Tausende Mieter müssen mit Nachzahlungen rechnen

Berliner Mietendeckel ist verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Das Land Berlin hat mit dem „Mietendeckel“ seine Gesetzgebungskompetenz überschritten hat. Damit ist der Berliner Mietendeckel mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb nichtig.

BILD: ADOBESTOCK/Stadtratte
BILD: ADOBESTOCK/Stadtratte

Das höchste deutsche Gericht entschied auf Antrag von 284 Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass dem Land Berlin die entsprechende Gesetzgebungskompetenz für den Mietendeckel fehle, da der Bund das Mietpreisrecht in den §§ 556 bis 561 BGB abschließend geregelt habe. Der Berliner Mietendeckel sei mit Artikel 74 in Verbindung mit Artikel 72 und daher mit dem Gesetzgebungsvorrang des Bundes nicht vereinbar.

Damit gilt in Berlin für das Mietrecht wieder uneingeschränkt das Bürgerliche Gesetzbuch. Der Mietendeckel sah ein fünfjähriges Verbot von Mietanpassungen und ein Einfrieren auf gesetzlich festgeschriebene Quadratmetermieten vor, die von der Wohnlage und vom Wohnkomfort weitgehend unabhängig waren.

Seit dem 23. Februar 2020 waren die Mieten für 1,5 Millionen Wohnungen in Berlin durch den Mietendeckel auf dem Stand vom Juni 2019 eingefroren. Ab 2022 sollten sie höchstens um 1,3 Prozent jährlich steigen dürfen. Wenn eine Wohnung wiedervermietet wird, hätten Vermieter dann vom Staat festgelegte Obergrenzen und die zuletzt verlangte Miete einhalten müssen. Zum 23. November 2020 war die zweite Stufe des Mietendeckels in Kraft getreten, die Mieten von mehr als 20 Prozent über den Obergrenzen verbot. Zehntausende Mieten mussten abgesenkt werden. Daraus ergeben sich jetzt unmittelbar Nachzahlungspflichten für die Mieter.

Fehlt Berlin jetzt der qualifizierte Mietspiegel?

Nach Meinung von Sebastian Orthmann, Rechtsanwalt und Partner bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland, bestätige das Urteil die Einschätzung der meisten rechtlichen Berater, die bereits vor Erlass des Mietendeckels die Verfassungswidrigkeit bemängelt hätten. Die Entscheidung habe weitreichende Konsequenzen für bestehende Mietverhältnisse. Vermieter könnten nun den Teil der Miete fordern, der aufgrund des Mietendeckels in der Vergangenheit abgesenkt wurde. Auch zwischenzeitlich erfolgte Mieterhöhungen könnten nun wirksam sein. Bei neu abgeschlossenen Mietverträgen gelte – falls wirksam vereinbart – die sogenannte Schattenmiete.

Rechtsanwalt Orthmann befürchtet ferner, dass das Land Berlin vermutlich nicht mehr über einen qualifizierten Mietspiegel verfüge, der die aktuelle Marktmiete abbildet. Dieser sei jedoch ein wichtiges Instrument für die Anwendung der nun voraussichtlich wieder greifenden Mietpreisbremse.

Viele Mieten dürften wieder anziehen

Die Analysten des Immobilienportals Immowelt befürchten, durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werde es in den kommenden Monaten wahrscheinlich zu Nachholeffekten bei den Mieten von Bestandswohnungen kommen. Die Mieten dürften wieder deutlich anziehen, sodass sich die entstandene Lücke bei der Entwicklung von Neubau- und Bestandsmieten wieder etwas schließt. Hinzu komme, dass nun möglicherweise Schattenmieten greifen, die Vermieter vorsorglich in den Mietvertrag geschrieben haben für den Fall, dass der Mietendeckel gekippt wird. Viele Mieter stünden vor erheblichen Mietanstiegen, was wahrscheinlich einige weitere Gerichtsverfahren nach sich ziehen werde.

Immobilienverbände durchweg zufrieden und erleichtert

Die Interessenverbände der Wohnungs- und Immobilienbranche hatten den radikalen Eingriff des Berliner Senats stets als verfassungsrechtlich unzulässig und investitionsfeindlich kritisiert. Durch den Mietendeckel werde in der Hauptstadt nicht eine neue Wohnung gebaut, obwohl das knappe Angebot Hauptgrund für die Mietensteigerungen sei. Entsprechend fällt die Zustimmung zum Richterspruch aus Karlsruhe aus.

Maren Kern, Vorstandschefin des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) freut sich: „Das Mietendeckel-Experiment ist wie von uns vorhergesagt gescheitert. Damit gibt es wieder grünes Licht für Investitionen in mehr Neubau, Klimaschutz und generationengerechtes Wohnen.“ Mit der Aufhebung des Mietendeckels könnten die Unternehmen der sozialen Wohnungswirtschaft wieder zu ihren ursprünglichen Investitionsplanungen zurückkehren. Das seien gute Nachrichten für den Neubau bezahlbarer Mietwohnungen, für den Klimaschutz und für generationengerechtes Wohnen in Berlin.

Gleichzeitig gab Kern für Nachzahlungen bei BBU-Mitgliedsunternehmen aber Entwarnung: Aufgrund der bei ihnen schon vor dem Mietendeckel günstigen Mieten hätten sie nur bei rund zwölf Prozent ihrer Wohnungen die Mietzahlungen absenken müssen, und auch das nur in geringem Umfang. „Deshalb werden sich Nachzahlungsforderungen bei unseren Mitgliedsunternehmen auch sehr in Grenzen halten“, sagt Kern voraus. Bei sozialen Härten infolge von Nachzahlungsforderungen würden aber Lösungen gefunden. Als Beispiele nannte sie die Vereinbarung von Ratenzahlungen, Stundungen oder den Verzicht auf Räumungen bei im Zusammenhang mit dem Mietendeckel aufgelaufenen Mietschulden.

Auf die Nachzahlungspflicht von Mietern geht auch die Vorsitzende des IVD Berlin-Brandenburg, Kerstin Huth, in ihrer Stellungnahme zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein. „Dass die Mieter die nach dem 23. November 2020 zu wenig entrichtete Miete nachzahlen müssen, ist zwar richtig, wird viele Haushalte aber überfordern.“ Huth appelliert an alle Vermieter, bei Mietrückständen nicht gleich zu kündigen, sondern gemeinsam mit dem Mieter eine Lösung zu finden. Ab Mai müssen die Mieter die Miete wieder in der Höhe entrichten, wie sie ursprünglich im Mietvertrag vereinbart ist.

Der Deutsche Mieterbund gibt sich weiterhin kämpferisch

Der Deutsche Mieterbund hat Mietendeckel und Mietabsenkung in Berlin stets begrüßt, und gibt sich trotz der krachenden juristischen Niederlage vor den Verfassungsrichtern kämpferisch. „Die Entscheidung aus Karlsruhe ist bitter, trifft sie doch die Bewohner von 1,5 Millionen Berliner Mietwohnungen hart. Aber sie ist auch ein lauter Weckruf an den Bundesgesetzgeber endlich zu handeln und die Mietenexplosion in vielen deutschen Städten zu stoppen“, erklärt der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. Eine Konsequenz der Entscheidung sei bereits klar: eine wirksame Mietenbegrenzung auf Bundesebene sei überfällig. Der Anfang dazu sei gemacht. Im Februar startete die bundesweite Kampagne „Mietenstopp“. Mittlerweile unterstützten über 56 Initiativen, Verbände und Organisationen, darunter auch der Deutsche Mieterbund, die Kampagne.

Die politische Auseinandersetzung um die Wohnungsknappheit und steigende Mieten in den Ballungszentren erhält durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts neue Nahrung. Der richtige Weg in der Wohnungs- und Eigentumspolitik dürfte auch den Bundestagswahlkampf im Spätsommer prägen. (Red.)



Mietendeckel entlastet besserverdienende Mieter
Kritik am Mietendeckel vom BFW und BBU

Urteil zum Mietendeckel vom 15.04.21: Wichtige Entlastung für den Markt (Artikel vom IW Köln)

Anlässlich des heutigen Urteils erklärt der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten: „Die Entscheidung aus Karlsruhe ist bitter, trifft sie doch die Bewohner:innen von 1,5 Millionen Berliner Mietwohnungen hart.  Aber sie ist auch ein lauter Weckruf an den Bundesgesetzgeber endlich zu handeln und die Mietenexplosion in vielen deutschen Städten zu stoppen!“

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