Wie die erste Baugruppe in Schwerin gewachsen ist

Bauen in Gemeinschaft macht Schule

In Schwerin kann man erleben, wie Bauen in Gemeinschaft Schule macht. Dort hat eine ehemalige Schule eine aus 14 Parteien bestehende Baugemeinschaft zusammengeführt, die in dem Gebäude-Ensemble aus Alt und Neu seit über sechs Jahren ihr neues Zuhause hat.

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Alt und Neu, Jung und Alt. 
Dafür steht die erste Baugemeinschaft in Schwerin: rund 30 Bewohner zwischen 5 und 80 Jahren, die sich in einem historischen Schulgebäude, ergänzt um Neubauten, ein eigenes Zuhause geschaffen haben. Bild: Fachwerkler Architekten
Alt und Neu, Jung und Alt. 
Dafür steht die erste Baugemeinschaft in Schwerin: rund 30 Bewohner zwischen 5 und 80 Jahren, die sich in einem historischen Schulgebäude, ergänzt um Neubauten, ein eigenes Zuhause geschaffen haben. Bild: Fachwerkler Architekten

Es lebt heute wahrhaftig eine Bewohnerin hier, die in der Schule noch ihre Krankenschwesterausbildung gemacht hat“, sagt Thomas Kaase, Architekt und Mitinitiator der ersten Baugruppe in der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Die Geschichte des Gemäuers reicht allerdings viel weiter, bis ins Jahr 1836 zurück. Damals wurde es als Knabenschule errichtet.

Diesen historischen Bestand erhalten, sanieren und zu Wohnungen umbauen, und andererseits, weil es das Grundstück hergab, einen Neubau dazusetzen – für dieses Konzept erhielt die Baugemeinschaft den Zuschlag von der Stadt und in der Folge auch deren Unterstützung. Für die Stadt sei das Baugruppenmodell – in dieser Größenordnung, mit insgesamt 14 Parteien – relativ neu. Daher war etwas Aufklärungsarbeit notwendig und manches war anders zu handhaben als „beim klassischen Investorenmodell, wo einer alles kauft. Aber die Stadt war offen dafür. Es hat sich im Grunde gut gefügt“, sagt Architekt Thomas Kaase und meint das im Rückblick umfassender. Manche Sorgen, die er anfangs hatte, erwiesen sich im Verlauf des Baugruppenprojekts als unbegründet.

Charmant und sachlich

Das betrifft zum Beispiel die Wohnungsverteilung: hier der Altbau mit historischem Charme, aber Zwängen im Bestandsschutz; dort der sachliche Neubau, jedoch mit der Möglichkeit individueller Grundrissgestaltung. Wer zieht wo ein? „Innerhalb von zwei bis drei Monaten war das geklärt“, so Kaase, der mit Frau und zwei Kindern im Neubau auf zwei Etagen mit insgesamt 120 Quadratmetern wohnt. Man könnte daraus bei Bedarf auch zwei kleine Wohnungen machen. Denn sie sind jeweils dem Treppenhaus angegliedert. Auch das gehört zum Konzept – genauso wie flexibel nutzbare Räume, die sich veränderten Familiensituationen anpassen: „Mit relativ kleinen Eingriffen lässt sich auch mal eine Wand herausnehmen. Die Nutzung der Wohnung sollte nachhaltig sein. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten.“ Ob rollstuhlgerechtes Bad oder gänzlich barrierefreie Wohnung, das habe jeder für sich entschieden.

Gesangseinlage im Treppenhaus

Gearbeitet wurde mit ökologischen Materialien – im Altbau mit Lehm-, im Neubau mit Kalkputz. Gedämmt wurde, statt mit Styropor, mit Steinwolle, beim Altbau nur auf der Hofseite. Aber zur Straßenseite hin strahlt die Ziegelfassade. „Wir hatten den großen Wunsch, dass die alte Struktur von außen noch sichtbar ist.“ Das heißt: große hohe Fenster, große hohe Räume und Treppenhäuser wie es typisch für Schulen aus dieser Zeit war. „Diese Altbautreppenhäuser haben schon Aufenthaltsqualität“, sagt Kaase. „Da steht im Dezember auch ein Weihnachtsbaum. Heiligabend vor der Bescherung treffen wir uns zur Weihnachtsgeschichte und zum Singen. Und auch sonst findet man immer jemanden, mit dem man sich unterhalten kann. Oder der die benötigte Stichsäge hat. Oder jemand hat Geburtstag, da bringt man einen netten Gruß vorbei. Die Kinder flitzen ohnehin durch das ganze Haus.“

Ein gutes Maß gefunden

Im Sommer verlagert sich das Geschehen auf den großen Hof mit Grillplatz und viel Rasen zum Spielen für die Kinder, aber auch mit Pflanzinseln, Sträuchern, Obstbäumen. Wohl dem, der einen Landschaftsarchitekten in der Baugruppe hat! „Er hat uns gut angeleitet“, so Architekt Kaase.

Man setzt sich draußen hin, genießt das Grün – auch in Erwartung, ins Gespräch zu kommen. Jemand holt einen Kaffee, setzt sich dazu. Oder man repariert, räumt weg. Sich auf die eine oder andere Weise in die Gemeinschaft einbringen – auch das hat sich nach seinen Worten eingependelt. „Da haben wir ein gutes Maß gefunden.“ Wer vielleicht keine Lust auf Gartenarbeit hat, findet etwas anderes. „Wenn jemand jedoch ausschließlich seinen eigenen Garten haben möchte, der ist in dem Projekt falsch aufgehoben.“

Flexibel aufgestellt

Seit wenigen Monaten ist endlich auch die Sauna in Betrieb. So wie dieses ursprüngliche Nebengelass waren vorher auch andere Räumlichkeiten auf dem Schulgelände für Gemeinschaftszwecke umfunktioniert worden. In einem Flachbau, der früher die Schulmensa und einen Computerraum beherbergte, werden Feste gefeiert. Neben Küche und WC ist dort auch ein Werkstatt-raum untergebracht. „Da werkeln alle – ob nun ein Regal gebaut, das Fahrrad repariert oder irgendetwas lackiert wird.“ Im Abstellhaus stehen Fahrräder und Fahrzeuge. So konnte man sich letztlich auch den Keller sparen. „Vom Finanziellen war das Projekt eine Punktlandung“, betont Kaase. „Was wir veranschlagt haben, haben wir auch ausgegeben.“ Es wurde nicht teurer. „Wir hatten damals noch Glück mit den Preisen.“

Die Gruppe hat sich immer Zeit gegeben

Die Einschaltung eines Baugruppenbetreuers in diesen Bereich hat sich ausgezahlt. Auch bei der Vertragsgestaltung ist die Eigentümergemeinschaft den Empfehlungen des externen Spezialisten gefolgt und hat sich – für den Fall, dass irgendwann jemand verkaufen will – ein Vorkaufsrecht eingeräumt. „Die Planung konnten wir dann selber steuern. Wir haben uns immer Zeit gegeben, uns oft zusammengesetzt. Die Gruppe war so aufgestellt, dass jeder Aufgaben übernehmen und koordinieren konnte.“ Überwiegend Freiberufler, darunter mehrere Architekten, haben sich zusammengefunden, eine für Baugemeinschaften oft typische Mischung. Vieles habe man so schon im Vorfeld relativ zügig intern gelöst, so Kaase. Auf dieser Basis konnte die Baugemeinschaft dann auch mit der Stadt „relativ zügig ins Gespräch kommen und schauen, was man auf dem Grundstück machen kann“.

Was den Architekten heute besonders freut: Das Baugemeinschaftsprojekt findet Anklang in der Stadt. Eine neu gegründete Baugruppe kam jüngst, um zu erfahren, wie alles anfing und heute läuft. Thomas Kaase sagt: „Es ist ein ganz anderes Wohnen. Was wir tun, das tun wir jetzt für uns, unsere Kinder und die Zukunft. Das hat Bestand.“

„Der Grundgedanke ist das nachbarschaftliche Wohnen“

Carla Fritz

Carla Fritz
freie Journalistin
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Artikel Bauen in Gemeinschaft macht Schule
Seite 28 bis 30
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