Ein klares Zeichen für den Klimaschutz will die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW) in Rüdesheim am Rhein setzen. Gemeinsam mit dem Berliner Start-up ecoworks hat die NHW für ein Pilotprojekt ein Gebäude-Ensemble mit 28 Wohnungen ausgewählt. Eine Kombination aus Modernisierung mit vorgefertigten Dämmmodulen und innovativer, effizienter Energietechnik soll in den zwei dreigeschossigen Häusern aus den 1930er-Jahren und den dazwischen gebauten zweistöckigen Gebäuden aus 1970 beweisen, dass eine Sanierung auf Net-Zero-Standard auch für ältere Wohnhäuser möglich ist – und so günstig, dass am Ende die Warmmiete nicht maßgeblich steigt. Baustein Nummer eins: Industriell produzierte Fassadenmodule und Dachelemente verringern den derzeitigen Energieverbrauch von 250 Kilowattstunden pro Jahr und Quadratmeter (kWh/m2a) auf den KfW-Effizienzhaus-55-Standard und damit auf einen Verbrauch von weniger als 35 kWh/m2a.
Schritt zwei auf dem Weg zum Null-Emissionshaus ist die Energieversorgung: Großzügig dimensionierte Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern treiben eine Luft-Wärmepumpe, die die Häuser mit Heizwärme und warmem Wasser versorgt. Der Strom aus dem Kraftwerk soll zudem günstig den Bedarf der Hausinstallationen und der Mieter abdecken. Angestrebtes Ziel: Die Häuser produzieren mehr Energie, als sie verbrauchen. Der derzeitige Ausstoß von Kohlendioxid liegt durchschnittlich bei über 70 Kilogramm pro Quadratmeter und Jahr – die blieben der Atmosphäre künftig erspart.
NHW-Geschäftsführerin Monika Fontaine-Kretschmer erläutert die Intention hinter dem ersten Pilotversuch in Hessen, in den die Unternehmensgruppe voraussichtlich rund 2,9 Millionen Euro investieren wird: „Die CO2-Minimierung im Bestand ist Teil unserer Klimastrategie, zu der wir uns auch gegenüber der Landesregierung verpflichtet haben. Wir vertrauen darauf, mit dieser industriellen Variante unsere Quote in der Modernisierung zu erhöhen und halten Wort beim Energiesprong Volume Deal.“ Hintergrund: Mit dieser gemeinsamen Aktion wollen Wohnungs- und Bauwirtschaft den Durchbruch bei der Marktentwicklung für vorgefertigte Dämmmaterialien schaffen. Beim Volume Deal, koordiniert von der Deutschen Energie-Agentur, stellen 22 Wohnungsunternehmen über 11.000 Wohnungen bereit, die in den nächsten vier Jahren seriell saniert werden sollen.
Recycling-Materialien als Dämmstoffe
Das Modernisierungsverfahren ist revolutionär: Zunächst misst und erfasst ein 3D-Laserscanner alle sichtbaren Elemente des Hauses und stellt ein elektronisches Aufmaß für das Gebäude und ein dreidimensionales Architekturmodell her. Die Daten sind die Basis für die industrielle Fertigung. Die maßgeschneiderten Module werden derzeit noch in Brandenburg von Hand produziert, geplant ist aber eine automatisierte Fertigungsstraße. „Unsere Fassaden-Elemente bestehen aus einem Holzrahmenbau, der mit Glasfaser-Dämmstoff aus Recycling-Material gefüllt wird und so den höchstmöglichen ökologischen Standards genügt und zufriedenstellende Dämmwerte erzielt“, erläutert ecoworks-Geschäftsführer Emanuel Heisenberg.
In die einzelnen Bauteile sind Fenster, Mineralfaser-Dämmung und Einbauten für die Haustechnik bereits integriert. Vor Ort werden sie wie eine zweite Haut vor die vorhandene Fassade gesetzt, was die Arbeitszeit deutlich verkürzt. Heisenberg: „Durch die digitale Datenerfassung und die Wiederverwendung von Leitdetails können wir die Planungsphase verkürzen, mithilfe der vorgefertigten Module die Bauzeit gegenüber konventionellen Modernisierungen deutlich verringern.“
Diese Synergieeffekte will auch die NHW für sich nutzen. Karin Hendriks, Leiterin des Unternehmensbereichs Modernisierung/Großinstandhaltung, fasst zusammen: „Mit diesem Pilotprojekt wollen wir prüfen, ob wir Kosten reduzieren und Effizienzgewinne bei der Montage erzielen können. Zudem testen wir, ob wir mit einer solchen industriellen Vorfertigung generell die Modernisierungsrate in unseren Beständen steigern können.“
Parallel setzen die Unternehmen auf innovative Energietechnik. Eine Tochtergesellschaft des Berliner Start-ups baut über ein Contracting-Modell finanzierte Photovoltaik-Anlagen, inklusive Stromspeicher, auf die Dächer. Vervollständigt wird die technische Ausstattung durch eine Luft-Wärmepumpe sowie eine kontrollierte Wohnraum-Belüftung. Die komplette Anlagentechnik wird die nächsten 15 Jahre von ecoworks betrieben, gewartet und instandgehalten. Die Photovoltaik-Anlage deckt den Verbrauch der Wärmepumpe, der Hausinstallationen und im Idealfall auch der Mieter ab. Folge: Das Gebäude produziert tatsächlich mehr Energie, als die Bewohner für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom benötigen.
Kaum Mehrbelastung für die Mieter
Die Bewohner dürfen sich nach Abschluss aller Arbeiten nicht nur über mehr Wohnkomfort freuen, auch die Mieten werden nur moderat steigen. Eine verlässliche Prognose über die Höhe der Warmmiete kann augenblicklich noch nicht erfolgen, da dies stark vom späteren Nutzerverhalten sowie externen Faktoren abhängt. Dennoch stehen einer geringfügigen Steigerung der Grundmiete deutliche Einsparungen bei Heiz- und Nebenkosten gegenüber. Hendriks erklärt: „ecoworks hat für die Häuser in Rüdesheim einen Kostenneutralitätsnachweis geführt. Demnach werden die Mieter durch die Modernisierung nicht übermäßig belastet.“ Wenn alles reibungslos vonstatten geht, erbringt das Pilotprojekt den Beweis, dass mithilfe vorgefertigter Elemente ein klimafreundliches Gebäude kostengünstig und schnell realisierbar ist. Die seriellen Modernisierungsmaßnahmen sind über unterschiedliche KfW-Programme förderfähig.
Die Zusammenarbeit mit ecoworks nahm ihren Anfang beim letztjährigen Contest des NHW-eigenen Start-up Accelerators hubitation, bei dem die Berliner ins Finale einzogen. Die junge Gesellschaft versteht sich als Bauunternehmer und Energieversorger zugleich. Sie ist bundesweit Pionier für Net-Zero-Modernisierungen in Mehrfamilienhäusern mit bis zu vier Stockwerken und setzt dabei auf industrielle Vorfertigung, modulare Bauweise und hocheffiziente Energiesysteme. „Unser Ziel ist es, den Gebäudebestand nachhaltig zu gestalten, die Energiewende in Deutschland endlich in den Gebäudesektor zu bringen und Häuser zu Kraftwerken umzubauen“, postuliert Heisenberg.
Auch wenn der Baubeginn erst für Sommer 2020 geplant ist, profitieren schon jetzt beide Projektpartner von der Zusammenarbeit. „Durch die Unterschiede in der Struktur und im Alter beider Unternehmen fällt es ecoworks leichter, bekannte Denkmuster zu verlassen. Dadurch können Vorschläge und Lösungen erarbeitet werden, die keinen Konventionen oder Erwartungen gerecht werden müssen“, bringt es Hendriks auf den Punkt. Heisenberg ergänzt: „Für unsere Unternehmensentwicklung kommt dem gemeinsamen Pilotprojekt eine besondere Bedeutung zu, da wir von der Größe und der Erfahrung der NHW profitieren.“
Robert Schmauß


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