Anspruch auf Ersatzwohnung

Ein wegen Eigenbedarfs seines Vermieters gekündigter Wohnungsinhaber hat Anspruch auf eine Ersatzwohnung des Hausbesitzers, wenn dieser über weitere freie Wohnungen vergleichbarer Qualität verfügt. Die gesetzliche Verpflichtung, ihm eine dieser Mietwohnungen anzubieten, ist allerdings zeitlich befristet und endet mit Ablauf des aufgekündigten Mietvertrages. Die Erbin einer verstorbenen Hausbesitzerin kündigte der Bewohnerin einer Wohnung im 5. Stock einer Münchner Immobilie ihr Domizil wegen Eigenbedarfs. Einen Monat nach dem aufgezwungenen Vertragsende lief das Mietverhältnis eines Nachbarn ein Stockwerk tiefer ab, der zu dieser Zeit von sich aus die Wohnung gleichen Zuschnitts aufgegeben hatte. Die mit dem unerwarteten Rauswurf nicht einverstandene Mieterin klagte. Das Vorgehen sei rechtsmissbräuchlich, weil die Erbin der langjährigen Bewohnerin die darunter frei werdende Alternativwohnung im selben Haus nicht angeboten habe.
Das sei falsch, erklärten die Bundesrichter. Kündigt der Vermieter eine vermietete Wohnung wegen Eigenbedarfs, so muss er dem Mieter in der Tat bis zum Ablauf der Kündigungsfrist eine vergleichbare, im selben Haus oder in derselben Wohnanlage ihm zur diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehende Wohnung anbieten. Doch die monierte Wohnung im vierten Stockwerk war erst zum Ablauf des Monats nach Ende des Mietverhältnisses der Bewohnerin im 5. Stock gekündigt worden. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Frau, die wegen ihrer Klage zwar noch immer nicht ausgezogen war - bei rechtmäßigem Verhalten ihre Wohnung bereits längst geräumt haben müssen. Weder sie noch die neue Hausbesitzerin durften darauf vertrauen, dass der Mann aus seiner selbst gekündigten Wohnung tatsächlich zum erwarteten sowieso zu späten Zeitpunkt ausziehen würde.

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Bild: natali_mis/stock.adobe.com
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Aus dem Tatbestand

Der Kläger ist Testamentsvollstrecker über den Nachlass der verstorbenen P. , zu dem ein Wohnhaus in M. gehört, in dessen fünften Stock die Beklagte aufgrund eines Mietvertrags aus dem Jahr 1982 eine Wohnung bewohnt.
Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 2. Juni 2005 wegen Eigenbedarfs der Alleinerbin die Kündigung des Mietverhältnisses zum 28. Februar 2006. Die Mieter einer im vierten Stock desselben Hauses belegenen Wohnung gleichen Zuschnitts kündigten mit Schreiben vom 30. Dezember 2005 zum 31. März 2006 das Mietverhältnis über ihre Wohnung.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger Räumung und Herausgabe der Wohnung der Beklagten. Die Beklagte ist der Ansicht, die Kündigung sei vom Kläger nicht als Vermieter, sondern nur in Vertretung für die Erbin ausgesprochen worden und deswegen unwirksam. Weiter bestreitet sie den Eigenbedarf. Außerdem meint sie, der Kläger habe seine Anbietpflicht bezüglich der Wohnung im vierten Stock verletzt.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Räumungsanspruch weiter.

Aus den Entscheidungsgründen

Die Revision hat Erfolg.

I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Zwar sei die Kammer entgegen der Ansicht des Amtsgerichts der Auffassung, dass die Kündigung hinreichend deutlich zum Ausdruck bringe, dass sie von dem Kläger als Testamentsvollstrecker in eigenem Namen erklärt worden sei. Dieses Problem bedürfe jedoch keiner Vertiefung, weil die Kündigung deshalb unwirksam sei, weil der Kläger seine Anbietpflicht verletzt habe. Da die im vierten Stock gelegene Wohnung der Beklagten nicht zur Anmietung angeboten worden sei, sei die Kündigung gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlich.
Das Gericht verkenne dabei nicht, dass nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. Juli 2003 (NJW 2003, 2604 f.) eine solche Anbietpflicht grundsätzlich nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bestehe. Der vom Bundesgerichtshof herangezogene Gesichtspunkt, dass andernfalls derjenige Mieter privilegiert werde, der sich bei wirksamer Kündigung trotz Ablaufs der Kündigungsfrist zu Unrecht noch in der Wohnung aufhalte, vermöge im vorliegenden Fall aber nicht zu begründen, dass die Anbietpflicht auf den Ablauf der Kündigungsfrist der Beklagten begrenzt sei. Die Klage sei erst am 12. April 2006 rechtshängig geworden. Die Alternativwohnung sei mit Ablauf des Monats März 2006 frei gewesen. Außerdem habe der Mieter dieser Alternativwohnung die Wohnung selbst gekündigt. Der Vermieter habe also annehmen können, dass der Mieter zum Ablauf der Kündigungsfrist ausziehen werde. Auch bestehe die Anbietpflicht unabhängig davon, ob die Annahme eines Mietvertragsangebots seitens des Klägers durch die Beklagte wahrscheinlich gewesen wäre oder nicht.

II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Nach den bisher getroffenen Feststellungen hat das Berufungsgericht den vom Kläger geltend gemachten Anspruch aus § 546 Abs. 1 BGB auf Räumung und Herausgabe der gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB wegen Eigenbedarfs der Eigentümerin gekündigten Wohnung der Beklagten zu Unrecht verneint.
1.Keinen durchgreifenden Bedenken begegnet allerdings - entgegen der Gegenrüge der Revisionserwiderung - die Auffassung des Berufungsgerichts, die Kündigung des Klägers vom 2. Juni 2005 bringe hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass sie von ihm als Testamentsvollstrecker in eigenem Namen erklärt worden sei. Diese Annahme beruht auf der tatrichterlichen Auslegung einer Individualerklärung, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs revisionsrechtlich nur beschränkt darauf überprüfbar ist, ob gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt worden sind (BGHZ 154, 132, 133; 168, 64, 69, jew. m.w.N.). Derartige Rechtsfehler zeigt die Revisionserwiderung nicht auf. Der von ihr angeführte Wortlaut des Kündigungsschreibens ist nicht so eindeutig, dass die Auslegung des Berufungsgerichts damit unvereinbar wäre.
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger jedoch keine Pflicht zur Anbietung einer Alternativwohnung verletzt (§ 242 BGB).
Wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat, muss der wegen Eigenbedarfs gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB berechtigt kündigende Vermieter dem Mieter bis zum Ablauf der Kündigungsfrist eine vergleichbare, im selben Haus oder in derselben Wohnanlage ihm zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehende Wohnung, die vermietet werden soll, zur Anmietung anbieten (Senatsurteil vom 9. Juli 2003 - VIII ZR 311/02, WuM 2003, 463 - noch zu § 564b Abs. 2 Nr. 2 BGB aF, nunmehr § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Die Wohnung im vierten Obergeschoss ist erst zum Ablauf des Monats März 2006 und damit einen Monat nach Ende des Mietverhältnisses der Beklagten gekündigt worden. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Beklagte - den geltend gemachten Eigenbedarf unterstellt - bei rechtmäßigem Verhalten ihre Wohnung bereits geräumt haben müssen. Deswegen ist auch unerheblich, ob der Kläger darauf vertrauen durfte, dass die Mieter der Wohnung im vierten Stock gemäß ihrer eigenen Kündigung am 31. März 2006 ausziehen würden. Unerheblich ist weiter, dass die - im März 2006 eingereichte - Klageschrift der Beklagten erst am 12. April 2006 zugestellt worden ist. Dieser Klage hätte es nicht bedurft, wenn die Beklagte sich rechtmäßig verhalten und ihre Wohnung Ende Februar 2006 geräumt hätte. Die gegenteilige Ansicht des Berufungsgerichts würde auf eine nachvertragliche Treuepflicht des Vermieters gegenüber dem Mieter hinauslaufen. Eine solche Pflicht mit dem Inhalt, dass noch eine Anbietpflicht für die Zeit nach Beendigung des Mietverhältnisses bestände, ist jedoch nicht anzuerkennen (Senatsurteile, aaO, unter II 2; BGHZ 165, 75, 82 f.; die gegen dieses Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG, NJW 2006, 2033, nicht zur Entscheidung angenommen). Eine über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus zeitlich weiter ausgedehnte Anbietpflicht würde den allgemeinen Prinzipien des Privatrechts von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zuwiderlaufen, die vornehmlich bei der Rechtswirkung einerseitiger Gestaltungserklärungen, wie hier der Wohnungskündigung, zu beachten sind (BGHZ, aaO, 79). Sie würde zu einer systemwidrigen Durchbrechung der Grundsätze über die rechtsgestaltende Wirkung von Kündigungserklärungen führen (BGHZ, aaO, 82 f.). Zugleich würde das berechtigte Interesse des Vermieters, auf die Rechtsfolgen einer wirksamen Kündigung vertrauen und seine Planung danach ausrichten zu können, erheblich eingeschränkt (BGHZ, aaO, 84).

III.
Auf die Revision des Klägers ist das Berufungsurteil daher aufzuheben. Da das Berufungsgericht offen gelassen hat, ob der von der Beklagten bestrittene Eigenbedarf besteht, ist die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif.
Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Gericht: BGH Karlsruhe
Aktenzeichen: VIII ZR 292/07

Redaktion (allg.)

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