Teilnahme und Vertretung in der Eigentümerversammlung

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Bild: Ingo Bartussek/stock.adobe.com
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In Ausnahmefällen muss auch ein Vertreter akzeptiert werden, der in der Teilungserklärung ausgeschlossen ist.

Amtsgericht Bottrop, Urteil vom 8. Juni 2022 – 20 C 30/21

Problemstellung

Das Recht, an der Eigentümerversammlung teilzunehmen und damit die Mitgliedschaftsrechte auszuüben, gilt nach absolut herrschender Meinung als das vornehmste Recht eines jeden Wohnungseigentümers. Um in der Eigentümerversammlung „unter sich“ zu bleiben, sehen viele Teilungserklärungen vor, dass eine Vertretung auf der Eigentümerversammlung nur durch bestimmte Personen wie etwa Ehegatten oder andere Wohnungseigentümer zulässig ist. Das stößt in Ausnahmefällen an Grenzen, wie die hier besprochene Entscheidung zeigt.

Die Entscheidung

Die Kläger, ein Ehepaar, waren Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft in Bottrop. Beide Miteigentümer waren hochbetagt. Der Ehemann verstarb während des Prozesses. Die Klägerin stand zum Zeitpunkt der letzten Eigentümerversammlung unter Betreuung und war seit etwa drei Monaten vollstationär in einem Pflegeheim untergebracht, was den übrigen Eigentümern auch bekannt war. Auf der Eigentümerversammlung im Herbst 2021 wurden Beschlüsse zur Hausgeldabrechnung, zum Wirtschaftsplan und zur Beauftragung eines Sachverständigen gefasst, der die Ursachen von Feuchtigkeit im Kellerbereich aufklären sollte.

An der Eigentümerversammlung wollte ein Vertreter der Kläger, mutmaßlich der Betreuer, teilnehmen. Die anwesenden Eigentümer lehnten eine Teilnahme des Vertreters mehrheitlich ab. Die Kläger erhoben deshalb Beschlussanfechtungsklage und argumentierten, ihnen sei es persönlich nicht möglich gewesen, der Eigentümerversammlung teilzunehmen. Der Ausschluss eines Vertreters sei deshalb nicht rechtmäßig und führe zur Unwirksamkeit der auf der Eigentümerversammlung gefassten Beschlüsse.

Die Wohnungseigentümergemeinschaft hingegen verwies auf die Teilungserklärung. Dort war geregelt, dass eine Vertretung in der Eigentümerversammlung nur durch den Ehegatten oder einen anderen Wohnungseigentümer zulässig ist. Über die Vertretung von Eigentümern durch externe Personen muss die Eigentümerversammlung mit Mehrheit entscheiden. Das Gericht gab den Klägern recht und erklärte die Beschlüsse für unwirksam.

In seiner Begründung verwies das Gericht darauf, dass grundsätzlich die rechtsgeschäftliche Vertretung eines Wohnungseigentümers in einer Versammlung zulässig ist. Das ist keine Besonderheit des Wohnungseigentumsrechts. Grundsätzlich kann sich jeder bei der Vornahme von Rechtsgeschäften von einem anderen vertreten lassen. Davon gibt es nur wenige Ausnahmen wie etwa die Eheschließung. Umgekehrt gilt genauso, dass der jeweilige Vertragspartner eine Stellvertretung des Anderen nicht akzeptieren muss und auf einer höchstpersönlichen Vornahme bestehen darf. Das ist Ausdruck der Freiheit, Verträge zu schließen oder es eben auch zu lassen. Deshalb ist es grundsätzlich auch zulässig, dass Wohnungseigentümergemeinschaften die Vertretungsmöglichkeiten auf bestimmte Personenkreise beschränken.

Diese Freiheit in der Rechtsgestaltung darf nun umgekehrt nicht dazu führen, dass elementare Rechte des jeweiligen Vertragspartners, hier der Kläger, unzumutbar eingeschränkt werden. Das Recht zur Teilnahme an der Mitgliederversammlung gehört zu den unantastbaren Mitgliedschaftsrechten der jeweiligen Wohnungseigentümer. Beiden Eheleuten war es nicht nur nicht möglich, persönlich an der Eigentümerversammlung teilzunehmen. Aufgrund ihres Alters bzw. ihrer Erkrankung und Pflegebedürftigkeit konnten die Kläger auch nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen, sich von dem jeweiligen Ehegatten vertreten zu lassen. Auf die Möglichkeit, sich von einem anderen Miteigentümer vertreten zu lassen, müssen sich die Kläger nicht verweisen lassen. Bei dem Recht, an der Eigentümerversammlung teilzunehmen, geht es nämlich nicht (nur) darum, dass bestimmte Miteigentumsanteile auf der Versammlung vertreten sind, sondern auch darum, als Miteigentümer argumentativ tätig an der Versammlung teilnehmen zu können. Der Ausschluss des Parteivertreters aus der Eigentümerversammlung verstößt damit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, weil es einerseits den Klägern nicht möglich war, an der Eigentümerversammlung teilzunehmen, andererseits der Eigentümerversammlung durchaus zuzumuten war, einen externen Vertreter zu akzeptieren.

Konsequenzen

Die Entscheidung zeigt, dass das Beharren auf formalen Regeln dann zur Unwirksamkeit von Beschlüssen (oder anderen rechtsgeschäftlichen Handlungen) führt, wenn es gar nicht mehr um den Zweck geht, der mit der formalen Regel verfolgt wird, sondern um ein ganz anderes Ziel. Die in wohl fast allen Teilungserklärungen enthaltenen Regeln, die die Stellvertretung der Wohnungseigentümer auf der Eigentümerversammlung beschränken, haben den Zweck, dafür zu sorgen, dass an der Eigentümerversammlung nur Personen teilnehmen, die eine gewisse inhaltliche Nähe zur Wohnungseigentümergemeinschaft haben, also die Verhältnisse der Immobilie kennen, die Nachbarn und Miteigentümer kennen etc. Diese formalen Regelungen sollen aber nicht dazu dienen, die schwierige Situation eventuell missliebiger Eigentümer („Querulanten“) auszunutzen, um sie an der Ausübung ihres Stimmrechts zu hindern.

Praxistipp

Der (unrechtmäßige) Ausschluss von Teilnehmern und Vertretern von der Teilnahme an der Wohnungseigentümerversammlung stellt einen so schwerwiegenden Eingriff in die Kernkompetenzen eines Miteigentümers dar, dass allein dieser Verstoß die auf der Eigentümerversammlung gefassten Beschlüsse unwirksam macht. Auf die Frage, ob sich an dem Abstimmungsergebnis etwas geändert hätte, wenn der ausgeschlossene Vertreter an der Versammlung teilgenommen hätte (sogenannte hypothetische Kausalität) kommt es deshalb gar nicht mehr an. Das ist insbesondere für Wohnungsverwalter riskant, die im Anschluss an mangelbehaftete Eigentümerversammlungen auf Ersatz der Kosten der Beschluss Anfechtungsklage und der wiederholten Eigentümerversammlung in Anspruch genommen werden. Der Verwalter muss deshalb im Vorfeld der Eigentümerversammlung zum einen dafür sorgen, dass tatsächlich alle aktuellen Eigentümer zur Versammlung eingeladen werden, zum anderen dafür, dass die Regelungen zur Stellvertretung und Teilnahme an der Eigentümerversammlung richtig angewendet werden. JM

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Seite 46 bis 47
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