Ein Müllwagen muss nicht rückwärts fahren
Ein Grundstückseigentümer muss Abfallbehälteran einem geeigneten Abholort bereitstellen.
Problemstellung
Die sogenannte Nachverdichtung, insbesondere in den Städten, also das Schließen von Baulücken zugunsten des Wohnungsbaus, führt häufig dazu, dass Immobilien nicht mehr unmittelbar an einer öffentlichen Straße liegen, sondern erst durch mehr oder weniger breite und mehr oder weniger lange Zugangswege erschlossen werden. Das bringt gelegentlich zivilrechtliche, aber auch öffentlich-rechtliche Probleme mit sich, wie die folgende Entscheidung zeigt.
Die Entscheidung
Die Kläger sind Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks. Dieses Grundstück liegt nicht unmittelbar an der nächsten öffentlichen Straße, sondern wird über einen etwa drei Meter breiten und 50 Meter langen Zugangsweg erschlossen. Dieser Weg kann zwar mit Kraftfahrzeugen und auch von einem (schweren) Müllwagen befahren werden. Eine Möglichkeit zu wenden gibt es allerdings nicht. Die Kläger stellten zunächst ihre Mülltonnen an dem Zufahrtsweg an ihrem Grundstück auf. Das Entsorgungsunternehmen fuhr mit dem Müllwagen mangels Wendemöglichkeit rückwärts in den Weg hinein, um die dort aufgestellten Mülltonnen zu leeren.
Wie in vielen anderen Kommunen auch hatte der für die Abfallentsorgung zuständige Landkreis die Abfallentsorgung auf ein Privatunternehmen übertragen. Dieses Sammelunternehmen teilte dem später beklagten Landkreis mit, man sei nicht mehr bereit, das Grundstück der Kläger rückwärts über den Zufahrtsweg anzufahren. Eine Ortsbesichtigung durch Mitarbeiter des Landkreises bestätigte, dass es auf dem Zufahrtsweg der Kläger insbesondere für größere Fahrzeuge keine Wendemöglichkeit gibt und das Grundstück der Kläger deshalb nur rückwärts angefahren werden kann. Der Landkreis gab den Klägern deshalb mit Bescheid aus dem Februar 2019 auf, die Mülltonnen am jeweiligen Abholtag an der öffentlichen Straße zur Abholung bereitzustellen. Der Landkreis begründete diesen Bescheid mit ansonsten nicht einzuhaltenden Unfallverhütungsvorschriften. Gegen diesen Bescheid wendeten sich die Kläger mit einer Anfechtungsklage an das Verwaltungsgericht. Sie argumentierten, ein kurzes Zurücksetzen des Müllwagens, hier lediglich um 50 Meter, sei auch nach den Unfallverhütungsvorschriften zulässig. Das Sammelunternehmen fahre auch andere Grundstücke in Stichstraßen rückwärts an. Schließlich könne der Müllwagen auch auf der zu dem Nachbargrundstück gehörenden Parkplatzfläche wenden.
Das Gericht gab dem beklagten Landkreis Recht und bestätigte den Bescheid. Nach § 14 SGB VII (Unfallversicherung) haben die Unfallversicherungsträger mit allen geeigneten Mitteln für die Verhütung von Arbeitsunfällen zu sorgen. Nach § 15 SGB VII dürfen sie dazu Unfallverhütungsvorschriften erlassen, deren Einhaltung von den Unfallversicherungsträgern zu überwachen und durchzusetzen ist und deren Verletzung bei Arbeitsunfällen zu Regressansprüchen gegenüber dem Arbeitgeber nach § 110 SGB VII führen können. Diese Unfallverhütungsvorschriften werden als „DGUV-Regeln“ bezeichnet. Die DGUV-Regeln Nr. 43 und 44 betreffen die Müllbeseitigung. Nach § 16 Ziff. 1 dieser Vorschrift darf Müll nur abgeholt werden, wenn die Zufahrt zu den Müllbehälterstandplätzen so angelegt ist, dass ein Rückwärtsfahren nicht erforderlich ist. Bei Sackgassen muss die Möglichkeit bestehen, am Ende der Straße zu wenden.
Die Unfallverhütungsvorschriften gelten natürlich auch für öffentliche oder private Abfallunternehmen. Zur Absicherung haben die Landkreise und Kommunen deren Einhaltung in aller Regel in ihre Abfallsatzungen integriert. So heißt es etwa in der Abfallwirtschaftssatzung der Berliner Stadtreinigungsbetriebe in § 9:
„Der für die Behälter bestimmte Standplatz und der für die Entleerungen zu nutzende Transportweg …. müssen den Erfordernissen der Bauordnung Berlin …. entsprechen. Um ihre Pflichten zum Arbeitsschutz sowie zur gesetzlichen Unfallversicherung zu erfüllen, können die Berliner Stadtreinigungsbetriebe weitere Anforderungen stellen.“
Solche oder vergleichbare Vorschriften finden sich in zahlreichen, wenn nicht sogar allen Abfallsatzungen. Damit ist die Forderung des Landkreises an die Kläger, ihre Mülltonnen künftig nach vorne an die Straße zu stellen, rechtmäßig. Eine Rückwärtsfahrstrecke von 50 Meter ist kein „kurzes Zurücksetzen“, das die Unfallverhütungsvorschriften zulassen. Ein „kurzes Zurücksetzen“ liegt nur vor, wenn das aus technischen Gründen notwendig ist, wie z.B. beim Absetzen eines großen Containers.
Auch das Argument der Kläger, in anderen Stichstraßen fahre der Müllwagen auch rückwärts, hilft nicht weiter. Selbst wenn das so wäre, ist der Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften an der einen Stelle kein Grund dafür, das auch an einer anderen Stelle zu verlangen. Etwas ernster zu nehmen ist das Argument, der Müllwagen könne die auf dem Nachbargrundstück angelegte Parkfläche zum Wenden benutzen. Das ist zwar technisch möglich, aber weder rechtlich noch praktisch abgesichert. Was soll der Müllwagenfahrer tun, wenn die Nachbarn ihren Parkplatz zweckgemäß dazu nutzen, ihr Fahrzeug dort abzustellen?
Konsequenzen
Die Entscheidung ist für sich betrachtet nicht bahnbrechend. Sie zeigt aber, wie auch nicht-baurechtliche Fragen Einfluss auf die Planung von Bauvorhaben nehmen können, zumal diese Anforderungen gelegentlich aus Rechtsgebieten kommen, mit denen man als Bauherr nicht unbedingt rechnet. Schon bei der Planung, aber auch bei der Verwaltung einer Immobilie darf man diese nicht nur als Bauwerk betrachten, sondern muss auch die Einbindung in private oder öffentlich-rechtliche Versorgungssysteme berücksichtigen. Im vorliegenden Fall handelte es sich offenbar um ein Einfamilienhaus, sodass es bei der Frage, wo die Mülltonnen zur Abholung bereitgestellt werden müssen, eher um eine Lästigkeit geht. Bei einem Mehrfamilienhaus mit einer größeren Zahl von Tonnen oder gar Müllcontainern stellt sich das Problem etwas anders dar.
Praxistipp
Die Einbindung einer Immobilie in Versorgungssysteme muss langfristig und auch in die Zukunft hinein nach Möglichkeit bedacht werden. Nicht nur Platz und Wege für die Abfallentsorgung, sondern auch die Zugänglichkeit von Versorgungsleitungen oder auch Raum für zukünftige Leitungen (Glasfaser-anschluss, zwingender Anschluss an Fernwärmenetze etc.) müssen berücksichtigt werden. Aus dieser Einbindung resultieren unter Umständen auch Serviceleistungen, die sich dann im Verwaltervertrag niederschlagen müssen. JM
1. Ein Verbraucherbauvertrag (§ 650i BGB) liegt nicht vor, wenn der Auftragnehmer nur mit der Herstellung eines einzelnen Gewerks beauftragt wird, die dem Bau eines neuen Gebäudes oder erheblichen Umbaumaßnahmen dienen.
2. Werden die Gewerke für den Bau eines neuen Gebäudes oder für erhebliche Umbaumaßnahmen einzeln vergeben, sind die dem Schutz des Auftraggebers dienenden Vorschriften, die für einen Verbraucherbauvertrag gelten, nicht anwendbar.
3. Der Auftragnehmer hat bei Einzelgewerkevergabe, anders als bei einem Verbraucherbauvertrag, einen Anspruch auf eine Bauhandwerkersicherung (§ 650f BGB).
(Leitsätze des Bearbeiters)
Problemstellung
Für seit dem 1. Januar 2018 geschlossene Werkverträge ist in § 650a BGB definiert, was ein Bauvertrag ist. Ein Bauvertrag ist eine Vertrag über die Herstellung, die Wiederherstellung, die Beseitigung oder den Umbau eines Bauwerks, einer Außenanlage oder eines Teils davon. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber für solche Verträge eine Vielzahl von neuen gesetzlichen Regelungen eingeführt und auch verbraucherschützende Normen geschaffen, die in dieser Form zuvor nicht existierten.
So gelten für Verbraucherbauverträge besondere Regelungen. Zu nennen sind u.a. ein spezielles Widerrufsrecht des Auftraggebers (§ 650l BGB) oder der Ausschluss des Auftragnehmers aus einer Bauhandwerkersicherung (§ 650f BGB). Ein Anspruch auf Bauhandwerkersicherung besteht nach § 650f Abs. 6 BGB nämlich u.a. nicht, wenn der Auftraggeber Verbraucher ist und es sich um einen Verbraucherbauvertrag nach § 650i BGB handelt.
Nach § 650i BGB sind Verbraucherbauverträge Verträge, durch die der Unternehmer (Auftragnehmer) von einem Verbraucher zum Bau eines neuen Gebäudes oder zu erheblichen Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude verpflichtet wird.
Beauftragen Verbraucher einen Auftragnehmer, z.B. mit der schlüsselfertigen Errichtung eines Einfamilienhauses, liegt ein Verbraucherbauvertrag vor. Allerdings werden eine nicht unerhebliche Zahl von Verträgen über die Herstellung eines Neubaus nicht mit einem sog. Generalunternehmer geschlossen, sondern die zur Herstellung erforderlichen Gewerke einzeln vergeben. Die Frage stellt sich z.B. beim Bau sog. Architektenhäuser, bei denen ein Architekt das Gebäude plant und die Gewerke an verschiedene Auftragnehmer vergeben werden.
Auch wenn der Wortlaut des Gesetzes (§ 650i BGB) dafür spricht, dass bei einer Einzelgewerkevergabe die für Verbraucherbauverträge geltenden Regelungen keine Anwendung finden, war dies bislang umstritten.
Der Bundesgerichtshof hat nunmehr für eine erste Klärung gesorgt.
Entscheidung
Private Bauherren beauftragten einzelne Bauunternehmer mit den für die Herstellung eines Neubaus erforderlichen Gewerke. Der mit Innen- und Außenputzarbeiten beauftragte Bauunternehmer stellte Abschlagsrechnungen, die die Bauherren nur teilweise beglichen.
Der Bauunternehmer forderte daraufhin die Stellung einer Bauhandwerkersicherheit (§ 650f BGB) in Höhe der strittigen Forderung. Die Bauherren stellen diese nicht, woraufhin der Bauunternehmer Klage auf Sicherheitsleistung erhebt. Das Landgericht hat die Bauherren zur Sicherheitsleistung verurteilt. Die Bauherren zahlten schließlich die offene Forderung und legten gegen das Urteil, mit denen sie zur Sicherheitsleistung verurteilt wurden, Berufung ein. Aufgrund der zwischenzeitlichen Zahlung erklärte der Bauunternehmer den Rechtsstreit für erledigt. Dem widersprachen die Bauherren und vertraten die Auffassung, dass der Bauunternehmer keinen Anspruch auf Bauhandwerkersicherung hatte, da die verbraucherschützende Regelung des § 650f Abs. 6 BGB einen Anspruch des Bauunternehmers ausschließe.
Dem folgt das Berufungsgericht und meint, dass die Klage des Bauunternehmers von Anfang an unbegründet gewesen sei. Die hiergegen gerichtete Revision des Bauunternehmers hat Erfolg.
Der Bundesgerichtshof bestätigt die Auffassung des Landgerichts und entscheidet erstmalig die Frage, ob bei einer gewerkeweisen Vergabe von Bauleistungen ein Verbrauchervertrag i.S.v. § 650i BGB vorliegt.
Der Bundesgerichtshof verneint dies. Damit hatte der Bauunternehmer einen Anspruch auf Bauhandwerkersicherheit. Die Klage war damit zunächst begründet und hatte sich durch die Zahlung erledigt. Die Bauherren haben daher die Verfahrens-kosten zu tragen.
Konsequenzen
Die Entscheidung schafft erste Klarheit. Bei Einzelgewerkevergabe liegen keine Verbraucherbauverträge vor. Der Grenzbereich ist allerdings noch nicht näher geklärt. Oftmals werden einzelne Gewerke direkt vergeben, die wesentlichen Leistungen für die Herstellung erfolgen jedoch aus einer Hand. Werden einzelne Ausbaugewerke, z.B. die Malerarbeiten oder Bodenbelagsarbeiten, als sog. Eigenleistung der Bauherren aus einem sog. Generalunternehmervertrag herausgenommen, dürfte es sich bei dem mit dem Generalunternehmer geschlossenen Vertrag immer noch um einen Verbraucherbauvertrag handeln. Die Kriterien für eine Abgrenzung wird die Rechtsprechung erst in Zukunft entwickeln.
Praxistipp
Gerade für Bauherren, die ihr „Traumhaus“ im Wege der Einzelgewerkevergabe realisieren wollen, ist die Entscheidung von existenzieller Bedeutung. Es muss nämlich bereits im Rahmen der Finanzierung geklärt werden, ob die Bauherren in der Lage und die finanzierende(n) Bank(en) willens sind, im Falle der Forderung einer Sicherheit nach § 650f BGB, der Forderung auch nachzukommen.
Theoretisch ist es nämlich möglich, dass sämtliche Bauunternehmer unmittelbar nach Vertragsschluss eine jeweils 100-prozentige Sicherung ihres Vergütungsanspruchs fordern. Übliches Sicherungsmittel sind Bürgschaften. Zwar werden Bauunternehmer in der Regel von ihrem Sicherungsanspruch nur Gebrauch machen, wenn Abschlagsrechnungen nicht bezahlt oder andere Differenzen aufgetreten sind. Allerdings hat der Auftraggeber bei Abforderung der Sicherheit diese kurzfristig, in der Regel innerhalb von sieben bis vierzehn Tagen, zu stellen. Stellt er die Sicherheit nicht, kann der Auftragnehmer unter bestimmten Voraussetzungen den Vertrag kündigen oder die Leistung einstellen. Zudem kann er den Anspruch auf Sicherheit einklagen.
Im Grunde muss daher bei Einzelgewerkevergabe bereits bei der Finanzierung die etwaige Stellung von Bauhandwerkersicherheiten berücksichtigt werden. Die Standardfinanzierungen berücksichtigen dies derzeit nicht. OS
1. Ein zwischen dem Bauträger und einem Sachverständigen geschlossener Vertrag über die Feststellung der Abnahmefähigkeit des Gemeinschaftseigentums kann Schutzwirkung zugunsten der Erwerber entfalten.
2. Ein Sachverständiger, der mit der technischen Abnahme neu errichteten Gemeinschaftseigentums beauftragt ist, hat, sofern sich aus dem Vertrag nichts anderes ergibt, das Bauwerk nur auf bereits gerügte Mängel zu überprüfen und im Übrigen das Bauwerk einer Sichtprüfung zu unterziehen.
3. Der vom Bauträger mit der technischen Abnahme beauftragte Sachverständige kann, wenn er Mängel nicht feststellt, die im Rahmen der von ihm geschuldeten Überprüfung und Untersuchung erkennbar waren, den Erwerbern gegenüber haften.
4. Die Wohnungseigentümergemeinschaft kann Ansprüche gegen den Sachverständigen jedenfalls dann geltend machen, wenn die Eigentümer durch Beschlussfassung die Ansprüche der einzelnen Erwerber vergemeinschaftet haben.
(Leitsätze des Bearbeiters)
Problemstellung
Diverse Bauträgerverträge sehen vor der Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch den jeweiligen Erwerber eine technische Abnahme durch einen vom Bauträger beauftragten Sachverständigen vor. Teilweise sehen die Verträge auch vor, dass sich Bauträger und WEG die Kosten für diesen Sachverständigen teilen sollen.
Der Einsatz eines technischen Sachverständigen soll die Abnahme des Gemeinschaftseigentums vereinfachen. Zwar können Erwerber vertraglich nicht verpflichtet werden, die Abnahme zu erklären, wenn der Sachverständige das Gemeinschaftseigentum für technisch abnahmefähig hält. Ältere Vertragsklauseln in Bauträgerverträgen, die solche Bindungen oder gar die Abnahme durch eine Sachverständigen vorsahen,waren und sind regelmäßig unwirksam.
Gleichwohl fördert eine technische Abnahme durch einen Sachverständigen in der Praxis die Abnahmebereitschaft der Erwerber. Es stellt sich, wenn später Mängel festgestellt werden, die der Sachverständige nicht erkannt hat, die Frage, unter welchen Voraussetzungen er für nicht festgestellte Mängel haftet und ob die Erwerber oder die Wohnungseigentümergemeinschaft Ansprüche gegen den Sachverständigen auch dann geltend machen können, wenn nur der Bauträger den Sachverständigen beauftragt hat.
Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn der Bauträger finanziell nicht mehr in der Lage ist, Mängel beseitigen zu lassen oder für die Kosten der Mangelbeseitigung einzustehen. Der Sachverständige unterhält nämlich anders als der Bauträger in der Regel eine Versicherung, die entsprechende Pflichtverletzungen abdeckt.
Entscheidung
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft nimmt einen Sachverständigen, der im Auftrag eines Bauträgers die technische Abnahme des Gemeinschaftseigentums durchgeführt hatte, auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Bauträger hatte ein Bestandsgebäude saniert und in dem Gewerbeloft acht Eigentumswohnungen errichtet und veräußert. Die Bauträgerverträge sahen jeweils vor, dass ein amtlich bestellter Bausachverständiger zur Vorbereitung der Abnahme durch die Käufer eine technische Abnahme des Gemeinschaftseigentums vornehmen sollte. Die Kosten sollten vom Bauträger und der Wohnungseigentümergemeinschaft je zur Hälfte getragen werden.
Der beklagte Sachverständige führte im September 2015 eine Begehung durch und wies in seinem Protokoll diverse Mängel und Restarbeiten hin, bestätigte aber die Abnahmefähigkeit. Ende Oktober 2015 fand eine weitere Begehung statt, die insbesondere dazu diente, die Beseitigung der zuvor festgestellten Mängel sowie die Restfertigstellung zu überprüfen. Der Sachverständige bestätigte in einem weiteren Protokoll erneut die Abnahmefähigkeit. Bei beiden Terminen war kein Erwerber zugegen. Der Sachverständige rechnete gegenüber dem Bauträger ab. Die Wohnungseigentümergemeinschaft erstattete dem Bauträger die Hälfte der Rechnung.
Im Sommer 2016 traten im Keller Feuchtigkeitserscheinungen auf. Der Bauträger lehnte eine Mangelbeseitigung ab. Die Wohnungseigentümergemeinschaft leitete daraufhin gegen den Bauträger ein selbstständiges Beweisverfahren ein.
Im Jahr 2018 verklagte die Wohnungseigentümergemeinschaft schließlich den Sachverständigen, da Kelleraußenwand und Bodenplatte vor Anbringung der Dämmplatten gegen Feuchtigkeit hätten abgedichtet werden müssen und im Kellerbereich Putz und Estrich trotz vorhandener Feuchtigkeit regelwidrig aufgebracht worden seien. Der Sachverständige hätte keine Abnahmefähigkeit feststellen dürfen und hafte daher für den Schaden von rund 80.000 Euro. Zwar habe zwischen den Erwerbern und dem Sachverständigen kein Vertragsverhältnis bestanden, es habe sich aber zumindest um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gehandelt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da die Erwerber die Ansprüche nicht vergemeinschaftet hatten. Zudem habe zwischen dem Sachverständigen und den Erwerbern bzw. der Wohnungseigentümergemeinschaft kein Schuldverhältnis bestanden. Auch habe der Sachverständige keine Pflicht aus dem Vertrag verletzt.
Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft legt gegen das Urteil Berufung ein. Im Ergebnis ohne Erfolg.
Die WEG war berechtigt, die Ansprüche geltend zu machen, nachdem sie noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht die Ansprüche vergemeinschaftet und die Verfahrensführung an sich gezogen hatte. Aufgrund dieser Vergemeinschaftung konnte das Gericht offen-lassen, ob die WEG unmittelbar berechtigt ist, gemeinschaftsbezogene Ansprüche geltend zu machen.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz bejaht das Oberlandesgericht auch ein Schuldverhältnis zwischen Sachverständigem und den Erwerbern, nämlich einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Die für die Annahme eines solchen Vertrages mit Schutzwirkung Dritter erforderliche Leistungsnähe der Erwerber ergibt sich daraus, dass die technische Abnahme der Vorbereitung der werkvertraglichen Abnahme durch die Erwerber diente.
Ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter kommt allerdings dann nicht in Betracht, wenn die Erwerber aufgrund eigener vertraglicher Ansprüche gegen den Bauträger nicht schutzbedürftig sind. Allerdings wird hiervon eine Ausnahme gemacht, wenn die Schutzwirkung der Insolvenz des Bauträgers entgegenwirken soll. Dies bejaht das Oberlandesgericht, da die sachkundige Beratung auch dazu dienen sollte, die Schlusszahlungen an den Bauträger freizugeben, um auf diese Weise eine etwaig erforderliche Mangelbeseitigung oder Fertigstellung auch im Fall einer Insolvenz der Nebenintervenientin finanziell sicherzustellen.
Die Klage scheitert letztlich an dem Fehlen einer Pflichtverletzung des Sachverständigen. Der Sachverständige hat nämlich nur für Mängel einzustehen, die er bei der technischen Abnahme auch hätte erkennen können und müssen. Da kein vom Sachverständigen zu leistendes „Prüfprogramm“ vereinbart war, schuldete der Sachverständige die üblicherweise zu erwartende Prüfdichte. Danach waren bereits gerügte und bekannte Mängel zu überprüfen. Bauteilöffnungen oder andere Untersuchungsmethoden, wie z.B. der Einsatz eines Feuchtemessgerätes, schuldete der Sachverständige nur, wenn es erkennbaren Anlass für solche Untersuchungen gab.
Dies verneint das Oberlandesgericht, da zum Zeitpunkt der Begutachtung durch den Sachverständigen keine Feuchtigkeitssymptome vorhanden waren.
Die Klage hatte daher keinen Erfolg.
Konsequenzen
Vertragliche Ansprüche kommen gegenüber einem Sachverständigen grundsätzlich nur bei einer direkten Vertragsbeziehung zwischen dem Geschädigten und dem Sachverständigen in Betracht. Nur inAusnahmefällen werden die geschädigten Dritten – hier die Erwerber – in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen. Die Hürden hierfür sind hoch.
Hinzu kommt, dass es einer für den Schaden kausalen Pflichtverletzung bedarf, der Sachverständige also den Mangel hätte erkennen können und müssen. Die hängt davon ab, welche Leistungen dem Sachverständigen übertragen werden. Fehlt es, wie so oft, an einer konkreten Beschreibung des „Prüfprogramms“ schuldet der Sachverständige nur dann intensivere Untersuchungen, wenn es Hinweise auf entsprechende Mängel oder Mängelsymptome gibt.
Praxistipp
Die Frage, ob die WEG seit der Neufassung des Wohnungseigentumsgesetzes ohne vorherige Beschlussfassung gemeinschaftsbezogene Ansprüche geltend machen kann, ist noch nicht geklärt. Erwerber, Wohnungseigentümer und Verwalter müssen daher auf Nummer sicher gehen und einen Vergemeinschaftungsbeschluss fassen. Ansonsten kann die Geltendmachung von gemeinschaftsbezogenen Ansprüchen der Erwerber bereits an der fehlenden Berechtigung der Wohnungseigentümergemeinschaft scheitern.
Beauftragt die Eigentümergemeinschaft einen Sachverständigen, stellt sich aber ebenso die Frage, ob den Erwerbern entstehende Schäden, die keine Schäden der Wohnungseigentümergemeinschaft darstellen, von dieser geltend gemacht werden können. Dies ist meines Erachtens zu bejahen, da die Wohnungseigentümergemeinschaft solche Ansprüche zumindest im Wege der sog. Drittschadensliquidation geltend machen können dürfte. OS
Dr. Olaf Steckhan
Dr. Jonas Müller
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