Mit Housing First raus aus der Obdachlosigkeit
Nach Angaben der Nassauischen gibt es in Hessen derzeit über 22.000 wohnungslose Menschen, mehr als 3.000 lebten dauerhaft auf der Straße, mehrere hundert auch in Frankfurt. Die Tendenz sei steigend. Mit dem Projekt „Housing First“ hat sich die MainWeg gGmbH – eine gemeinnützige Organisation, die Menschen mehr als nur die tägliche Hilfe zum Überleben bieten will – zum Ziel gesetzt, Obdachlosen die Integration in die Gesellschaft zu erleichtern, indem sie ihnen bei der Wohnungssuche sowie bei der Suche nach einer eigenen Arbeitsstelle hilft. Unterstützung bekommt die MainWeg jetzt von der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW). Hessens größtes Wohnungsunternehmen wird der Initiative künftig Wohnungen in Frankfurt zur Verfügung stellen. Den Kooperationsvertrag haben NHW-Geschäftsführer Constantin Westphal und Holger Lack, Leiter des NHW-Regionalcenters Frankfurt, sowie Lars Volkmann, Geschäftsführer von MainWeg, Ende 2023 unterzeichnet. Während der zweijährigen Pilotphase sei vorgesehen, dass die NHW je nach Verfügbarkeit vier Wohnungen pro Jahr vorschlägt. Der Bedarf sei da: Zu einer potenziellen von der MainWeg betreuten Mieterin hat die NHW bereits Kontakt aufgenommen und gemeinsam mit ihr eine Wohnung besichtigt. Die Zusammenarbeit soll helfen, Menschen mit langjährigen komplexen Problemlagen, bei denen bestehende Hilfeangebote keinen Erfolg haben, die Rückkehr in ein eigenverantwortliches Wohnen und Leben ermöglichen.
„Der erste Schritt zurück in die Gesellschaft ist ein sicheres Zuhause“
„Housing First setzt sich zum Ziel, die Wohnungslosigkeit von Menschen durch den Abschluss eines eigenen Mietvertrages in einer menschenwürdigen Wohnung sowie mit einer sozialarbeiterischen Begleitung zu beenden“, ergänzt MainWeg-Geschäftsführer Lars Volkmann. „Der erste Schritt zurück in die Gesellschaft ist ein sicheres Zuhause. Auf dieser Grundlage lassen sich das eigene Leben und die individuelle Zukunft verantwortungsvoll gestalten.“
Die neuen Bewohner der NHW-Wohnungen könnten sich der kontinuierlichen, individuellen Betreuung durch Sozialarbeiter und weiterer Hilfsangebote sicher sein, bis sich ihre Wohnsituation stabilisiert hat. Beispielsweise begleite MainWeg sie bei ihrer Integration in die Hausgemeinschaft sowie den Arbeitsmarkt und organisiert – falls nötig – weitere Unterstützung durch Ehrenamtliche.
Der Ansatz kommt aus der US-amerikanischen Sozialpolitik
In vielen Städten Deutschlands arbeiten Träger der freien Wohlfahrtpflege und Initiativen der Wohnungslosenhilfe (zum Beispiel Diakonie, Caritas und AWO) nach dem psychosozialen Integrationskonzept von Housing First. Das Konzept ist ein Ansatz aus der US-amerikanischen Sozialpolitik beim Umgang mit Obdachlosigkeit und eine Alternative zum herkömmlichen System von Notunterkünften und vorübergehender Unterbringung. Verkürzt und vereinfacht ließe sich dieses Konzept der längerfristigen sozialen Betreuung und Begleitung überschreiben mit dem Satz: Eine eigene Wohnung ist nicht alles, aber ohne eigene Wohnung ist alles nichts. Kernprinzip des Konzeptes ist die Erkenntnis, dass ein zufriedenstellendes, gesundes und selbstbestimmtes Leben nur in einem sicheren Zuhause möglich ist. Eine Wohnung mit Mietvertrag bildet die Grundlage für die Annahme sozialer Hilfen, von Betreuung, Therapien und von Verhaltensänderungen. Selbstbestimmung und Wahlfreiheit der obdachlosen Menschen ist für Housing First zentral. Ein eigener, unbefristeter Mietvertrag sei sofort möglich und ob eine weiterführende Hilfe erfolgt, entschieden die neuen Mieter selbst. Wohnung und Hilfe seien personell und organisatorisch voneinander getrennt. Wer die Wohnung verlieren sollte, könne weiter unterstützt werden. Wer keine Hilfe möchte oder die Hilfe beendet, dürfe weiter in der Wohnung bleiben.
Betroffene müssen ihre „Wohnfähigkeit“ nicht beweisen
Das Housing-First Konzept beende Wohnungslosigkeit unmittelbar und biete flexible wohnbegleitende Hilfen zum dauerhaften Wohnungserhalt an. Regulärer Wohnraum werde an erste Stelle gerückt – ein entscheidender Unterschied zum derzeit meist praktizierten System. Darin müssten Betroffene oft ihre „Wohnfähigkeit“ zunächst unter Beweis stellen: Unterkünfte und Trainingswohnungen müssten durchlaufen werden. Oftmals sei die Zurverfügungstellung von Wohnraum an die Erfüllung von Auflagen und Wohlverhalten gekoppelt. Der Aufstieg in ein normales Mietverhältnis scheitere häufig an nicht vorhandener Wohnungen auf dem Markt und so drohe die erneute Wohnungslosigkeit: Ein „Drehtür-Effekt“ stelle sich ein. Auch seien solche Wohnraumformen häufig zeitlich befristet. Housing First hingegen bedeute: Es besteht von Anfang an ein normales, unbefristetes Mietverhältnis mit allen Rechten und Pflichten. Wohnbegleitende Hilfen werden aktiv angeboten: Betroffene werden dazu ermutigt, Probleme mit Unterstützung anzugehen, aber nicht dazu verpflichtet. Dort wo Housing-First bereits praktiziert wird, seien die Ergebnisse überzeugend.
Nicht länger aus Tüten und Rucksäcken leben
Wer aus Tüten und Rücksäcken lebt und auf der Straße schläft steckt in einem Teufelskreis. Wer keinen festen Wohnsitz hat, bekommt keine Arbeit; ohne Arbeit und Einkommen keine Wohnung. Housing First will diesen Teufelskreis durchbrechen. Ein eigener, unbefristeter Mietvertrag ist als wichtigster Schritt in ein gesundes Leben möglich. Mitinteressenten werden durch die Institutionen der Wohnungslosenhilfe an Vermieter vermittelt. Regelmäßige Mietzahlungen sind gesichert, denn in der Regel beziehen die Menschen Grundsicherung, Sozialhilfe oder Bürgergeld. Es gibt auch Mietinteressenten, die Rente beziehen oder arbeiten gehen. Der Verein Housing First schreibt auf seiner Homepage: „Mehr als 90 Prozent der Projektteilnehmenden wohnen langfristig in einem stabilen Mietverhältnis in guter Nachbarschaft („Wohnstabilität“). Die körperliche und seelische Gesundheit der zuvor obdachlosen Menschen verbessert sich erheblich. Die soziale Integration in Nachbarschaft und auf dem Arbeitsmarkt gelingt besser als bei allen bisher bekannten Konzepten der Obdachlosenhilfe.“
Auch in Nordhessen hält die NHW Wohnungen für Hilfsinitiativen bereit
Die Frankfurter MainWeg gGmbH ist nicht die einzige Kooperationspartnerin der Nassauischen Heimstätte. Ein vergleichbares Projekt hat die NHW nach eigenen Angaben in Nordhessen auf den Weg gebracht und Wohnungen an den Verein Verbund sozialpädagogischer Kleingruppen e.V. vermietet. Dessen individualpädagogisches Angebot richte sich an junge Menschen, für die das Leben in einer Gruppe oder in ihren Familien aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr möglich ist und die die bestehenden Systeme der Jugendhilfe, der Schule oder des Gesundheitswesens überfordern.
Thomas Engelbrecht
