Zahlreiche Wohneigentümer fordern sie, nicht minder viele lehnen sie ab: die baulichen Veränderungen am Gemeinschaftseigentum in einer WEG. Die einen brauchen barrierearme Zugänge, überwindbare Stufen und Treppen, einen Aufzug. Die anderen Eigentümer wünschen keine Rampe vor dem Haus oder den Aufzug am Altbau - wahrscheinlich aus Kostengründen.
Bundesgerichtshof stärkt mit zwei Entscheidungen Recht auf barrierefreien Umbau
Mit zwei neuen Urteilen vom 09.02.2024 stärkt nun das BGH das Recht auf barrierefreien Umbau. Konkret billigten die Karlsruher Richter des fünften Zivilsenats in einem ersten Fall den Bau eines Außenaufzugs im Innenhof eines Jugendstilhauses in München, im zweiten Fall eine barrierefreie Terrasse mit Rampe an einer Wohnanlage in Bonn. Die Entscheidungen sind von grundlegender Bedeutung.
Hintergrund ist eine Modernisierung des Wohnungseigentumsrechts aus dem Jahr 2020. Der Gesetzgeber hat damit für jeden einzelnen Wohnungseigentümer die Möglichkeit geschaffen, in bestimmten Fällen die Gestattung von baulichen Veränderungen am Gemeinschaftseigentum gegenüber den anderen Wohnungseigentümern – notfalls auch gerichtlich – durchzusetzen. Dies umfasst das Recht auf angemessene bauliche Veränderungen, die dem Gebrauch von Menschen mit Behinderungen dienen. Nun hat Deutschlands höchstes Zivilgericht erstmals eine Einschätzung zu dem Umfang dieses Anspruchs abgegeben. Sie spricht eine klare Sprache.
Wenn eine Eigentümergemeinschaft eine umfangreiche bauliche Maßnahme durchführen will, ist oft ein WEG-Kredit Teil des Finanzierungskonzeptes. >> IVV-Fachartikel: Kredite für Wohnungseigentümergemeinschaften |
Fall 1: Denkmalgeschütze Fassade kein Argument gegen einen Aufzug im Hinterhaus
So folgten die Karlsruher Richter der Argumentation der Wohnungseigentümergemeinschaft in dem Münchner Fall nicht, die in der Errichtung eines Außenaufzugs an dem denkmalgeschützten Jugendstilgebäude eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage sahen. Dabei spielte sicherlich auch eine Rolle, dass der zu errichtende Außenaufzug nicht an der Hausfassade geplant wurde, die im Jahr 1983 den Fassadenpreis der Stadt München erhalten hat, sondern am schlichter gehaltenen Hinterhaus im Innenhof der Anlage. Mit der sogenannten „Beschlussersetzungsklage“ haben die klagenden Wohnungseigentümer nun erreicht, dass der ablehnende Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft durch den gewünschten Beschluss, der den Bau des Aufzugs gestattet, ersetzt wird.
Fall 2: Rampe darf gebaut werden
In dem Bonner Fall war die Konstellation genau umgekehrt: Hier hatte die Mehrheit der Eigentümer der Errichtung einer etwa 65 cm hohen Terrasse nebst rollstuhlgerechter Rampe auf Wunsch des Eigentümers einer Erdgeschosswohnung bereits zugestimmt. Hierzu muss man wissen, dass dem Bauwilligen ein Sondernutzungsrecht an der maßgeblichen Rasenfläche vor seiner Wohnung zukam, er daher diesen Teil der Wohnanlage ohnehin alleine nutzen durfte. Bauliche Veränderungen bedürfen allerdings dennoch der Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer. Nachdem der Bewohner der Erdgeschosswohnung diese zunächst eingeholt hatte, haben sich erst im Nachgang einige Eigentümer hiergegen gewandt. Der BGH hatte daher zu überprüfen, ob der Beschluss rechtmäßig ergangen ist. Wie in dem Münchner Fall sind die Karlsruher Richter zu dem Schluss gekommen, dass eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage oder eine Benachteiligung einzelner Wohnungseigentümer nicht vorlag. Der ursprüngliche Beschluss der Wohnungseigentümer hat damit Bestand.
Übrigens: Ein Anspruchsteller eines barrierearmen Zugangs, z.B. einer Rampe, muss selbst nicht zum Kreis der behinderten Menschen gehören.
Eine Entscheidung für die Inklusion
Die Vorsitzende Richterin des fünften Zivilsenats Bettina Brückner betonte im Rahmen der Urteilsverkündung, dass der Gesetzgeber mit der Reform des Wohnungseigentumsrechts den Willen zur Schaffung von barrierefreiem Wohnraum zum Ausdruck gebracht hat. Zum Schutz von Älteren und Menschen mit Behinderung soll der Umbau im Sinne der Barrierefreiheit erleichtert werden. „Dem müssen Gerichte Rechnung tragen“, so Brückner. Ausgenommen sind nach dem Gesetz allein solche baulichen Veränderungen, die eine Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer benachteiligen. Der BGH stellte klar, dass es sich hierbei um Ausnahmekonstellationen handelt, die im Einzelfall besonders begründet werden müssen. Es gilt also: Im Zweifel für Barrierefreiheit.
BGH, Aktenzeichen V ZR 244/22 und V ZR 33/23, vom 09.02.2024
Kommentar von Koenen Bauanwälte
Der Gesetzgeber hat einen Auftrag barrierearme Zugänge zu schaffen, auch in Wohnräumen, Gebäuden und Wohanlagen. Mit den Entscheidungen des BGH wurde diese Rechtsauffassung höchstrichterlich bestätigt.
Die Entscheidung des BGH ist ausdrücklich zu begrüßen, weil sie weitere Klarheit zu dem Umfang des Anspruchs auf barrierefreien Umbau schafft und zudem ein Statement für Inklusion darstellt, “ zeigt sich Dominik Hermann, Rechtsanwalt in den Bereichen privates Bau- und Architektenrecht und öffentliches Baurecht bei Koenen Bauanwälte, erfreut.
Quelle: Koenen Bauanwälte
Redaktion (allg.)

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