Bundesministerin im Heizungskeller
Der Heizungskeller in der Schöppinger Straße 18 ist nicht nur sehr warm, sondern auch sehr voll. Bundesbauministerin Klara Geywitz lässt sich von den Vorständen der Wohnungsbaugenossenschaft Märkische Scholle eG, Jochen Icken und Margit Piatyszek-Lössl, erklären, wie das Energiekonzept der Wohnanlage am südlichen Berliner Stadtrand funktioniert. Mit dabei: Maren Kern, Vorständin des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), Martin Sabel, Geschäftsführer des Verbands Wärmepumpe, der Architekt und Energieplaner Taco Holthuizen sowie mehrere Kamerateams und zahlreiche weitere Medienvertreter.
Der Großandrang im 963 Wohnungen umfassenden Quartier in Lichterfelde-Süd hat einen politischen Grund: Die geplante Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) sorgt mit ihrer Vorgabe, dass ab 2024 im Prinzip nur noch Heizungen eingebaut werden dürfen, die zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden, für Aufsehen und Protest. In der Wohnsiedlung der Märkische Scholle eG ist diese Vorgabe schon vor Jahren ganz ohne gesetzlichen Zwang umgesetzt worden. Zwischen 2014 und 2020 sanierte die Genossenschaft die aus den 1930er- und 1960er- Jahren stammenden Häuser, stockte sie um ein Geschoss auf und errichtete drei Neubauten mit zusammen 180 Wohnungen.
Energiekonzept mit Erdwärmespeicher
Das Energiekonzept, das Taco Holthuizen, Geschäftsführer der eZeit Ingenieure GmbH, dafür entwickelt hat, baut auf offenen Erdwärmespeichern auf, die als Quellen für Sole-Wasser-Wärmepumpen dienen. Diese Energiespeicher – sogenannte eTanks – befinden sich direkt unter der Erdoberfläche neben den einzelnen Gebäuden. Gespeist werden sie aus drei Quellen: Erstens fangen Solarkollektorflächen auf den Dächern die Sonnenstrahlung auf. Zweitens wird das Gebäude selbst als Wärmequelle genutzt, was durch eine automatische Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung erfolgt. Und drittens speichern die eTanks Erdwärme. Die Wärmepumpen ihrerseits sind an Photovoltaikmodule angeschlossen.
CO2-Fußabdruck der Bestandsgebäude deutlich reduziert
Der Vorteil dieses Konzepts ist, dass die Genossenschaft auf eine dicke Dämmung verzichten konnte. Das in den 1960er-Jahren errichtete Haus in der Schöppinger Straße, dessen Heizungskeller die Ministerin besucht, sei schon vor der Sanierung sechs Zentimeter dick gedämmt gewesen, erklärt Genossenschaftsvorstand Jochen Icken dem prominenten Gast während des Rundgangs. Diese Dämmung habe nicht verstärkt werden müssen. Trotzdem ist es nach Angaben von Energieplaner Taco Holthuizen gelungen, den CO2-Fußabdruck der Wohnanlage von 60 Kilogramm pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr auf 11,5 Kilogramm nach der Sanierung zu reduzieren. Laut Holthuizen wird das Quartier jetzt zu mehr als 75 Prozent mit regenerativen Energien versorgt.
„Das Beispiel der Märkischen Scholle zeigt, dass mit Wärmepumpen auch Mehrfamilienhäuser aus den Dreißigerjahren und im urbanen Raum auf erneuerbare Energien umgestellt werden können“, bewertet dies Martin Sabel vom Bundesverband Wärmepumpe. Und Energieplaner Holthuizen betont: „Mit derartigen Projekten und vor allem mit dezentralen Nahwärmenetzen müssen wir mittel- und langfristig dafür sorgen, den Gebäudebestand klimaneutral zu machen.“
Entscheidend ist das Monitoring
Tatsächlich versichern die Verantwortlichen auf Nachfrage, dass sich das Energiekonzept in der Praxis bewährt. Nach Angaben der Genossenschaft wird der Wärmebedarf derjenigen Gebäude, die mit einer Abluftwärmepumpe ausgestattet sind, komplett aus erneuerbaren Quellen gedeckt, und zwar zu rund 30 Prozent durch die Abluftwärmepumpe, zu rund 30 Prozent durch die thermische Solaranlage und zu rund 40 Prozent durch den e-Tank. Ein Anschluss an das Fernwärmenetz ist jedoch nach wie vor vorhanden, da vier Häuser keine Abluftwärmepumpe haben.
Allerdings liefen die Anlagen nicht von Anfang an optimal, wie Jochen Icken sagt. Die Koordinierung der unterschiedlichen Komponenten verschiedener Hersteller sei nicht einfach, begründet er dies. Sinnvoll wäre es deshalb laut Icken, bei zukünftigen Sanierungsprojekten von Anfang an die Hersteller an einen Tisch zu holen und zu besprechen, wie eine optimale Regelung erreichbar ist.
Dank Monitoring konnte Stromverbrauch um 40 Prozent gesenkt werden
Als besondere Herausforderung erwies sich zudem das Monitoring, das für den Erfolg des Energiekonzepts essenziell ist. Schon zu einem früheren Zeitpunkt (vgl. ivv 10/2017) hat Energieplaner Holthuizen darauf hingewiesen, dass es ohne Monitoring niemals aufgefallen wäre, dass es anfangs aufgrund einer zu kurzen Taktung der Wärmepumpen zu einem deutlich erhöhten Stromverbrauch kam. Dieser konnte in der Folge durch eine Verbesserung der Einschaltzeiten um über 40 Prozent gesenkt werden. Doch das Monitoring sei „aufgrund der Komplexität und des Zusammenspiels der einzelnen Komponenten (vom Dach bis zum Keller) aufwendig“, sagt Genossenschaftsvorstand Jochen Icken. Am Anfang musste ein Haustechniker neben all seinen anderen Aufgaben das Monitoring sicherstellen; jetzt sind dafür zwei Haustechniker zuständig. „Sollte das Energiekonzept in der Breite ausgerollt werden“, sagt Icken, „müsste für das Monitoring ein neues Konzept gefunden werden.“
Warmmietenneutralität nicht erreichbar
Nicht ohne Auswirkungen ist auch die deutliche Erhöhung des Strompreises im letzten Jahr geblieben. Denn für den Betrieb der Wärmepumpen muss die Genossenschaft Strom zukaufen; in welchem Ausmaß, lässt sich nach Angaben der Genossenschaft nicht ohne Weiteres beziffern. Durch die Strompreissteigerung ist der Betrieb der Wärmepumpen für die Mitglieder teurer geworden, wobei die genauen Auswirkungen auf die Nebenkostenabrechnung noch nicht feststehen. Die Wohnungsnutzer zahlen nach den letzten verfügbaren Angaben für die sanierten Einheiten eine Gesamtmiete von rund 8,80 Euro pro Quadratmeter, die sich aus sieben Euro für die Kaltmiete und 1,80 Euro für die Nebenkosten zusammensetzt.
Damit hat die Genossenschaft ihr ursprüngliches Ziel, eine weitgehende Warmmietenneutralität zu gewährleisten, nicht ganz erreicht. Zu Beginn der Sanierungsmaßnahmen war sie davon ausgegangen, dass die gesamte Mietbelastung von 7,94 auf lediglich 8,24 Euro pro Quadratmeter steigen würde. „Warmmietenneutralität“, hält Genossenschaftsvorstand Icken klipp und klar fest, „kann nicht funktionieren.“
Kampf dem Rebound-Effekt
Ein wichtiger Faktor für den Erfolg des Konzepts war und ist auch das Verhalten der Nutzer. Grundsätzlich sei das Energiekonzept gut angenommen worden, sagt Icken. In Einzelfällen sei aber der Rebound-Effekt zu beobachten gewesen – so habe es vereinzelt einen sehr hohen Warmwasserverbrauch gegeben. Außerdem hätten sich die Bewohner daran gewöhnen müssen, zum Lüften möglichst nicht die Fenster zu öffnen – das ist wegen der kontrollierten Lüftungsanlagen unnötig. Einzelne Bewohner hätten zudem mit trockener Luft zu kämpfen. Und recht oft hätten die Mitarbeiter die besorgte Frage gehört: „Die Heizung wird nicht mehr heiß. Ist da irgendetwas kaputt?“
Natürlich war nichts kaputt – vielmehr beträgt die Vorlauftemperatur nur noch 50 Grad Celsius, sodass die Heizkörper nicht mehr glühend heiß werden. Um diese Zusammenhänge den Mitgliedern zu erläutern, verfasste die Genossenschaft in Zusammenarbeit mit den Ingenieuren von eZeit einen „Ratgeber für Ihre Behaglichkeit – Gebrauchsanleitung für Ihr neues altes Zuhause“. Darin können die Bewohner zum Beispiel lesen, dass sie die Lüftungsventile nicht zukleben und die Fenster nicht anbohren dürfen.
„Ohne Förderung kein Ausstieg aus fossiler Heizung“
Einen Punkt hebt beim Rundgang übrigens Maren Kern vom BBU hervor: „Das Ganze muss bezahlbar bleiben“ – ohne Planungssicherheit und umfangreiche Förderung werde der Ausstieg aus der fossilen Heizung nicht gelingen. Und etwas später, auf eine Frage von Journalisten, versichert dann auch Ministerin Geywitz: „Die Lösungen müssen sozialverträglich sein.“
DekarbonisierteHeizungsanlage
Christian Hunziker
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