"Housing First“ ist ein Ansatz in der Sozialpolitik, der wohnungslosen Menschen vor allen anderen Unterstützungsleistungen zuerst eine eigene Wohnung anbietet – und zwar mit Mietvertrag und ohne Vorbedingungen. Die Idee: Ein sicheres Zuhause soll ihnen helfen, eine besonders schwierige Lebenslage wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder eine längere Erkrankung zu bewältigen. Ziel ist die langfristige Wohnstabilität.
Das Konzept stammt aus der US-amerikanischen Sozialpolitik und wird auch in Deutschland seit einiger Zeit erprobt. Erste empirische Erkenntnisse aus Deutschland, Europa und Nordamerika deuten darauf hin, dass der Housing First-Ansatz erfolgreich ist. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe fördert Neubau, Erwerb und Vermietung von Wohnraum an wohnungslose Menschen. Voraussetzungen sind Vermieter, die bereit sind, ihre Wohnung an Wohnungslose zu vermieten. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) stellt seit 2022 finanzielle Fördermittel für Vermieter zur Verfügung.
In einem Interview erläutert Johannes Chudziak, Sozialdezernent beim LWL, was in welcher Höhe gefördert wird und welche Erfahrungen bisher gemacht worden sind. >> zum Interview
(Auszug)
Welche Investoren können die Förderung für ein Housing first Projekt beantragen?
Grundsätzlich können alle Privatpersonen, Wohnungsbauunternehmen und Genossenschaften, die wohnungslosen Menschen in Westfalen-Lippe ein Zuhause geben möchten, die Förderung beantragen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beraten kompetent und ermitteln schnell, ob eine Förderung infrage kommt. Wir sind davon überzeugt, dass viele Vermieter eine soziale Ader haben und auch den Menschen, die nicht so viel Glück hatten im Leben, eine neue Chance geben möchten.
Welche Bedingungen müssen Investoren für eine Förderung erfüllen?
Da der Housing First-Ansatz auf einem Geben und Nehmen beruht, lässt sich das natürlich nicht vermeiden. Sobald sich Investoren für eine Förderung durch den LWL entscheiden, gehen sie eine Bindefrist von zehn Jahren ein. Das heißt, sie garantieren, die Wohnung für mindestens zehn Jahre ausschließlich für Mieter des Housing First-Konzepts zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus müssen sie darauf achten, dass maximal vier Wohneinheiten pro Wohnhaus im Rahmen von Housing First vermietet werden dürfen.
Können WEG-Verwalter das Projekt in irgendeiner Weise unterstützen?
Ja, WEG-Verwalter können Wohnungseigentümer auf die Förderung hinweisen und die Eigentümergemeinschaft informieren und gegebenenfalls Sorgen nehmen. Viele befürchten, dass der Wert ihrer Wohnung sinkt, sobald ein anderer Eigentümer seine Wohnung an einen ehemaligen Wohnungslosen vermietet. Das stimmt aber nicht. Bisherige Erfahrungen und Ergebnisse zeichnen allesamt ein positives Bild dieses Ansatzes. Gerne kommen wir aber auch, falls gewünscht gemeinsam mit Leistungserbringern, zu einem persönlichen Gespräch zu Ihnen und räumen Fragen und Sorgen aus. >> zum vollständigen Interview
Der Landschaftsverband
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) übernimmt als Kommunalverband die Aufgaben für alle Städte und Kreise in Westfalen-Lippe, die die Kommunen nicht alleine leisten könnten. Weil der LWL sich über Stadt- und Kreisgrenzen hinweg einsetzt, schafft er gleichwertige Lebensverhältnisse und Qualitätsstandards in ganz Westfalen-Lippe. Er vertritt die Interessen der Region und ihrer rund 8,3 Millionen Bürgerinnen und Bürger überall dort, wo es sinnvoll und notwendig ist – auch auf Landes- oder Bundesebene.
Ein Schwerpunkt der Arbeit der rund 20.000 Beschäftigten des LWL liegt darauf, Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und sich für deren gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft einzusetzen. Inklusion prägt die Aufgaben in weiten Teilen des Verbands, etwa in den Inklusionsämtern, in den 35 Förderschulen und 20 psychiatrischen Kliniken, in Pflegezentren und Wohnverbünden. Der LWL ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung.
Der Housing First-Ansatz
Die Bundesregierung legte im Dezember 2022 ihren ersten Wohnungslosenbericht vor. Der Bericht umfasst drei Gruppen wohnungsloser Menschen: untergebracht wohnungslose Personen, verdeckt wohnungslose Personen und wohnungslose Menschen ohne Unterkunft. Insgesamt waren demnach zum 31. Januar 2022 rund 263.000 Personen wohnungslos.
Doch bezahlbarer Wohnraum ist bekanntermaßen knapp, es wird zu wenig gebaut, auch zu wenige sozial geförderte Wohnungen, bestehende fallen aus der Förderung, Mieten steigen. Da ist es für Obdachlose besonders schwierig, zurück in eine feste Unterkunft zu finden. Doch das Konzept „Housing First“ könnte ein möglicher Ausweg sein.
Das Housing First-Konzept beendet Wohnungslosigkeit unmittelbar und bietet flexible wohnbegleitende Hilfen zum dauerhaften Wohnungserhalt an. Regulärer Wohnraum wird an erste Stelle gerückt – ein entscheidender Unterschied zum derzeit meist praktizierten System. Darin müssen Betroffene oft ihre „Wohnfähigkeit“ zunächst unter Beweis stellen: Unterkünfte und Trainingswohnungen müssen durchlaufen werden. Oftmals ist die Zurverfügungstellung von Wohnraum an die Erfüllung von Auflagen und Wohlverhalten gekoppelt. Der Aufstieg in ein normales Mietverhältnis scheitert häufig an nicht vorhandenen Wohnungen auf dem Markt und so droht die erneute Wohnungslosigkeit: Ein „Drehtür-Effekt“ stellt sich ein. Auch sind solche Wohnraumformen häufig zeitlich befristet.
Housing First hingegen bedeutet: Es besteht von Anfang an ein normales, unbefristetes Mietverhältnis mit allen Rechten und Pflichten. Wohnbegleitende Hilfen werden aktiv angeboten: Betroffene werden dazu ermutigt, Probleme mit Unterstützung anzugehen, aber nicht dazu verpflichtet. Dort wo Housing First bereits praktiziert wird, sind die Ergebnisse überzeugend.
Housing First wurde Anfang der 1990er-Jahre in den USA entwickelt. In den USA wird es seither in einigen Städten erfolgreich praktiziert. In Deutschland existiert inzwischen ein Bundesverband Housing First. Mitglieder sind Initiativen in Berlin, Bremen, Hamburg, Düsseldorf, Köln, Stuttgart, Nürnburg und anderen Städten.
www.bundesverband-housingfirst.de
Im Rahmen der Risikoabdeckung erhalten Vermieter Zuwendungen bei Mietausfällen.
Thomas Engelbrecht
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