Gesamtabrechnung

Bevor die Jahresgesamtabrechnung einer Wohneigentumsanlage und die Einzelabrechnungen aller Miteigentümer genehmigt werden, muß jeder einzelne Eigentümer die Möglichkeit haben, alle Einzelabrechnungen zu prüfen - auch die der anderen Eigentümer. Dazu genügt es nicht, die Abrechnungen lediglich im Büro des Verwalters einsehen zu können.

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Aus den Entscheidungsgründen

Die in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstandende sofortige
weitere Beschwerde (§§ 45 Abs. 1 WEG, 27, 29 FGG) hat in der Sache
keinen Erfolg. Der angefochtene Beschluß läßt Rechtsfehler
im Sinne der §§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO nicht erkennen.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist der Beschluß
in der Eigentümerversammlung vom 15. 5. 1995 über die
Wohngeldabrechnung der gesamten Gemeinschaft nicht bestandskräftig
geworden. Der Antrag des Antragstellers, nach § 43 Abs. 1 Nr. 1
WEG die Unwirksamkeit der unter Tagesordnungspunkt 3 (Wohngeldabrechnung
1993) der Eigentümerversammlung von 15. 5. 1995 gefaßten
Beschlüsse zu erklären, erfaßt nicht nur die ihm
gegenüber erfolgte Einzelabrechnung, sondern auch die Gesamtabrechnung.
Dies ergibt sich bei verständiger Auslegung des Anfechtungsantrags
vom 30. 5. 1995 in Verbindung mit seiner Begründung vom 3.
7. 1995. Der Wortlaut des Antrags zielt auf die Aufhebung aller
unter Tagesordnungspunkt 3 - nämlich die Wohngeldabrechnung
für 1993 - gefaßten Beschlüsse ab. Auch in der Anfechtungsbegründung
wird darauf hingewiesen, daß "die gesamte Abrechnung, wie
sie jetzt beschlossen worden ist" unrichtig sei (Bl. 7 d.A. = Bl.
2 des Schriftsatzes des Antragstellers vom 3. 7. 1995).

Das Landgericht hat auch mit zutreffenden Erwägungen die Beschlußfassung
über die Gesamtabrechnung in der Eigentümerversammung
vom 15. 5. 1995 als fehlerhaft angesehen. Der Beschluß ist
nämlich unter Verstoß gegen § 28 Abs. 3, 28 Abs. 1 WEG
i.V. mit § 259, 269 BGB zustande gekommen.

Der Beschluß der Eigentümer gem. § 28 Abs. 5 WEG bezieht
sich nach allgemeiner Meinung (vgl. u.a. Senatsbeschluß vom
29. 3. 1995 - 16 Wx 36/95 - = ZMR 1995, 324 f; BayObLG Z 1987, 86
(96)) nicht nur auf die Jahresgesamtabrechnung der Wohnungseigentumsanlage,
sondern auch auf die Einzelabrechnungen der betroffenen Eigentümer.
Die Wohnungseigentümer müssen deshalb nach einhelliger
Rechtsprechung hinreichend Gelegenheit haben, sämtliche Abrechnungsunterlagen
und insbesondere die Einzelabrechnungen einzusehen (Senatsbeschlu&qzlig;
a.a.O.; BayObLG 1978, 231 (233); KG NJW-RR 1987, 462 (463); OLG
Frankfurt NJW 1972, 1376; OLG Karlsruhe NJW 1969, 1968 f). Eine
Beschlußfassung ohne Möglichkeit der sachgerechten Vorprüfung
aller Gegenstände des Beschlusses nach § 28 Abs. 5 WEG ist
keinem Eigentümer zumutbar. Jeder stimmberechtigte Eigentümer
muß die Chance haben, zu kontrollieren, ob in den Einzelabrechnungen
der anderen zu hohe Guthaben oder zu niedrige Nachzahlungen zu Lasten
der Gemeinschaft und damit mittelbar zum eigenen Nachteil eingesetzt
sind. Da derartige Fehler nach Eintritt der Bestandskraft des Beschlüsse
nicht mehr zu beheben sind, ist den Eigentümern zeitlich vor
der Beschlußfassung in zumutbarer Weise die Möglichkeit
zu geben, den Beschlußgegenstand zu prüfen. Da es in
der Praxis nicht selten vorkommt, daß Fehler bei Einzelabrechnungen
und Versäumnisse bei der Forderungsbeziehung zu Lasten der
Gemeinschaft umgelegt werden, ist für das Recht jedes Eigentümers
auf Einsicht in die Abrechnungen der anderen ein effektiver und
sinnvoller Weg sicherzustellen.

Mit dem Auskunftsrecht der Wohnungseigentümer korrespondiert
die Auskunftspflicht des Verwalters entsprechend § 259 BGB. Er kommt
seiner Abrechnungspflicht nur dann hinreichend nach, wenn er die
Voraussetzungen für eine effektive und zumutbare Wahrnehmung
der Überprüfungsrechte der einzelnen Eigentümer schafft.
Bei der Ausgestaltung der für die Beschlußfassung nötigen
Information der Eigentümer steht dem Verwalter ein gewisser
Gestaltungsspielraum zu. Bei kleineren Wohnungseigentumsgemeinschaften
kann es sich anbieten (so der Fall Senatsbeschluß vom 29.
3. 1995 - 16 Wx 36/95 - = ZMR 1995, 324), die Gesamtjahresabrechnung
inklusive der Einzelabrechnungen den einzelnen Wohnungseigentümern
vorab zukommen zu lassen. Mindestanforderung für eine ordnungsgemäße
Information der Eigentümer ist jedoch, daß vor (und auch
während) der Eigentümerversammlung den Eigentümern
uneingeschränkt und in zumutbarer Weise Gelegenheit gegeben
wird, in die Einzelabrechnungen sämtlicher Miteigentümer
einzusehen (Senatsbeschluß vom 24. 9. 1996 - 16 Wx 86/96).
Die Offenlegung der Unterlagen hat dabei zeitlich so zu erfolgen
,daß vor der Versammlung für den einzelnen Eigentümer
ausreichend Zeit bleibt, die Einzelabrechnungen aller zu prüfen.

Der Verwalter kann seiner Auskunftspflicht nicht durch Bereithalten
der Unterlagen in seinem Büro genügen. Entsprechend §
269 Abs. 1 BGB fordert vielmehr die Natur des Schuldverhältnisses,
die Auskünfte dort zu geben, wo sie benötigt werden (so
schon OLG Karlsruhe NJW 1969, 1968, (1969)), also am Ort der Eigentümerversammlung.
Die in der Literatur (Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG § 28
Rd. 84) und vor allem von Seiten der Verwalter vertretene Ansicht,
es genüge, daß jedem Wohnungseigentümer das Recht
zugebilligt wird, im Verwalterbüro die Unterlagen einzusehen,
ist mit der gesetzlichen Regelung des Leistungsorts (§ 269 Abs.
1 BGB) nicht vereinbar. Sie führt darüber hinaus zu einer
unbilligen Benachteiligung der interessierten Wohnungseigentümer,
die zur Verwirklichung des Auskunftsanspruchs je nach Lage des Verwalterbüros
erhebliche Wege auf sich zu nehmen hätten. Berechtigte Belange
der Verwalter und Kostengesichtspunkte stehen demgegenüber
einem Bereithalten der Unterlagen am Ort der Eigentümerversammlung
auch bei großen Wohnungseigentumsanlagen nicht entgegen.

Im vorliegenden Fall ist die Verwalterin ihrer Verpflichtung, effektiv
und zumutbar Auskunft zu erteilen, nicht hinreichend nachgekommen,
wie das Landgericht zutreffend entscheiden hat. Es genügt nämlich
nicht, daß die Verwalterin die entsprechenden Unterlagen bei
der Eigentümerversammlung mitgeführt hat, ohne auf deren
Vorhandensein und die Einsichtsmöglichkeit auch schon vorab
hinzuweisen. Für die Eigentümer bestand damit keine erkennbare
Möglichkeit, vor der Beschlußfassung die ihr zugrundeliegenden
Abrechnungen zu überprüfen. Es ist darüber hinaus
nichts dafür ersichtlich, daß vor der Versammlung am
Versammlungsort die Chance zur durchgreifenden und sinnvollen Wahrnehmung
des Auskunftsrechts eingeräumt wurde.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 47 Abs. 1 WEG. Es entspricht
der Billigkeit, daß die unterlegenen Antragsteller die Gerichtskosten
tragen. Gründe, von der gesetzlichen Regel abzuweichen, wonach
in Wohnungseigentumsverfahren jeder Beteiligte seine eigenen außergerichtlichen
Kosten selbst trägt sind nicht ersichtlich.

Wert des Beschwerdegegenstandes gem. § 48 Abs. 3 WEG: 75.000,00
DM

Gericht: OLG KÖLN
Aktenzeichen: 16 Wx 87/97

Redaktion (allg.)

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