Eine dem gekündigten ehemaligen Mieter gem. § 721 ZPO eingeräumte Räumungsfrist kann aufgrund der COVID-19-Pandemie verlängert werden, jedenfalls dann, wenn der ehemalige Mieter aufgrund seines Alters oder von Vorerkrankungen einer Risikogruppe angehört.
(Leitsätze des Bearbeiters)
Problemstellung
Die Beendigung eines Mietverhältnisses durch berechtigte fristlose Kündigung oder auch durch Räumungsurteil hat zur Folge, dass der (ehemalige) Mieter von einem Tag auf den anderen die Wohnung räumen und herausgeben muss. Unabhängig davon, dass dies faktisch häufig nicht möglich ist, würde dies dazu führen, dass der ehemalige Mieter „auf die Straße gesetzt“ werden müsste. Gem. § 721 ZPO kann das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen dem ehemaligen Mieter eine angemessene Räumungsfrist gewähren, wobei die Räumungsfrist auf Antrag verlängert werden kann. Bei einer solchen Verlängerung ist jedoch sowohl das Interesse des Vermieters als auch das Interesse des (ehemaligen) Mieters zu berücksichtigen.
Entscheidung
In der vom Landgericht Berlin getroffenen Entscheidung ging es um den Antrag eines ehemaligen Mieters auf Verlängerung der Räumungsfrist. Der Mieter stützte seinen Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist auf die Folgen der COVID-19-Pandemie und damit verbundenen Einschränkungen als auch seiner Gesundheitsgefährdung.
Das Landgericht Berlin gab dem Antrag statt und verlängerte die Räumungsfrist bis zum 30. Juni 2020.
Das Landgericht Berlin stützt die Entscheidung darauf, dass § 721 ZPO sicherstellen soll, dass der Mieter von Wohnraum innerhalb einer angemessenen Frist anderweitig untergebracht werden kann und dieser nicht nur davor geschützt werden soll, obdachlos zu werden, sondern ihm auch Gelegenheit gegeben werden soll, zumutbaren Ersatzwohnraum zu beschaffen.
Zwar muss bei einer beantragten Verlängerung der Räumungsfrist eine besondere Abwägung der Interessen von Vermieter und Mieter erfolgen. Eine Verlängerung ist jedoch insbesondere dann möglich, wenn veränderte Umstände oder neue Tatsachen vorliegen.
Die COVID-19-Pandemie hat zum einen dazu geführt, dass aufgrund der Kontaktbeschränkungen Wohnungsbesichtigungen in der Regel nicht durchgeführt werden können, sodass der Vermieter einerseits seine Wohnung nicht kurzfristig neu vermieten kann, der (ehemalige) Mieter aber seinerseits auch nicht in der Lage ist, neuen Wohnraum zu beschaffen. Zudem gehört der Mieter aufgrund seines Alters und seiner Vorerkrankungen zu einer Risikogruppe, sodass er nicht der Gefahr einer Wohnungslosigkeit auszusetzen ist.
Gegenstehende überwiegende Interessen des Vermieters bestehen nach Ansicht des Gerichts daher nicht, sodass die Räumungsfrist bis zum 30. Juni 2020 zu verlängern war.
Konsequenzen
Die COVID-19-Pandemie hat auch in rechtlicher Hinsicht gravierende Folgen für alle Lebensbereiche, insbesondere im Mietrecht. Während zu den einzelnen Fragen, die laufende Mietverhältnisse betreffen, noch keine Entscheidungen vorliegen und sicherlich die Rechtsprechung Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, brauchen wird, um die aufgetretenen und sich im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie täglich neu stellenden Rechtsfragen zu klären, geht es im Rahmen von Entscheidungen des Vollstreckungsschutzes – hier der Verlängerung der Räumungsfrist – um kurzfristig zu fällende Entscheidungen. In der Regel dürften entsprechende Räumungsschutzanträge bewilligt werden. Vermieter erhalten allerdings vom Mieter während der Räumungsfrist eine Nutzungsentschädigung in Höhe der entgangenen Miete.
Praxistipp
Auch wenn es nicht immer möglich sein wird, macht es auch im Falle eines Räumungsrechtsstreits in der Regel Sinn, sich mit dem (ehemaligen) Mieter über die Modalitäten der Räumung und der Herausgabe der Mietsache zu einigen. Eine solche Einigung führt, auch wenn es oftmals den Beteiligten schwerfällt, häufig schneller zum Erfolg, als das Ausschöpfen sämtlicher rechtlicher Möglichkeiten. Dies gilt in Zeiten der COVID-19-Pandemie umso mehr, da im Grunde nicht eingeschätzt werden kann, „wo der Hase hinlaufen wird“. Es dürfte zu erwarten sein, dass die Rechtsprechung eher zugunsten der (ehemaligen) Mieter tendieren wird, da die Wohnung als Mittelpunkt der privaten Existenz des Einzelnen von elementarer Bedeutung ist und es umgekehrt beim Vermieter in der Regel „lediglich“ um die finanzielle Existenz geht.
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