„Die Großstädte bleiben interessant“
Herr Bölting, hat Bundesbauministerin Klara Geywitz recht mit ihrer These, dass Kleinstädte im ländlichen Raum zur Entlastung der großstädtischen Wohnungsmärkte beitragen können?
Ja, aber nicht uneingeschränkt. Die These trifft nur für Kleinstädte zu, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen eine zentrale Lage und eine intakte Infrastruktur aufweisen, sie müssen eine gute Wirtschaftsleistung haben, sie dürfen nicht völlig überaltert sein, und sie brauchen einen attraktiven Wohnungsbestand. Wir haben in einer Forschungsarbeit gewisse Cluster identifiziert. Das am besten geeignete Cluster umfasst 132 Kleinstädte; zählt man die beiden besten Cluster zusammen, bringen rund ein Drittel aller Kleinstädte viele Voraussetzungen mit, um Bewohner anzuziehen.
Wie wichtig ist dabei eine gute Verkehrsanbindung?
Sie ist natürlich wichtig. Entscheidend ist aber vor allem, dass die Gebäudesubstanz eine positive Entwicklung zulässt. Wir haben viele Kleinstädte, wo das nicht der Fall ist. Oft sind die Bausubstanz und die Gebäudetypologie zum Wohnen ungeeignet. Und wenn sich ein Gebäude dafür anbietet, zum Beispiel als Einfamilienhaus genutzt zu werden, steht es oft direkt an der Straße. Das wird von den Interessenten nicht akzeptiert und lässt sich kaum korrigieren. Das führt zum Donut-Effekt: Es gibt Wachstum, aber nur außen mit neuen Einfamilienhäusern, während der Kern leer steht. Wenn aber der Kern leer steht, macht das eine Kleinstadt insgesamt unattraktiv.
Was kann die Politik dagegen tun?
Um Immobilien in Kleinstädten wieder in Nutzung zu bringen, braucht es Akteure mit Kreativität und Mut. Kommunen sollten deshalb Veranstaltungen durchführen, mit denen sie private Interessierte auf diese Gebäude mit Potenzial aufmerksam machen – zum Beispiel mit einem Tag der offenen Potenzialimmobilie. Hier sehe ich eine Aufgabe für die Kleinstadtakademie: Sie könnte den Kommunen Pakete an die Hand geben, um solche Veranstaltungen durchzuführen. Die Kommunen brauchen aber vor allem Personal. Allein mit Broschüren ist niemandem geholfen.
Sie haben vom Potenzial von Einfamilienhäusern in Kleinstädten gesprochen. Welche Bedeutung haben Geschosswohnungen?
Auch in Kleinstädten braucht es den Neubau von Geschosswohnungen, weil es immer mehr Menschen gibt, die mit ihrem Einfamilienhaus überfordert sind. Dabei hat Ostdeutschland einen gewissen Vorteil, weil in vielen Kleinstädten Plattenbauten stehen, die bis heute im Besitz von ansprechbaren Akteuren sind, also von Wohnungsgenossenschaften oder kommunalen Gesellschaften. Diese Eigentümer brauchen jedoch massiv Förderung, da sie angesichts der erzielbaren Mieten mit der energetischen Sanierung überfordert sind.
Um Menschen anzuziehen, braucht es aber nicht nur passende Wohnungen, sondern auch eine gute medizinische Infrastruktur.
Auch hier gibt es Ansätze, wie Kommunen das angehen können. Kommunen oder Kreise können aktiv werden, indem sie zum Beispiel selber Ärzte anstellen. Sie können auch, wie es die niedersächsische Landesregierung unterstützt, regionale Medizinische Versorgungszentren aufbauen und diese mit Telemedizin kombinieren.
Schon vor zwei Jahren stellte das Berlin-Institut eine „neue Landlust“ fest. Hat es recht?
Bedingt. In gewissen Milieus gibt es zwar einen Trend aufs Land, nämlich bei den häuslichen Milieus, die ein ruhiges, nachbarschaftsbezogenes Leben suchen. Diese Gruppe wächst aber nicht unbedingt. Es ist insofern auch nicht zu erkennen, dass es einen dramatischen Exodus aus den größeren Städten gibt. Diese sind nach wie vor für viele Menschen interessant. Es wird deshalb nicht gelingen, allein durch den Umzug aufs Land das Problem der Wohnungsknappheit in den Großstädten zu lösen. Es braucht weiterhin Neubau und auch die Ausweisung neuer Baugebiete in den nachfragestarken Städten und Regionen.
Die Fragen stellte Christian Hunziker
Das Interview gehört zum Hauptartikel aus der IVV-Ausgabe 01/2025 >> Potenzial des ländlichen Raums? Wer will „weit draußen“ wohnen? Retten Kleinstädte den Wohnungsmarkt?
Redaktion (allg.)

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