Die erste Disruption sieht Autarkie-Experte Timo Leukefeld als erfolgreich vollzogen an. Mit dem Betrieb von Sonnenhäusern sei es möglich, Wohnungen mit langfristig fixierten Pauschalmieten zu vergeben, die neben der Nettomiete auch die Kosten für Wärme, Strom und Elektromobilität enthalten. Sicher kalkulieren lasse sich das, weil die Sonnenhäuser mindestens 60 Prozent der notwendigen Elektro- und Wärmeenergie autark selbst produzieren und überschüssige Wärme über Monate speichern. Damit entfalle für Wohnungsunternehmen die Betriebskostenabrechnung. Das bisherige Baukonzept von Prof. Leukefeld sieht Sonnenhäuser vor, die mit wasserbasierten solarthermischen Anlagen beheizt werden. die Spar und Bau eG Wilhelmshaven und die eG Wohnen 1902 in Cottbus haben Mehrparteienhäuser nach diesem Autarkieprinzip errichtet. In Wilhelmshaven werden die sechs Wohnungen zu einer Pauschalmiete von 10,50 Euro pro Quadratmeter vermietet. Der Vorstand der Wilhelmshavener Genossenschaft bestätigt, dass dieser Mietpreis, der auch die Kosten für Strom, Raumwärme und Warmwasser umfasst, „auskömmlich“ sei. Im Gespräch mit der IVV sagt Prof. Leukefeld: „Wir haben jetzt Referenzobjekte und die Wohnungswirtschaft ist begeistert.“ Mitte September seien 300 weitere Wohneinheiten in Planung gewesen, wobei die Wohnungsunternehmen Sonnenhäuser mit acht bis 12 Wohnungen errichteten.
Aber das Autarkie-Team um Prof. Leukefeld vollzieht inzwischen die zweite Disruption und hat dabei die Unnaer Kreis-Bau- und Siedlungsgesellschaft (UKBS) sowie die Lübbener Wohnungsgesellschaft (LWG) an seiner Seite. Beide Unternehmen werden Geschossgebäude mit einer minimalistischen regenerativen Heizungstechnik errichten. Statt Heizkessel, Wärmepumpe, Fußbodenheizung, Heizkörper, Lüftungsanlagen, Warmwasserboiler und Zirkulationsleitungen – lediglich Photovoltaik-Module und Infrarotstrahlungselemente an den Zimmerdecken. Die Gebäude benötigen also lediglich Stromleitungen, die gesamte Heiz- und Warmwassertechnik sei nahezu reparatur- und wartungsfrei.
Die UKBS wird fünf energieautarke Häuser mit insgesamt 35 Wohnungen errichten. In Phasen ohne Sonnenstrahlung werden die Gebäude Ökostrom aus dem Netz beziehen, damit sind die Gebäude in ihrem Betrieb nahezu C02-frei. Dem Prinzip der radikalen Vereinfachung der Haustechnik folgt die LWG in Lübbenau mit dem Bau von zwei Gebäuden mit jeweils sieben Mietwohnungen. Die baugleichen Häuser werden jeweils mit Photovoltaik-Anlagen mit 37,7 kW Leistung und Speicherakkus ausgestattet. (Red)
Das disruptive Konzept von Prof. Leukefeld
Timo Leukefeld lehrt als Honorar-Professor an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg und an der Berufsakademie Sachsen, Staatliche Studienakademie Glauchau das Thema vernetzte energieautarke Gebäude. Die IVV-Redaktion hat Prof. Leukefeld gebeten, sein Konzept einer minimalistischen solaren Haustechnik vorzustellen:
Trotz Bauboom herrscht in der Immobilienwirtschaft Stagnation. Zu geringe Renditen wegen zu hoher Baukosten. Die Lösung kommt mit der Sonne: Energieautarke Häuser nutzen diese krisensichere Energiequelle konsequent. Ein neuer „Low-Tech“-Ansatz senkt die Baukosten. So sichern diese Gebäude Investoren und Vermietern eine zwei bis drei Euro höhere Kaltmiete und ihren Bewohnern Unabhängigkeit in Bezug auf Strom, Wärme und E-Mobilität. Sie schaffen „leistbaren“ Wohnraum, ihr CO2-freier Betrieb macht sie ökologisch einzigartig.
High „Low-Tech“ – die wirklich intelligente Technologie
Mit ihren enttechnisierten, energieautarken Gebäuden entwickelte das Autarkieteam um Prof. Timo Leukefeld eine Antwort auf die Störungen im Immobilienmarkt. Ihr neuer „Low-Tech“-Ansatz senkt die Bau- und Betriebskosten. Beim Neubau ist neben Baugrund die Kostengruppe 400 (Gebäudetechnik) einer der hauptsächlichen Kostentreiber. Zur Kaltmiete (1. Miete), gesellen sich stetig steigende Betriebskosten als „2. Miete“. Um diese zu senken, schreiben Gesetze und Richtlinien umfassende energiesparende Technik vor. Jedoch ist viel Technik nicht per se schlau: In Form von steigenden Kosten für Wartung und Reparatur öffnet sie vielmehr einer „3. Miete“ Tür und Tor. Sollbruchstellen sorgen darüber hinaus für kürzere Lebensdauern und stetige Neuanschaffungen. Aufgrund des Fachkräftemangels ist fraglich, ob in Zukunft jemand die anfallenden Reparatur- und Wartungsarbeiten umsetzt.
Bei Neubauten übersteigen schon heute die Kosten für Wartung und Reparatur dieser Technologie diejenigen der dadurch eingesparten Energie bei Weitem. Aufgrund des Klimawandels und der Verbesserung von Gebäudehüllen verliert Heizen zudem stetig an Bedeutung. Die Vorschriften im Zusammenhang mit der energieeinsparenden Technik führen lediglich zu höheren Investitionskosten, die in keinem Verhältnis zu den jährlichen Heizkosten stehen.
Die neue Generation enttechnisierter, energieautarker Mehrfamilienhäuser bezieht mit ihrem „Low-Tech“-Ansatz die dynamische Entwicklung von Klima und Wetter mit ein. Statt der üblichen Heiztechnologie, wie Heizkessel, Wärmepumpen, Fußbodenheizungen, Heizkörper, zentrale Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung, zentrale Warmwasserboiler, -leitungen und -zirkulation oder BUS Systeme – nichts!
Lediglich eine moderne Strahlungsheizung auf Infrarotbasis sorgt in diesen Gebäuden für wohlige Wärme. Auch das Warmwasser wird dezentral, elektrisch bereitet. Als „Technik-Minimalist“ benötigt das gesamte Gebäude lediglich Strom- und Kaltwasserleitungen. Seit Jahrhunderten bewährt, solide und langlebig machen sie die gesamte Heiz- und Warmwassertechnik annähernd wartungsfrei.
Eine effiziente Gebäudehülle sorgt mit entsprechender Speichermasse für geringsten Heizwärmebedarf. Die Kostenersparnis im Zusammenhang mit der – nicht vorhandenen – Heiztechnologie liegt bei einem Einfamilienhaus im Durchschnitt bei 26.000 bis 29.000 Euro. Werden ein Teil dieser Einsparungen in Photovoltaik und Akkus investiert, können diese Gebäude einen Autarkiegrad von mehr als 60 Prozent erreichen. Die restliche Energie bezieht das Gebäude von Ökostromanbietern. CO2 freies Wohnen wird von einer Zukunftsvision zur Realität.
Hohe Renditen durch hohe Autarkie und „nahe Null Grenzkosten“
Ihre radikale Enttechnisierung reduziert die Bau- und Betriebskosten. Gleichzeitig erhöhen die energieautarken Mehrfamilienhäuser die Einnahmen auf Vermieterseite. Wesentliche Voraussetzung dafür ist eine hohe Autarkierate. Technologische Umwälzungen reduzieren die Grenzkosten vieler Produktionsprozesse auf nahezu Null und begründen einen epochalen Wandel unseres Wirtschaftssystems: Eine Ökonomie des Überflusses löst die auf Knappheit gegründete ab. Strom aus erneuerbaren Energien wird in absehbarer Zeit nur noch etwa 1 – 3 Cent pro Kilowattstunde kosten.
Indem sich die energieautarken Gebäude dank Solarenergie – dezentral – weitestgehend selbst mit Strom und Wärme versorgen und darüber hinaus eine hauseigene Tankstelle für Elektroautos speisen, eröffnen sie dieser sogenannten „Nahe-Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ den Immobilienmarkt. Und Vermietern, Wohnungswirtschaft, Energieversorgungsunternehmen (EVU) und Banken lukrative Ertragsquellen durch ein neuartiges Vermietungsmodell in Form von „Pauschalmieten mit Energieflatrate“. Dazu werden die zukünftigen Betriebskosten in die Investitionskosten einbezogen. So können langfristig feste Mieten für die Dauer von beispielsweise bis zu 10 Jahren kalkuliert werden, die neben dem Entgelt für Wohnen die Kosten für Wärme, Strom und E-Mobilität enthalten.
Vermietern gibt dieses Modell eine größere Flexibilität bei der Kalkulation des Mietpreises. Mit zwei bis drei Euro höheren Mieteinnahmen pro Quadratmeter liegt die Rendite deutlich über der ortsüblichen Kaltmiete eines Mehrfamilien-Neubaus. Längere Verweildauern in den Wohnungen ersparen stete Mieterwechsel und den damit verbundenen Verwaltungsaufwand und eventuelle Rechtsstreitigkeiten.
Für Mieter entfallen die permanenten Vergleiche der komplizierten Kostengefüge von Stromanbietern ebenso wie der stete Blick auf die Tankuhr.
Autarkie schafft Spielräume für höhere Mieten
Mit Energieautarkie und Low-Tech sind diese Mehrfamilienhäuser sozial, ökologisch, nachhaltig und lukrativ. Jenseits staatlicher Subventionen und Förderung ermöglichen Investitionen in diese Gebäude, sich aktiv in die allgemeine Versorgungslage einzubringen. Sie reduzieren schon heute die Kosten für den zukünftigen Energiebezug und sichern den Wohnkomfort für morgen. In ihrem Betrieb CO2-frei bleiben sie von der zum 1. Januar 2021 verhängten CO2-Abgabe unberührt. Erst ab 2050 möchte die Bundesregierung diese Gebäude zum Baustandard machen. Die enttechnisierten, energieautarken Gebäuden sind ihrer Zeit also weit voraus. Mit ihnen hat die Zukunft des Wohnens bereits begonnen.
www.timo-leukefeld.de / www.autarkie.team
weiterlesen:
Energetische Autarkie im Geschossbau ist realistisch
Fachartikel aus der IVV: Von der Sonne verwöhnt
Mehrere Wohnungsunternehmen bauen und betreiben Gebäude nach dem Sonnenhaus-Konzept von Prof. Timo Leukefeld. Sein Versprechen: weitgehende Energieautarkie ermöglicht klimaschonendes Wohnen, günstige Pauschalmieten und den Wegfall von Betriebskosten-abrechnungen. Das Sonnenhaus in Wilhelmshaven hat den Realitätstest bestanden.
Redaktion (allg.)

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