Anhörung im Rechtsausschuss

Experten uneins über die Zulassung der rein virtuellen Wohnungseigentümerversammlung

Ob Wohnungseigentümerversammlungen künftig ausschließlich virtuell stattfinden sollen, wenn 75 Prozent der Eigentümer dies so wollen, ist unter Sachverständigen umstritten. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages deutlich. Der Bundesjustizminister hat im vergangenen Jahr einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt.

Virtuelle Eigentümerversammlungen ersparen Zeit, Arbeit und Kosten. Kritiker sehen aber das Stimmrecht gefährdet. Foto: Adobestock/Rido
Virtuelle Eigentümerversammlungen ersparen Zeit, Arbeit und Kosten. Kritiker sehen aber das Stimmrecht gefährdet. Foto: Adobestock/Rido

„Rein virtuelle Eigentümerversammlung wäre ein großer Demokratieverlust“

Von einem Zwang zur Online-Versammlung sprach Oliver Elzer, Richter am Anwaltsgerichtshof in Berlin. Durch eine virtuelle Versammlung würden viele Wohnungseigentümer von der Verwaltung ihres wichtigsten Wirtschaftsgutes ferngehalten, sagte er. Für den damit verbundenen großen Demokratieverlust sei ein ausreichender Grund nicht erkennbar, befand Elzer. Überlegung der Bundesregierung, dass sich Wohnungseigentümer ohne eine erforderliche Technik oder „Digitalkompetenz“ durch Verwandte oder Freunde unterstützen lassen sollen, vermochte er nicht zu folgen. Die Unterstützung durch Verwandte oder Freunde würde regelmäßig einen Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit darstellen, führte der von der SPD-Fraktion benannte Sachverständige aus.

„Virtuelle Versammlung spiegelt die Vielgestaltigkeit von WEGs“

Jost Emmerich, Richter am Oberlandesgericht München, sah das anders. Der Gesetzesentwurf werde der Vielgestaltigkeit von Wohnungseigentümergemeinschaften gerecht, urteilte der von der FDP-Fraktion benannte Experte. Mit ihm würden virtuelle Eigentümerversammlungen nicht vorgeschrieben. Das Gesetz ermögliche sie nur in Ausnahmefällen. Aus seiner Sicht gewährleistet das besondere Quorum von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen ausreichend den Schutz der übrigen Wohnungseigentümer. „Ein höheres Quorum erscheint nicht erforderlich“, sagte er. Schon diese Mehrheit werde sich nur selten finden.

„Virtuelle Versammlung spaltet die Gemeinschaften“

Gabriele Heinrich vom Verbrauchschutzverein „Wohnen im Eigentum“ überzeugt die Argumentation für die erleichterte Einführung der reinen Online-Eigentümerversammlung nicht. Damit würden in den Eigentümerversammlungen neue Probleme geschaffen, anstatt Probleme gelöst, sagte sie. Es bestehe die große Gefahr der Ausgrenzung älterer, schwerhöriger oder technik- beziehungsweise bildungsfernerer Eigentümer. Statt der Förderung der „Gemeinschaft“ der Eigentümer werde die Spaltung der Wohnungseigentümergemeinschaften befördert. Heinrich verwies auf die Möglichkeit der hybriden Versammlung. Ein Rechtsanspruch darauf würden ihre Unterstützung finden, machte die von der SPD-Fraktion benannte Sachverständige deutlich.

„Virtuelle Versammlung muss mit einfacher Mehrheit beschlossen werden können“

Martin Kaßler, Geschäftsführer beim Verband der Immobilienverwalter Deutschland, nannte den Gesetzentwurf „kurz, knapp und gut“. Die virtuelle Versammlung erleichtere die Zusammenarbeit, sei preiswerter, umweltfreundlicher, barrierefrei und effektiver, da Anfahrtswege entfielen. Zudem sei insgesamt mit einer größeren Zahl an Eigentümern zu rechnen, die daran teilnehmen, sagte er. Seiner Auffassung nach ist das 75-Prozent Quorum sogar zu hoch angesetzt. Ein Beschluss mit einfacher Mehrheit reiche aus, befand der von der CDU/CSU-Fraktion benannte Sachverständige.

„Virtuelle Versammlung gefährdet den Grundsatz der Nicht-Öffentlichkeit“

Rechtsanwalt Urs Taube hat hingegen erhebliche Bedenken. Der Entwurf der Bundesregierung verabschiede sich scheinbar ganz nebenbei von zwei zentralen, absolut herrschenden Rechtsgrundsätzen im Zusammenhang mit Eigentümerversammlungen, sagte er. Der eine sei, dass das Recht des einzelnen Eigentümers an der Teilhabe am Entscheidungsfindungsprozess in der Versammlung zum Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte des Wohnungseigentums gehöre und grundsätzlich unentziehbar sei. Der zweite betreffe die grundsätzliche Nicht-Öffentlichkeit der Wohnungseigentümerversammlung. Diese bezwecke, „dass die Versammlung von fremden Einflüssen frei bleibt und außenstehende dritte Personen die Meinungsbildung nicht beeinflussen können“, so der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benannte Experte.

„Es kommt auf die Kommunikations-Software an“

Valentin Todorow als Vertreter der Bundesrechtsanwaltskammer sprach von einer sinnvollen Ausgestaltung, die gleichzeitig die Präsenzversammlung als Regelfall beibehalte. Unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten sowie dem Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Versammlung müsse ein geeigneter Kommunikationsweg gewählt werden, der den Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft praktikabel ermöglicht, ihre Rechte wahrzunehmen, fügte der von der Unionsfraktion benannte Sachverständige hinzu. Daher sollte die Gesetzesbegründung im weiteren Gesetzgebungsverfahren die Anforderungen an die Software umreißen, um der Praxis eine Leitlinie zu geben.

„Virtuelle Versammlung nur nach einstimmigem Beschluss“

Die Ausweitung hin zu einer rein virtuellen Versammlung ist aus Sicht von Kai Warnecke, Präsident von Haus & Grund Deutschland ein konsequenter und zumindest mittelfristig auch notwendiger Schritt in die digitale Zukunft, der grundsätzlich begrüßt werde. Es sei jedoch fraglich, ob es nicht noch immer eine erhebliche Anzahl an Eigentümern gibt, die nicht über die technischen Möglichkeiten oder das Verständnis zur Teilnahme an einer rein virtuellen Eigentümerversammlung verfügen. Daher plädiere der von der Unionsfraktion benannte Sachverständige dafür, die virtuelle Eigentümerversammlung nur mit einstimmigem Beschluss zuzulassen, wie es auch der Bundesrat fordere.

Der Gesetzentwurf aus dem Justizministerium sieht vor, dass künftig Wohnungseigentümer eine rein virtuelle Eigentümerversammlung bereits mit einer Dreiviertelmehrheit beschließen können sollen. Der Bundesrat hat sich in seiner Stellungnahme Ende November 2024 dagegen ausgesprochen und fordert für ein reines Online-Format einen einstimmigen Beschluss. Kapitalschwache, lebensältere oder technikferne Eigentümer könnten mit der Teilnahme an einer Videokonferenz überfordert sein und Minderheiten durch einen Beschluss mit Dreiviertelmehrheit letztlich „aus der Versammlung gedrängt“ werden, heißt es in der Begründung.

Quelle: Deutscher Bundestag

Thomas Engelbrecht

Thomas Engelbrecht
Chefredakteur
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