Problemstellung
Nach § 566 Abs. 1 BGB tritt der Käufer einer vermieteten Wohnung in das zum Zeitpunkt des Eigentumswechsels bestehende Mietverhältnis ein. Dabei stellt sich die Frage, ob der Erwerber in alle Rechte und Pflichten eintritt, also auch in solche, die er typischerweise nicht vereinbart hätte bzw. die wegen des besonderen Charakters des Vorvermieters überhaupt erst vereinbart wurden.
Die Entscheidung
Die beklagten Mieter hatten 1995 in Berlin eine Wohnung aus dem Bestand einer Wohnungsgenossenschaft angemietet. Zu dem Standardmietvertrag gehörten auch Allgemeine Geschäftsbedingungen, die bei der Wohnungsgenossenschaft als Allgemeine Vertragsbedingungen bezeichnet und mit „AVB“ abgekürzt wurden. Im Mietvertrag wurde auf die Geltung der AVB hingewiesen. Beide Parteien bestätigten mit gesonderter Unterschrift, die AVB ausgehändigt bzw. erhalten zu haben. In den AVB heißt es unter anderem, dass das Wohnungsunternehmen das Mietverhältnis grundsätzlich nicht auflösen wird.
Der Kläger, der die Wohnung von der Genossenschaft erworben hatte, kündigte das Mietverhältnis ordentlich und fristgerecht und berief sich auf Eigenbedarf. Er wohne derzeit mit seiner Ehefrau und zwei Kindern in einem Einfamilienhaus in der Nähe von Kassel und pendele täglich zu seinem Arbeitsplatz nach Frankfurt am Main. Sein Arbeitsplatz sei nun von Frankfurt am Main nach Ludwigsfelde (ca. 15 km südlich von Berlin) verlegt worden. Von seinem derzeitigen Wohnort nach Ludwigsfelde zu pendeln sei ausgeschlossen. Er wolle die Wohnung zunächst allein bewohnen. Wochenenden und Ferien sollten abwechselnd in Berlin und am derzeitigen Wohnort verbracht werden. Dazu werde eine Wohnung mit mindestens drei Zimmern benötigt. Der Kläger verlangte von den Beklagten Räumung und Herausgabe der Wohnung. Während des laufenden Gerichtsverfahrens erklärte er, den Nachzug der kompletten Familie in die streitgegenständliche Wohnung zu planen. Er argumentierte, die eine Kündigung erschwerende Regelung in den AVB gelte für ihn nicht, weil er sie bei Erwerb der Wohnung nicht gekannt habe. Außerdem schränke sie sein Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG unzumutbar ein.
Das Landgericht wies die Klage ab. Nach § 573 Abs. 1 BGB kann der Vermieter nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Nach § 173 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt ein berechtigtes Interesse insbesondere dann vor, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Der Wunsch des Klägers, die Wohnung aus beruflichen Gründen als Zweitwohnung nutzen zu wollen, ist an sich geeignet, eine Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu begründen. Das gilt allerdings nicht in diesem Fall, weil die Parteien in den AVB einen weitergehenden Kündigungsschutz vereinbart haben. Es genügt eben nicht ein berechtigtes Interesse, sondern es muss ein besonders wichtiges Interesse sein, das eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig macht. Für eine Notwendigkeit der Kündigung, also für das Fehlen irgendeiner Ausweichmöglichkeit, hatte der Kläger nichts vorgetragen.
Die Vereinbarung ist auch wirksam. § 573 Abs. 4 BGB verbietet lediglich eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung, also die Erleichterung der Kündigung. Das Niveau des Kündigungsschutzes darf durchaus erhöht, aber nicht abgesenkt werden. Dieser mit dem Rechtsvorgänger des Klägers, der Wohnungsgenossenschaft, vereinbarte erhöhte Kündigungsschutz gilt auch im rechtlichen Verhältnis zwischen Kläger und Beklagten. Nach § 566 Abs. 1 BGB tritt der Erwerber in alle sich aus einem bereits bestehenden Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ein. Ob der Kläger die AVB kannte oder nicht, spielt keine Rolle. Es wäre Sache des Klägers gewesen, sich über den Vertragsinhalt zu informieren, zumal der Mietvertrag ausdrücklich und unübersehbar auf die Geltung der AVB verweist. Wenn der Kläger solche Informationen nicht einholt, liegt das in seiner Verantwortung. Auch die Berufung auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG nützt dem Kläger nichts. Der Kläger übersieht nämlich, dass das Bundesverfassungsgericht bereits 1993 auch das Besitzrecht des vertragstreuen Mieters wegen der Bedeutung der Wohnung als Mittelpunkt seiner privaten Existenz als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG anerkannt hat (BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1993 - 1 BvR 208/93 -). Die Kündigung war damit unwirksam.
Konsequenzen
Die Entscheidung macht noch einmal deutlich, dass die Regelung des § 566 Abs. 1 BGB umfassend zu verstehen ist. Der Erwerber einer vermieteten Wohnung tritt in alle Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis ein. Nach welchem Kriterium sollte man auch entscheiden, welche Regelungen fortgelten und welche nicht? Indirekt wird damit auch noch einmal die hohe Bedeutung des § 550 BGB betont. Nach § 550 BGB muss ein Mietvertrag, der für eine längere Zeit als ein Jahr abgeschlossen wird, zwingend schriftlich vereinbart sein. § 550 BGB dient ganz wesentlich dem Schutz eines Erwerbers von vermieteten Immobilien. Der Erwerber soll nicht länger als ein Jahr an überraschende Regelungen aus einem Mietverhältnis gebunden bleiben. Nur nutzte das dem Kläger nichts, weil die Vereinbarung hier nicht befristet, sondern von vornherein auf Dauer gelten sollte. Die Schriftform war ebenso eingehalten.
Praxistipp
Die Vereinbarung eines erhöhten Kündigungsschutzes in Mietverhältnissen ist keineswegs ein völlig untypischer Einzelfall. Solche Klauseln finden sich in zahlreichen Mietverträgen, wenn auf Vermieterseite eine Wohnungsbaugenossenschaft oder eine andere im weitesten Sinne gemeinnützige Körperschaft auftritt. Selbstverständlich sollte jeder Erwerber einer vermieteten Wohnung die zugrunde liegenden Verträge genauestens studieren. Besondere Sorgfalt ist allerdings geboten, wenn der Vermieter über die reine Einnahmenerzielung hinausgehende Zwecke verfolgt, weil dann mit besonderen Vorschriften zum Schutz der Mieter gerechnet werden muss.
Autor: Jonas Müller, Fachanwalt für Mietrecht, wronna+partner.gbr
Hinweis: Unsere Artikel und Tipps ersetzen keine anwaltliche Rechtsauskunft. Eine Anwaltssuche können Sie im Internet u.a. hier durchführen https://www.anwalt.de/
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