Hinter Schloss und Riegel
Das war knapp, es blieb bei Rauchvergiftungen. Zwei Frauen hatten sich bei einem Kellerbrand aus dem völlig verqualmten Flur nicht ins Freie retten können, weil die Haustür verschlossen war. Polizisten gelang es in letzter Sekunde, die Tür zu zertrümmern. Dieser Fall in Stralsund machte vor einigen Jahren bundesweit Schlagzeilen. In der aufgewühlten Öffentlichkeit bestand schnell Einigkeit: Das Abschließen von Haustüren, vor allem in Mehrfamilienhäusern, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Inzwischen ist man längst wieder zur Tagesordnung übergegangen. Als hätte es das Drama nie gegeben, sorgt das Ganze nach wie vor für Kontroversen und landet nicht selten vor Gericht. Die Rechtsprechung hat noch zu keiner einheitlichen Linie gefunden.
Zwar hat das Landgericht Frankfurt a. M. bereits 2015 im Verfahren einer Wohnungseigentümergemeinschaft geurteilt, dass ein Abschließen der Hauseingangstür zu einer erheblichen Gefährdung führt, wenn ein Verlassen des Gebäudes in einer Notsituation nicht ohne einen Schlüssel möglich ist. Die Bewohner dürften also nicht dazu angehalten werden, die Tür abzuschließen (LG Frankfurt a. M., AZ 2-13 S 127/12). Gerichte haben aber auch schon anders geurteilt. Das Amtsgericht Hannover zum Beispiel hält Regelungen, die das Abschließen der Haustür verlangen, für zulässig (AZ 544 C 8633/06).
Für Dr. Joachim Näke, Geschäftsführer der ELB-Immobilien Verwaltungs GmbH in Dresden und Vorstand des Verbands der Immobilienverwalter Mitteldeutschland e. V. hat der Schutz von Leib und Leben absolute Priorität. „Grundsatz ist und bleibt, dass Hauseingangstüren in aller Regel immer einen Fluchtweg darstellen und somit Fluchttüren sind. Das bedeutet, dass sich alle Bewohner immer im Gefahrenfall durch diese Türen ins Freie begeben können müssen. Damit kommt ein Verschließen in Fluchtrichtung, zu welchen Zeiten auch immer, nicht infrage.“ Bei Problemen in der Praxis, etwa wenn Eigentümer dies durch Mehrheitsbeschluss in der Hausordnung vorschreiben, rät er zu konsequentem Handeln: das kommunale Amt bzw. die Feuerwehr darüber informieren und Abhilfe schaffen. Näke: „Personensicherheit geht immer vor Sachsicherheit.“ Der Experte verweist auf Analogie zu Tiefgaragentüren. Auch diese seien immer Fluchtwege und dürfen nicht zugeschlossen werden.
Für Versicherung ist die verschlossene Wohnungstür entscheidend
„Für die Hausratversicherung und den versicherten Einbruchdiebstahl ist es wichtig, dass die Wohnungstür verschlossen ist, nicht die Hauseingangstür des Mehrfamilienhauses“, betont Frank Senger, Sprecher der R+V Versicherung AG, zu dem vielfach ins Feld geführten Argument des Versicherungsschutzes. „Personen- kontra Sachschutz“ ist auch nur scheinbar ein Gegensatz. „Es gibt Möglichkeiten, das Schließsystem so zu gestalten, dass die Haustür einen ausreichenden Schutz vor Einbrechern bietet, zugleich aber auch ohne Schlüssel oder andere Hilfsmittel von innen geöffnet werden kann“, so Dr. Urban Brauer, Geschäftsführer des BHE Bundesverband Sicherheitstechnik e. V. Solche Lösungen würden unterschiedlichen Interessen der Hausbewohner am besten gerecht, hatten schon die Frankfurter Richter betont.
Sicherheitstüren lassen sich von Innen ohne Schlüssel öffnen
Die Sicherheitsexperten empfehlen sogenannte „Fluchttürverschlüsse“. Es gibt sie in verschiedenen Varianten und Bauarten. Die Tür ist abschließbar oder verriegelt selbsttätig, sobald sie ins Schloss fällt. Trotzdem kann sie jederzeit von innen auch ohne Schlüssel in Fluchtrichtung geöffnet werden; allerdings nicht mit einem herkömmlichen elektrischen Türöffner.
Eine weitere Variante ist ein Motorschloss oder eine Schließkombination aus einem selbstverriegelnden Panikschloss mit einem speziellen elektrischen Lineartüröffner. Diese verriegeln ebenfalls automatisch und erlauben ohne Schlüssel die Flucht aus dem Gebäude. Zusätzlich kann es mit dem Schlüssel von außen, aber auch ferngesteuert mit einem elektrischen Signalgeber von der Wohnungstür aus geöffnet werden. Von innen lassen sich Türen immer über den Türdrücker unmittelbar von Hand öffnen, auch im Falle eines Stromausfalls.
„Die Sicherheitstechnik von Hauseingangstüren ist ein auf verschiedenen Behördenebenen vernachlässigtes Thema“, so BHE-Geschäftsführer Dr. Urban Brauer. Laut der Landesbauordnungen müssten größere Mehrfamilienhäuser sogar über zwei Rettungswege verfügen, wofür die Norm DIN EN 179 sogenannte „Notausgangsverschlüsse“ vorsehe. Diese seien aber in den wenigsten Fällen tatsächlich vorhanden. Für Paniksituationen empfiehlt er dafür geeignete Panikverschlüsse nach DIN EN 1125 mit Druck- oder Griffstangen zu verwenden. Brauer: „Die neuen technischen Möglichkeiten haben den grauen Alltag inzwischen weit überholt.“
Manfred Godek
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