Mietwohnungsmarkt Wien aus deutscher Sicht

An der schönen Donau bezahlen Mieter die Heizungsreparatur

Wien gilt als Vorbild des sozialen Wohnungsbaus. Die Mieten seien niedrig, die Qualität der Wohnungen hoch. Das Forschungsinstitut empirica hat genauer hingesehen und kommt zu einem anderen Bild.
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 Bild: M.Eisinger
Bild: M.Eisinger

Auftraggeberin der Studie ist die BID Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland. Anlässlich der Veröffentlichung der Ergebnisse der Studie „Wohnungsmarkt Wien. Eine wohnungspolitische Analyse aus deutscher Sicht“ kommentiert die BID, das oft geradezu euphorisch beschriebene „Wiener Modell“ sei für den deutschen Wohnungsmarkt kein geeignetes Vorbild. Oberflächliche Vergleiche angeblicher Durchschnittsmieten und oft zitierte Einzelbeispiele von paradiesischen Mietzuständen erzeugten ein verzerrtes Bild der Wiener Wohnwirklichkeit, so die Kritik der deutschen Verbändearbeitsgemeinschaft.

Vereinfacht gesagt trifft beim Vergleich der Mietwohnkosten zwischen Wien, Berlin, Hamburg und München die alte Weisheit zu, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen soll. Seit einer Notmaßnahme der damaligen Regierung während des Ersten Weltkriegs im Jahr 1917 gilt in Österreichs Hauptstadt ein Mietendeckel. Das erklärt die relativ niedrigen Nettokaltmieten im Vergleich zu deutschen Großstädten. In Österreich wird jedoch eine Kostenmiete verlangt. Das heißt: Alle Betriebskosten sind auf den Mieter umlegbar. Eine Unterscheidung zwischen umlegbaren und nicht umlegbaren Betriebskosten existiert in Österreich nicht. So können zum Beispiel auch die Kosten für die Verwaltung bis zu einer Höhe von 3,60 Euro pro Quadratmeter und Jahr sowie sämtliche Hausmeisterkosten umgelegt werden.

Die kalten Betriebskosten müssten für einen Vergleich mit dem deutschen Mietwohnungsmarkt zwingend berücksichtigt werden. Sie lägen im Mittel aller Wohnungen bei 2,35 Euro pro Quadratmeter und Monat und damit zwischen 0,75 Euro und 0,85 Euro höher als in Berlin, Hamburg und München.

Zusätzlich macht die empirica-Studie deutlich, dass in Österreich die Nettokaltmiete einer ermäßigten Umsatzsteuer von 10 Prozent unterliegt – in Deutschland ist die Wohnraummiete von der Umsatzsteuer gänzlich befreit.

Werden diese zusätzlichen Kosten (diverse kalte Betriebskosten und Umsatzsteuer) in die Betrachtung mit einbezogen und vergleicht man also die Bruttokaltmieten, so schwindet der vermeintliche „Sozialmietenbonus“ für Wien fast ganz. Die empirica-Studie nennt folgende Zahlen: 2018 lagen die Bruttokaltmieten im Durchschnitt in Wien bei 10,25 Euro pro Quadratmeter, in Berlin bei 10,60 Euro, in Hamburg bei 11,60 Euro und in München bei 16,10 Euro.

Heizung defekt? Die Reparatur hat der Mieter zu zahlen

„Im Teilmarkt der privaten Altbauten (rund 34 Prozent des Mietwohnungsbestandes in Wien) sind Mieter in Praxis schlechter gestellt als in den deutschen Metropolen“, stellt der BID mit Blick auf die empirica-Studie fest. Trotz einer vergleichbaren Bruttokaltmiete müssten Mieter weit höhere Investitionen übernehmen. Mieter sind – in Deutschland unvorstellbar – für Reparaturen und Instandhaltung der Haustechnik verantwortlich und müssen die hier anfallenden Kosten tragen. Im Altbestand ist der Vermieter nur für die Erhaltung der „allgemeinen Teile“ des Gebäudes (Mauern, Dach, Wände, Decken) zuständig und für weitere Arbeiten nur bei „ernsten Schäden“ oder bei „erheblicher Gesundheitsgefährdung“. Diese unklaren gesetzlichen Bestimmungen führten häufig zu Streitigkeiten.

Sachgrundlose Befristung von Mietverträgen ist gängige Praxis

Zu diesen finanziellen Belastungen für Instandhaltung und Reparatur (neben der Bruttokaltmiete) gesellt sich ein – im Vergleich zu Deutschland – geringerer juristischer Schutz der Mieter. Eine Besonderheit des österreichischen Mietrechts ist die sachgrundlose Befristung von Mietverträgen. Von dieser Möglichkeit werde, so die empirica-Studie, auch weitgehend Gebrauch gemacht. Typischerweise würden privat vermietete Wohnungen für drei Jahre befristet vermietet und anschließend befristet verlängert, sofern das Vermieter-Mieter-Verhältnis nicht getrübt wurde.

Schwieriger Zugang zu einer Gemeindewohnung

Die Möglichkeit, eine Gemeindewohnung der Stadt Wien zu mieten, hat längst nicht jeder Bürger. Der bloße Wunsch, nach Wien ziehen oder einen gemeinsamen Haushalt bilden zu wollen, reicht nicht aus. Das Anrecht auf eine Gemeindewohnung ist an eine Reihe von Bedingungen geknüpft. Die wichtigsten sind die Staatsangehörigkeit, ein Hauptwohnsitz in Wien unter der gleichen Adresse seit mindestens drei Jahren für jedes Haushaltsmitglied und ein begründeter, akuter Wohnungsbedarf. Darüber hinaus müssten „geklärte Familienverhältnisse“ vorliegen; die Gründung einer WG oder andere Haushaltsformen sind nicht möglich.

Geförderte Wohnungen sind nicht gleich Sozialwohnungen

Das Marktsegment der geförderten Wohnungen umfasse rund 26 Prozent des Mietwohnungsbestandes in Wien. Bauträger und Eigentümer der geförderten Wohnungen seien gemeinnützige Wohnungsunternehmen, Genossenschaften, aber auch private Bauträger. Die Qualität der geförderten Neubauwohnungen sei hoch und entspreche dem höheren Eigentumssegment in Deutschland. Dieses Segment werde in Deutschland – unberechtigterweise – häufig als „Sozialwohnungen“ bezeichnet. Denn zum einen lägen die Einkommensobergrenzen der Mieter fast dreimal so hoch wie zum Beispiel in Berlin und lägen bei knapp 4.000 Euro netto im Monat für Ein-Personen-Haushalte. Zum zweiten müssten Mietinteressenten einen Finanzierungsbeitrag leisten. Dieser Eigenmittelbeitrag belaufe sich bei Erstbezug auf 500 Euro pro Quadratmeter; für eine Mietwohnungen von 70 Quadratmeter würden also bei Mietvertragsabschluss 35.000 Euro fällig.

Fazit aus Sicht der deutschen Immobilienwirtschaft

Das „Wiener Modell“ ist nach Ansicht des BID teuer, unsicher, streitanfällig, bürokratisch, intransparent und ungerecht gerade aus Sicht sozial schwacher Mieter, ohne dass die Wohnkosten in Wien niedriger wären als in deutschen Großstädten.

Thomas Engelbrecht

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