Das Ende der Deputatkohle

Manchmal tut die energetische Sanierung wirklich Not: In einer ehemaligen Bergmannssiedlung in Herten wurden noch 2018 hunderte Wohnungen mit Steinkohle und Einzelöfen beheizt. Jetzt wandelt sich das Quartier zum regenerativen Vorzeigeprojekt.

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Die hístorischen Torhäuser der ehemaligen Zeche Westerholt: Ankerpunkte für ein zukünftiges Mischgebiet aus Wohnen und Gewerbe. FOTO: KlimaExpo.NRW
Die hístorischen Torhäuser der ehemaligen Zeche Westerholt: Ankerpunkte für ein zukünftiges Mischgebiet aus Wohnen und Gewerbe. FOTO: KlimaExpo.NRW

Moderne Sanierungskonzepte, die Effizienztechnologien und erneuerbare Energien einbinden, sind in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet, wo es städteübergreifende historische Quartiere gibt, eine Herausforderung. So auch im nördlichen Ruhrgebiet in Gelsenkirchen und Herten. Gemeinsam haben diese Städte das Projekt „Energielabor Ruhr“ ins Leben gerufen und zeigen, wie ein Industriequartier klimafreundlich saniert werden kann. Ein Musterbeispiel für den Klimaschutz, das die KlimaExpo.NRW als Qualifiziertes Vorreiterprojekt in ihrer Leistungsschau präsentiert.

Ziel des „Energielabors Ruhr“ ist es, ein städtebaulich, industriegeschichtlich und baukulturell bedeutendes Gebiet trotz geringer Kaufkraft seiner Bewohner zu sanieren und klimafreundlich mit Energie zu versorgen. Das Quartier rund um das ehemalige Bergwerk Westerholt umfasst diese rund 30 Hektar große Bergwerksfläche genau auf der Stadtgrenze Gelsenkirchen/Herten, eine ebenso große ehemalige Kokereifläche in Gelsenkirchen-Hassel, eine brachliegende Zechenbahnstrecke und die anliegende Gartenstadt mit ihren Werkssiedlungen. In der historischen Gartenstadtsiedlung wohnen rund 5.000 Menschen in mehr als 2.000 Wohnungen.

Um das Projekt in der Emscher-Lippe Region mit öffentlicher Unterstützung umsetzen zu können und den Herausforderungen des Strukturwandels innovativ zu begegnen, bewarben sich beide Städte 2010 beim „InnovationCity-Wettbewerb“ sowie dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“. 2014 erfolgte die Auszeichnung im Rahmen des Bundesprogramms „Nationale Projekte des Städtebaus“. Unter dem Namen „Energielabor Ruhr“ wurde das Projekt bis 2018 mit vier Millionen Euro gefördert.

Ziel: Wärmewende mit lokalen Ressourcen

Besonderheit des Quartiers ist der überdurchschnittlich hohe Anteil an Kohleeinzelöfen: 600 der 2.300 Wohneinheiten im Projektgebiet werden noch mit Kohle geheizt – auch bedingt durch die sogenannte Deputatkohle. Für Nicht-Bergleute: Die Deputatkohle ist der Lohn- und Rentenanteil, den Bergleute gemäß einer 200 Jahre alten Tradition in Kohle ausbezahlt bekamen. Mit dem Ende der staatlichen Steinkohleförderung zum Jahreswechsel, fällt auch dieses Deputat weg.

Weitere Energieträger in der Gartenstadt sind Gas, Fernwärme und Nachtspeicherheizungen. Ein Teil des Quartierts verfügte darüber hinaus über keinerlei leitungsgebundene Energieversorgung für Fernwärme und Gas. Da der Wärmebedarf im Quartier aufgrund des hohen Anteils an Wohnhäusern und der teilweise denkmalgeschützten Bebauung deutlich höher ist als der Strombedarf, steht eine klimafreundliche Wärmewende im Mittelpunkt: weg von den Einzelöfen auf Kohlebasis hin zu leitungsgebundener Energie, womöglich erneuerbar und in Verbindung mit Kraft-Wärme-Kopplung.

Aufgrund der Bergbauvergangenheit des Quartiers ist das Medium für Kraft-Wärme-Kopplung vor Ort Grubengas. Bereits seit 2016 wird das methanhaltige Gas in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) auf dem Bergwerksgelände klimafreundlich aufbereitet und genutzt. Mit einer Leistung von vier Megawatt elektrisch und 3,6 Megawatt thermisch können so pro Jahr 4,7 Gigawattstunden Wärme erzeugt werden. Seit der Heizperiode 2017/18 wird ein Teil dieser Wärme für ein neues Niedertemperaturnahwärmenetz verwendet, das den Kern der neuen Energiezentrale bildet. Derzeit sind an dieses neue Niedertemperaturnahwärmenetz 70 Häuser der Gartenstadt und die renovierten historischen Torhäuser im Eingangsbereich des ehemaligen Zechengeländes Westerholt angebunden. Geplant ist zudem das BHKW um einen Wärmespeicher und eine großflächige Solarthermieanlage zu ergänzen. Zukünftig sollen dann auch die Gewerbebetriebe, die sich auf dem ehemaligen Zechengelände ansiedeln, an das Nahwärmenetz angeschlossen werden.

Energetischer Strukturwandel der Zechensiedlung

Mit dem „Energielabor Ruhr“ soll das Quartier nicht nur energetisch auf den aktuellen Stand gebracht werden, sondern insgesamt ein neues Gesicht erhalten. Dabei werden die lokalen Potenziale genutzt und das neu entstehende Wohn- und Gewerbegebiet – die „Neue Zeche Westerholt“ – so wirtschaftlicher und sozialer Mittelpunkt. Städtische Immobilien nehmen dabei nur eine untergeordnete Rolle ein. Vielmehr konzentriert sich die Umsetzung auf die ehemaligen Montanflächen im Besitz der RAG: Die ehemalige Kokerei („Hassel“) wird zum Stadtteilpark, eine nun ungenutzte Zechenbahntrasse unter dem Namen „Allee des Wandels“ zum Radweg und im früheren Zechengelände entsteht ein Gewerbe- und Mischgebiet mit seinem Ankerpunkt zwischen historischen Torhäusern im Eingangsbereich. Auch gemeinnützige Einrichtungen sind Teil des Projektes – so beispielsweise das Stadtteilzentrum „Bonni“ und der „Hof Wessels“.

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Bei den Sanierungsmaßnahmen stets mit im Blick: Die historische Gestalt der Häuser und der gesamten Siedlung. So bleibt das baukulturelle Erbe, wie historische Holzfenster, Fensterläden und Holztüren, bewahrt. Dabei stellt die umfassende Sanierung der denkmalgeschützten Torhäuser der Zeche Westerholt die symbolträchtigste Umsetzung im Energielabor Ruhr dar.

Die alten Fassaden wurden aufwendig von Hand gereinigt, die Innenräume bis auf die Grundmauern entkernt und nun – teilweise mit gesicherten Originalmaterialien – modernisiert. So entsteht hier das „Infocenter Energielabor Ruhr“, eine Erfahrungs- und Vernetzungsstelle für die Anwohner, von der aus wichtige Impulse in das Quartier gehen.

Umweltfreundliche Energieversorgung findet nicht nur in den Bestandsgebäuden statt: Der Radweg „Allee des Wandels“ wurde um eine E-Ladestation ergänzt, um klimafreundliche Mobilität zu fördern. Er dient zudem als Lernort für neue Energien – von Windkraft über Solarenergie bis zu Holz als nachwachsendem Rohstoff – und verbindet das Quartier mit dem Radwegenetz des Ruhrgebiets und des Münsterlands. In Planung sind zwei weitere E-Ladestationen und Photovoltaik-Paneele auf dem denkmalgeschützten Schacht 3, der sich an dem Radweg befindet. Außerdem soll eine „Solarroad“, für die auf 150 Quadratmetern Solarmodule in den Asphalt eingelassen werden, die klimagerechte Stromversorgung der Torhäuser übernehmen. Ein neuer S-Bahn-Haltepunkt kreuzt die „Allee des Wandels“, erweitert das ÖPNV-Angebot und bindet mit diesem neuen Mobilitätspunkt den Stadtteil noch besser an.

Ein Mieter, der ohne Grund den Zutritt zur Wohnung verweigert, obwohl der Vermieter einen Grund für die Besichtigung und damit auch das Recht zur Besichtigung hat, ist für viele Vermieter ein großes Ärgernis. Diese Verweigerung stellt zwar eine Pflichtverletzung...

Sanierungsbereitschaft fördern

Der Ansatz des Projektes ist interkommunal und interdisziplinär. Ein Leitfaden, der auf Grundlage der Analyse der Gartenstadt als „Katalog der Möglichkeiten“ geschaffen wurde, unterstützt die Hausbesitzer bei Entscheidungen in Sanierungsfragen. Von „A“ wie „Abluftanlage“ bis „Z“ wie Zellulose-Einblasdämmung werden in einem Glossar alle wichtigen Fachbegriffe erklärt, konkrete Beispiele der gestalterischen und energetischen Sanierung der Zechenhäuser werden graphisch anschaulich erläutert.

Zudem wurde durch beide Städte eine innovative Förderrichtlinie mit attraktiven Fördersätzen aufgelegt. So sollen private bauliche und energetische Sanierungen der im Eigentum befindlichen Zechenhäuser angeregt und die geringe Kaufkraft im Quartier gesteigert werden. Für jedes eingesparte Kilogramm CO2 pro Quadratmeter pro Jahr gibt es 50 Euro Zuschuss. Dies ermöglichte bis Januar 2018 die Unterstützung von 340 Maßnahmen in 226 Haushalten mit einer durchschnittlichen Fördersumme von 4.620 Euro. Dank der eingeführten Förderung konnte so das zwei- bis vierfache an Investitionen in den Privathäusern und zusätzliche Investitionen durch die Energieversorger, eine Wohnungsbaugesellschaft und benachbarte Vermieter und Gewerbetreibende ausgelöst werden.

Modellprojekt mit Vorreiterfunktion

Das „Energielabor Ruhr“ verfolgt einen sehr umfassenden Quartiersansatz. Das ermöglicht die Entwicklung der ehemaligen Zeche Westerholt zum neuen Wohn- und Gewerbegebiet und die Schaffung eines Mobilitätsknotenpunktes. Das innovative Nahwärmekonzept, das an die Stelle der Kohleöfen getreten ist, sorgt zudem für eine nachhaltige Wärmeversorgung. In der historischen Gartenstadt konnte darüber hinaus durch umfassende Beratung und dem klimaschutzorientierten Förderangebot bereits jetzt eine Sanierungsquote von fünf Prozent pro Jahr erreicht werden. Damit verbunden ist eine Einsparung von mehr als 1.800 Tonnen CO2 jährlich. Neben den CO2-Einsparungen wirkt sich der Heizungstausch positiv auf die Stickoxidbelastung aus, denn die Umstellung einer Kohleeinzelfeuerung auf Gas spart jährlich 5,2 Kilogramm Stickstoffoxide ein.

Insgesamt zeigt das „Energielabor Ruhr“ beispielhaft, wie kommunale Zusammenarbeit im Rahmen einer klimagerechten Quartiersentwicklung denkmalgeschützter Bestandsgebäude funktionieren kann. Aus diesem Grund wurde das Projekt als Vorreiter für den Klimaschutz in die landesweite Leistungsschau der KlimaExpo.NRW aufgenommen und reiht sich hier im Themenfeld „Quartiere entwickeln“ als Musterbeispiel in die Riege innovativer Projekte zur klimagerechten Stadtentwicklung ein.

Quelle: KlimaExpo.NRW

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Weiterführende Links:
https://www.energieagentur.nrw/tool/kommen/detail.php?ID=29380

Redaktion (allg.)

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