsmitte von Kleinstädten stärken lässt. Doch reicht das? Fachleute sind skeptisch. Noch sei die Kleinstadtakademie „wenig konkret“, sagt Torsten Bölting, der als Geschäftsführer des Instituts Inwis selber mit Forschungsvorhaben in der Pilotphase der Kleinstadtakademie beauftragt war.
Er habe, sagt Bölting, den Eindruck, dass das Thema „in der Praxis nicht wirklich wahrgenommen wird“. Sein Vorschlag: „Die Kleinstadtakademie könnte weniger Papier produzieren, sondern besser Fachleute zur Verfügung stellen, die in den Kommunen etwas machen.“ Denn viele Gemeinden bräuchten jemanden, der ein halbes Jahr vor Ort sei und konkrete Aktionen vorbereite. >> Ausfühliches Interview mit Prof. Bölting: „Die Großstädte bleiben interessant“
Allein das Wissen um die Methode, hilft den Kleinstädten noch nicht", sagt Bölting
Zurückhaltend äußert sich auch Alexander Müller, der als Verbandsdirektor des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft e.V. (vdw Sachsen) die Interessen auch von Mitgliedsunternehmen in strukturschwachen Regionen vertritt. „Was die Kleinstadtakademie betrifft, so kann es nicht schaden, einen Wissensaustausch zu organisieren“, sagt er. Trotzdem sei er etwas skeptisch. „Ist der Mehrwert größer als der Aufwand?“, fragt Müller. „Kommt am Ende wirklich etwas raus? Meiner Ansicht nach ist die Unterstützung für die Akteure vor Ort wichtiger als die Finanzierung einer Institution wie der Kleinstadtakademie.“
Was die Politik tun sollte
Doch wie könnte diese Unterstützung konkret aussehen? „Um Regionen und Städte mit hohem Wohnungsleerstand attraktiver zu machen, braucht es in erster Linie eine ausgebaute Infrastruktur, also gute Schulen, ausreichend Einkaufsmöglichkeiten und eine gute Verkehrsanbindung“, antwortet Alexander Müller. Dafür seien öffentliche Mittel notwendig. „Die Politik“, ergänzt der Verbandsdirektor, „muss aber auch Eigenverantwortung von Wohnungsunternehmen zulassen und darf diese nicht in ein zu enges Korsett zwängen.“
Eine Möglichkeit, leerstehenden Wohnraum wieder in Nutzung zu bringen, sieht der Verbandsdirektor darin, ganze Häuser für gemeinschaftliche Wohnkonzepte zu vermieten. Eine andere Möglichkeit nutzte die kommunale Wohnungsbaugesellschaft in Bad Elster, einem Kurort im sächsischen Vogtlandkreis. Ihr gelang es, durch die Schaffung von Angeboten des betreuten Wohnens den existenzbedrohenden Leerstand von über zwanzig Prozent deutlich zu senken.
Coworking im Spreewald
Bundesweit finden sich weitere innovative Ideen, die das Ziel verfolgen, den ländlichen Raum und seine Kleinstädte als Wohnort attraktiver zu machen. Zum Beispiel in Lübbenau im brandenburgischen Spreewald. Dort planen die Stadt und eine Tochtergesellschaft des kommunalen Wohnungsunternehmens, der WIS Wohnungsbaugesellschaft im Spreewald mbH, den Bau eines großen Coworking-Komplexes mit rund 3.000 Quadratmeter Bürofläche und etwa 150 Arbeitsplätzen. Dieser soll in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs entstehen und vor allem Berufstätige ansprechen, die in Berlin arbeiten, aber nicht täglich ins Büro fahren müssen. 25 Millionen Euro sind dafür veranschlagt; eine Förderzusage liegt bereits vor.
Plakate, die auf den geplanten Coworking Space aufmerksam machen, finden sich im Straßenbild der Lausitz. Sie sind Teil der 2024 gestarteten Imagekampagne „Die Lausitz. Krasse Gegend“, mit der sich die vom Braunkohleabbau geprägte Gegend als moderne und lebenswerte Region präsentiert. Von diesem Frühjahr an will die Wirtschaftsregion Lausitz GmbH die Plakatkampagne auf Großstädte wie Hamburg, Frankfurt am Main und München ausweiten.
Ruf-Busse für den Kreis Siegen-Wittgenstein
Das Verkehrsthema nimmt der Kreis Siegen-Wittgenstein (Nordrhein-Westfalen) in den Blick. Im Rahmen des Projekts „Go Si-Wi Go“ will er den Einsatz von On-Demand-Verkehrsangeboten prüfen, also von kleinen Bussen, die ohne festen Fahrplan Mobilität sicherstellen. Dabei sollen den Plänen zufolge auch autonom fahrende Shuttles zum Einsatz kommen.
Wenn alles klappt, werden zukünftig Menschen, die in den ländlichen Ortsteilen von Bad Berleburg und Freudenberg wohnen, mit einer App nach ihrem persönlichen Bedarf Verbindungen buchen können und damit auch ohne eigenes Auto mobil sein.
Wie entscheidend die Infrastruktur ist, um das Wohnen in ländlichen Kleinstädten attraktiver zu machen, hat auch Bundesbauministerin Klara Geywitz erkannt. „Wichtig ist, dass die Bahnanbindungen passen müssen“, sagte sie im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Aber es kommt auch darauf an, dass die Wohnqualität und die Infrastruktur stimmen. Ärzte und Kitas müssen zum Beispiel da sein.“ Wie das erreicht werden kann, soll eine vom Bundesbauministerium erarbeitete Leerstandstrategie aufzeigen, die ursprünglich für November und dann für Dezember angekündigt war. Allerdings wartete man bis Jahresende vergeblich auf die Veröffentlichung – man kann also weiterhin gespannt sein, mit welchen konkreten Maßnahmen die Politik die Menschen davon überzeugen will, dass es sich auch in kleineren Orten gut leben lässt.
Christian Hunziker


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