Verkehrssicherungspflicht

Winterdienst muss auch bei lokalem Eis räumen

Zahlreiche Eigentümer von Immobilien, insbesondere von gewerblichen Immobilien, beauftragen Dienstleister mit den winterlichen Räumungs- und Streudiensten. Wenn es dennoch zu Unfällen kommt, stellt sich die Frage nach dem Schadenersatzpflichtigen.

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Bild: natali_mis/stock.adobe.com
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Die Verkehrssicherungspflicht ändert sich durch Übertragung nicht

Kammergericht Berlin, Urteil vom 6. Dezember 2022 – 21 U 56/22

Die Entscheidung

Die Klägerin arbeitete als Altenpflegerin. Im Winter 2020 benötigte sie deshalb für ihre Tätigkeit regelmäßige Corona-Tests. Dazu ging sie Mitte Dezember 2020 zu einer von einer Krankenhaus GmbH auf deren Gelände in Berlin betriebenen Teststation. Auf dem Weg über das Krankenhausgelände stellte die Klägerin fest, dass es dort über weite Strecken hinweg außerordentlich glatt war. Die Klägerin rutschte aus, stürzte und zog sich dabei einen Sehnenabriss im Kniegelenk zu. Sie musste im Krankenhaus operiert werden. Der Heilungsverlauf gestaltete sich schwierig, sodass sie bis November 2021 arbeitsunfähig erkrankt war. Sie verlangt sowohl von der Krankenhaus GmbH als Grundstückseigentümerinals auch von dem beauftragten Dienstleister Verdienstausfall und Schmerzensgeld.

Die Krankenhaus GmbH lehnte eine Haftung mit dem Argument ab, sie habe ihre Verkehrssicherungspflichten auf den beklagten Dienstleister übertragen und sei deshalb nicht mehr für die Räumung und das Streuen der Wege verantwortlich. Der Dienstleister lehnte ebenfalls eine Haftung abund argumentierte, in dem Stadtbezirk habe an diesem Tag keine allgemeine Glättegefahr geherrscht. Die Glätte auf dem Kranken-hausgelände sei lokal begrenzt gewesen. Es sei ihr nicht zumutbar, das Krankenhausgelände mehr oder weniger ständig auf lokale Glatteisbildungen zu überwachen.

Das Kammergericht Berlin verneinte eine Haftung des Krankenhauses, bejahte aber eine Haftung des Dienstleisters. Zwischen der Klägerin und den Beklagten bestanden keine vertraglichen Beziehungen. Die Klägerin arbeitete zwar als Altenpflegerin, aber nicht für das Krankenhaus. Infolgedessen war der Schaden der Klägerin weder über die gesetzliche Unfallversicherung noch über eine Haftung des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmern abgesichert. In Betracht kommt von vornherein nur eine deliktische Haftung nach den §§ 823 ff. BGB. Die deliktische Haftung geht weit über das schlichte Verbot, die Gesundheit oder das Eigentum eines anderen zu verletzen, hinaus.

Schadenersatzpflichtig macht sich auch, wer Verkehrssicherungspflichten verletzt und dadurch den Schaden eines Dritten verursacht. Verkehrssicherungspflichten entstehen daraus, dass jemand einen „Verkehr eröffnet“. Wer andere „einlädt“, seine Flächen oder Gebäuden zu betreten und zu nutzen, muss dafür sorgen, dass die Besucher keine Schäden erleiden. Dazu gehört selbstverständlich auch die Pflicht, Wege und Verkehrsflächen bei Glatteis zu streuen. Diese deliktische Haftung kann man wirksam begrenzen, indem man die Verkehrssicherungspflichten auf Dritte (Streudienst) überträgt.

Der ursprünglich Verkehrssicherungspflichtige wird damit sein Haftungsrisiko nicht vollständig los, seine Verkehrssicherungspflicht beschränkt sich aber darauf, den Dienstleister ordnungsgemäß auszusuchen und zu überwachen. Die Krankenhaus GmbH wäre deshalb nur dann haftbar gewesen, wenn sie den Dienstleister nicht sorgfältig ausgesucht oder überwacht hätte. Dafür gab es keine Anzeichen und dazu hatte die Klägerin offenbar auch nichts vorgetragen.

Das Krankenhaus als unmittelbar Verkehrssicherungspflichtiger hätte also das Gelände durchgehend überwachen müssen

Das Verfahren beschränkte sich deshalb auf die Frage, ob der Streudienst sich mit dem Argument einer Haftung entziehen kann, es sei ihm unzumutbar, das Krankenhausgelände auch dann regelmäßig zu überwachen, wenn es keine allgemeine Glättesituation gebe. Ob im ganzen Stadtbezirk eine allgemeine Glättesituation vorlag oder nicht, konnte das Gericht offenlassen. Wenn das Krankenhaus die Räum- und Streupflicht nicht auf einen Dienstleister übertragen, sondern nach wie vor selbst übernommen hätte, dann hätte das Krankenhaus natürlich auch auf glatte Wege auf dem Krankenhausgelände reagieren müssen, wenn es ansonsten im Stadtbezirk keine Glatteisbildung gegeben hätte. Das Krankenhaus als unmittelbar Verkehrssicherungspflichtiger hätte also das Gelände durchgehend überwachen müssen. Durch die Übertragung auf einen Dienstleister ändert sich die Person des Verkehrssicherungspflichtigen, nicht aber der Inhalt der Pflicht. Auch der Streudienst wäre deshalb verpflichtet gewesen, das Krankenhausgelände bei einer entsprechenden Witterungslage regelmäßig zu überwachen. Weil das nicht geschehen ist, liegt eine Verkehrssicherungspflicht vor, die im Ergebnis zu der Verletzung der Klägerin geführt hat, die dann einen entsprechenden Schadenersatz fordern kann.

Konsequenzen

Die Entscheidung hält sich im Rahmen der ständigen Rechtsprechung auch des Bundesgerichtshofs. Sie verdeutlicht aber eine Rechtslage, die Eigentümer einer Immobiliebeachten müssen. Die Übertragung von Verkehrssicherungspflichten auf Dienstleister ändert nichts an der Verkehrssicherungspflicht als solcher. Ob der Eigentümer einer Verkehrsfläche selbst für sichere Verhältnisse zu sorgen hat oder damit einen Dritten beauftragt, ändert nichts daran, dass Besucher in ihrer Integrität geschützt sein müssen. Aus Sicht des Besuchers oder Nutzers kann und darf es keine Rolle spielen, wer aufseiten des Verkehrspflichtigen konkret für welche Aufgabe zuständig ist. Diese Aufgabenverteilung muss in das Innenverhältnis zwischen dem unmittelbar Verkehrssicherungspflichtigen und seinem Dienstleister verlagert und dort gelöst werden.

Praxistipp

Im vorliegenden und auch in vergleichbaren Fällen beruft sich der Dienstleister nicht ganz zu Unrecht darauf, dass ihm eine ständige Überwachung der von ihm betreuten Verkehrsflächen wirtschaftlich unzumutbar ist. Eine Lösungkönnte darin liegen, im Vertrag vorzusehen, dass der Auftraggeber den Auftragnehmer bei vorher bestimmten Wetterverhältnissen informieren muss. Das führt zwar zu einer gewissen Rückverlagerung der Verkehrssicherungspflichten auf den Auftraggeber, versetzt aber den Auftragnehmer rein praktisch überhaupt erst in die Lage, die ihm übertragenen Verkehrssicherungspflichten auch zu erfüllen.

 

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Dr. Jonas Müller

Dr. Jonas Müller
RA, FA für Bau- und Architektenrecht, wronna+partner.gbr
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