Tagesordnung einer Eigentümerversammlung bestimmt nicht der Verwalter

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Bild: Andrey Popov/stock.adobe.com
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1. Wohnungseigentümer haben grundsätzlich Anspruch auf Aufnahme von Tagesordnungspunkten und Beschlussanträgen auf die Tagesordnung der anstehenden Wohnungseigentümerversammlung.

2. Der Verwalter hat grundsätzlich kein Recht, über die Aufnahme bzw. Nichtaufnahme von Tagesordnungspunkten und Beschlussanträgen zu befinden.

3. Nur in den Fällen, in denen die begehrten Tagesordnungspunkte und Beschlussanträge rechtsmissbräuchlich sind, darf der Verwalter von einer Aufnahme auf die Tagesordnung absehen.

(Leitsätze des Bearbeiters)

LG Hamburg, Beschluss vom 13.07.2022 – 318 T 16/22

Problemstellung

Wohnungseigentümer und Verwalter haben regelmäßig ein Interesse daran, dass die Wohnungseigentümerversammlung nicht mit Themen überfrachtet wird. Oftmals bildet sich in Wohnungseigentümergemeinschaften eine Mehrheitsfraktion, gegen die nur einzelne Wohnungseigentümer opponieren. Da jedem Wohnungseigentümer das Recht zusteht, eigene Tagesordnungspunkte und Beschlussanträge auf die Tagesordnung einer Wohnungseigentümerversammlung aufzunehmen, stellt sich die Frage, ob und wann ein Verwalter die Aufnahme ablehnen kann.

In der Praxis finden sich nicht selten Fälle, in denen der Verwalter seine gebotene Neutralität aufgibt und im Sinne der Mehrheit die Aufnahme von Tagesordnungspunkten und Beschlussanträgen ablehnt. Dabei verkennen die Verwalter, dass ihnen grundsätzlich kein materielles oder formelles Prüfungsrecht zusteht.

Entscheidung

Ein Wohnungseigentümer begehrt die Aufnahme von Beschlussanträgen auf die Tagesordnung der anstehenden Wohnungseigentümerversammlung. Der Verwalter lehnt dies ab, woraufhin der Wohnungseigentümer Klage auf Aufnahme seiner Beschlussanträge erhebt.

Dies geschieht schließlich noch vor Zustellung der Klage, woraufhin der klagende Wohnungseigentümer die Klage zurücknimmt und beantragt, der Wohnungseigentümergemeinschaft die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Mit Erfolg!

Jeder Wohnungseigentümer hat Anspruch auf die Aufnahme eines Tagesordnungspunktes, wenn sachliche Gründe vorliegen, den Gegenstand zu erörtern und zum Gegenstand der Abstimmung zu machen. Dem Verwalter steht dabei grundsätzlich keine eigenes Prüfungsrecht zu, ob der Tagesordnungspunkt und die begehrte Beschlussfassung notwendig, richtig oder sachlich ist. Lediglich in Ausnahmefällen, in denen die begehrten Tagesordnungspunkte und Beschlussfassungen rechtsmissbräuchlich sind, kann der Verwalter von einer Aufnahme absehen.

Dies ist dann der Fall, wenn das Begehren die Gefährdung der Versammlung zum Ziel hat oder dazu dient, die Versammlung ihres Zwecks zu berauben. Die begehrten Beschlussfassungen dürfen auch nicht von vornherein rechtswidrig sein.

Eine Rechtswidrigkeit der begehrten Beschlussfassungen vermochte das Gericht ebenso wenig zu erkennen, wie ein rechtmissbräuchliches Vorgehen. Die Wohnungseigentümergemeinschaft hat daher die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Hinweis

Verwalter sind nicht dazu berufen, über die begehrten Beschlussfassungen vorab zu richten oder eine Beschlussfassung durch die eigene Entscheidung der Nichtaufnahme auf die Tagesordnung zu verhindern. Selbst wenn auf einen Verwalter entsprechender Druck von Seiten der Mehrheit der Wohnungseigentümer oder durch den Verwaltungsbeirat ausgeübt wird, hat er dem zu widerstehen. Verwalter haben neutral zu sein und sind eben gerade nicht gleichzeitig auch „Sachverständiger und Richter“ in einer Person.

Praxistipp

Verwalter sollten grundsätzlich Beschlussanträge immer auf die Tagesordnung setzen, es sei denn diese sind offensichtlich querulatorisch oder rechtswidrig oder ihr Gegenstand betrifft bereits sachlich nicht die Wohnungseigentümergemeinschaft. Im Zweifel ist es besser, Beschlussanträge aufzunehmen, zumal im Falle der erfolgreichen Klage des betroffenen Wohnungseigentümers dem Verwalter die Kosten des Rechtsstreits auferlegt werden können. Zudem drohen dem Verwalter daneben auch Schadensersatzansprüche durch die Wohnungseigentümergemeinschaft, wenn sie durch die pflichtwidrige Nichtaufnahme von Beschlussanträgen Schäden erleiden. Hinzu kommt, dass die einseitige Parteinahme für die Mehrheit der Wohnungseigentümer und die damit verbundene Aufgabe der Neutralität einen Abberufungsgrund darstellen kann.

Wohnungseigentümer, die eigene Beschlussanträge auf die Tagesordnung bringen wollen, sollten ihre „Punkte“ bündeln und nicht versuchen die Tagesordnung zu überfrachten.

Wenn damit zu rechnen ist, dass in Anbetracht der Vielzahl von Tagesordnungspunkten und Beschlussanträgen mit einer langen Versammlungsdauer zu rechnen ist, kann dem Ausufern einer Wohnungseigentümerversammlung durch eine Begrenzung der Redezeit begegnet werden. Über die Redezeit kann durch einen Geschäftsordnungsbeschluss auf der Versammlung durch Stimmenmehrheit beschlossen werden, sofern die Teilungserklärung nicht anderes vorsieht. Solche Redezeitbegrenzungen müssen allerdings so bemessen sein, dass jedem Wohnungseigentümer ausreichend Redezeit zu Erläuterung seiner Anliegen zur Verfügung steht. Redezeitbegrenzungen, die dazu dienen einzelne Wohnungseigentümer auszubooten, führen hingegen in der Regel zur Anfechtbarkeit der Beschlüsse, bei denen ein Wohnungseigentümer keine Gelegenheit hatte, ausreichend zu Wort zu kommen. Fingerspitzengefühl ist gefragt. OS

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