Baurecht: Vorsicht vor der Verjährungsfalle

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Bild: Hans12/stock.adobe.com
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1. Verzugsschadensansprüche des Auftraggebers/Bauherren gegen den Auftragnehmer/Bauunternehmer unterliegen der regelmäßigen dreijährigen Verjährung.

2. Die Verjährung des Verzugsschadensanspruchs erfasst auch im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs voraussehbare, möglicherweise nachträglich eintretende Schadensfolgen.

(Leitsätze des Bearbeiters)

BGH, Urteil vom 19.05.2022 - VII ZR 149/21

Problemstellung

Bauwerksbezogene werkvertragliche Mängelansprüche unterliegen nach dem Gesetz einer fünfjährigen Verjährungsfrist ab Abnahme. Beim Bau kommt es oftmals zu Verzögerungen, die der Auftragnehmer/Bauunternehmer zu vertreten haben. Damit verbunden sind für die Auftraggeber/Bauherren in der Regel zusätzliche Aufwendungen, wie etwa Bereitstellungszinsen für verspätet abgerufene Darlehen, Kosten für Ersatzwohn- oder Gewerberäume etc. Die Überschreitung von Vertragsfristen, zum Beispiel des Fertigstellungstermins, kann zudem vertraglich mit einer Vertragsstrafe bewehrt werden. Nicht nur im Falle der Kündigung des Vertragsverhältnisses oder im Falle des Rücktritts sondern auch bei Fertigstellung und Abnahme stellt sich die Frage, innerhalb welcher Frist die Verzugsschadensersatzansprüche verjähren. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt mit Schluss des Jahres in dem der Anspruch entstanden ist und der Auftraggeber/Bauherr von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§§ 193, 199 BGB).

Entscheidung

Im Jahr 2008 schlossen die Kläger mit der Beklagten einen Vertrag über die schlüsselfertige Erstellung eines Einfamilienhauses zu einem Preis von rund 160.000 Euro. Die vereinbarte Bauzeit betrug drei Monate. Für die schuldhafte Überschreitung der Bauzeit vereinbarten die Vertragsparteien eine Vertragsstrafe von 45 Euro pro Tag, maximal 5 Prozent des Pauschalpreises.

Die Arbeiten begannen im Juni 2008. Die Kläger zahlten Abschlagsrechnungen über rund 100.000 Euro wegen Unstimmigkeiten über die Vertragsgerechtheit der Leistungen nicht. Die Beklagte stellte die Arbeiten ein. Nach Aufforderung zur Wideraufnahme unter Fristsetzung und Kündigungsandrohung nahm die Beklagte die Arbeiten nur kurzfristig auf. Vergleichsgespräche im Zeitraum 2009 bis 2013 scheiterten. Die Beklagte erhob Klage wegen der offenen Abschlagsrechnungen, die wegen erheblicher Mangelhaftigkeit der Leistungen keinen Erfolg hatte und Mitte März 2013 abgewiesen wurde.

Ende März 2013 erklärten die Kläger schließlich den Rücktritt vom Vertrag und zogen nach einem Teilabriss und Neuherstellung Mitte Juni 2015 in das Haus ein.

Im März 2017 erhoben die Kläger Klage und machten Rückzahlung einer Überzahlung, Schadensersatz sowie Zahlung der Vertragsstrafe in Höhe von rund 166.000 Euro geltend. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von rund 60.000 Eurostattgegeben und im Übrigen abgewiesen. Beide Parteien legten Berufung ein. Der Kläger verstarb. Das Verfahren wurde von der Klägerin fortgeführt. Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen. Die Berufung der Beklagten hatte teilweise Erfolg. Das Berufungsgericht ließ die Revision zu.

In der Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche, mit Ausnahme der Überzahlung in Höhe von rund 6.800 Euro und der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, weiter.

Die Revision hat jedoch keinen Erfolg. Die Ansprüche der Klägerin sind verjährt.

Die geltend gemachten Ansprüche wegen Einlagerungskosten, Bereitstellungszinsen, aufgewandten Mietkosten und Nutzungsentgangs unterliegen der regelmäßigen Verjährung. Dies gilt sowohl für die vor Erklärung des Rücktritts im März 2013 eingetretenen Verzugsschäden als auch für die nachfolgend eingetretenen Verzugsschäden. Die vertraglich vereinbarte dreimonatige Bauzeit endete im September 2008, so dass sich die Beklagte spätesten mit Ablauf des Septembers 2008 in Verzug befand. Die Verjährungsfrist begann schließlich mit Schluss des Jahres 2008 zu laufen und endete damit mit Ablauf des 31. Dezember 2011.

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Der Schadensersatzanspruch entsteht grundsätzlich einheitlich auch für die erst in Zukunft entstehenden, adäquat verursachten, zurechenbaren und voraussehbaren Nachteile, sobald irgendein Teilschaden entstanden ist und gerichtlich geltend gemacht werden kann. Weiter führt der Bundesgerichtshof aus, dass „der gesamte Schaden, der auf einem bestimmten einheitlichen Verhalten beruht, bereits mit der ersten Vermögenseinbuße als eingetreten gilt, sofern mit den einzelnen Schadensfolgen bereits beim Auftreten des ersten Schadens gerechnet werden konnte. Die Verjährung des Schadensersatzanspruchs erfasst auch solche nachträglich eintretenden Schadensfolgen, die im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs als möglich voraussehbar waren.

Zur Hemmung der Verjährung, die mit dem früheren Schadenseintritt begonnen hat, ist die Erhebung einer Feststellungsklage erforderlich. Tritt eine als möglich voraussehbare Spätfolge ein, wird für sie keine selbständige Verjährungsfrist in Lauf gesetzt. Dem Geschädigten ist es in aller Regel zuzumuten, sich schon aufgrund der Kenntnis von der haftungsbegründenden (Erst-) Schädigung durch eine Feststellungsklage bezüglich aller weiteren Schadensfolgen gegen Verjährung zu sichern.

Die Klägerin konnte daher zumindest im Wege der Feststellungsklage auch die künftigen Ansprüche wegen Einlagerungskosten, Bereitstellungszinsen, aufgewandten Mietkosten und Nutzungsentgangs bereits 2008 geltend machen.

Die Vergleichsverhandlungen haben die Verjährung zwar gehemmt. Aber auch unter Berücksichtigung der Hemmung waren die Ansprüche zum Zeitpunkt der Klagerhebung im Jahr 2017 verjährt.

Auch der Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe ist verjährt. Diese wurde bereits im Jahr 2009 vollständig verwirkt (5 Prozent des Pauschalpreises).

Praxistipp

Die früher dreißigjährige regelmäßige Verjährungsfrist wurde zum 1. Januar 2002 auf drei Jahre verkürzt, was nach wie vor in der Praxis Probleme bereitet. Drei Jahre sind schnell vergangen. Der Auftraggeber/Bauherr sollte immer vom „Worst-Case-Szenario“ ausgehen und die kürzeste Verjährungsfrist annehmen. Verzugsschadensersatzansprüche werden bereits mit Eintritt des Verzuges fällig, so dass die mit Ablauf des Jahres beginnende Verjährungsfrist alle als mögliche Schadensfolgen erkennbare Schäden erfasst, auch wenn diese sich erst später realisieren.

Da noch nicht sämtliche Rechtsfragen geklärt sind, sollte daher eher früher als später gehandelt und geklagt werden. Soweit Ansprüche noch nicht beziffert werden können, ist Feststellungsklage zu erheben. OS

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