ESG: „Wir müssen abwarten, was der Markt aus der Sache macht“
ESG-Regeln in der Wohnungswirtschaft bieten große Chancen und bergen zugleich Risiken. Der Gebäudesektor zählt zu den größten CO2-Emittenten. Im Schnitt verursachen Immobilien etwa 60 Prozent der klimaschädlichen CO2-Emissionen in Städten auf der ganzen Welt. In den größten Wirtschaftszentren sind es sogar noch mehr. Aktuell setzen sich Stadtverwaltungen ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele, die oft weit über den nationalen Zielwerten liegen. München beispielsweise will ab 2025 nur noch erneuerbare Energien nutzen. Zudem will die bayerische Landeshauptstadt genauso wie Düsseldorf und Frankfurt bis 2035 ihr CO2-Netto-Null-Ziel erreichen. Hamburg will spätestens 2040 so weit sein, Berlin im Jahr 2045.
In unseren Städten sind rund 80 Prozent des Gebäudebestands, der im Jahr 2050 existieren wird, bereits vorhanden. Um die für 2050 gesteckten Ziele zu erreichen, müssten die Sanierungsraten nach Angaben des international tätigen Immobiliendienstleisters JLL drei Prozent pro Jahr übersteigen. Derzeit liege dieser Wert nur bei ein bis zwei Prozent. Auch Vermieter müssen sich ab 2023 am CO2-Preis auf fossile Brennstoffe beteiligen (aktuell können Sie die Zusatzkosten für den CO2-Preis noch komplett an die Mieter weitergeben), und zwar je nach Energiebilanz des Gebäudes in unterschiedlicher Höhe. Das soll die Motivation der Vermieter in energetische Sanierungen steigern.
Ob die ehrgeizigen Klimaziele sinnvoll sind, und wer sprichwörtlich am Ende „die Miete zahlt“, wird sich zeigen. Sicher ist, dass Klimaschutz nur gemeinsam funktioniert: Stadt, Entwickler, Vermieter und Nutzer sind hier von größter Bedeutung, da sie die wesentlichen Stakeholder im Immobilienzyklus sind.
Interview mit Professor *Marco Wölfle, Center für Real Estate Studies, Steinbeis-Hochschule in Freiburg
Die ESG-Richtlinie zur Kapitalmarktregulierung führt dazu, dass Finanzentscheidungen in Zukunft von ESG-Kriterien bestimmt werden. Was bedeutet das konkret?
Wenn ich den Grundgedanken der Richtlinie nicht missdeute, geht es darum Eindeutigkeit zu schaffen. An jeder Ecke wird heutzutage mit dem Stichwort ‚Nachhaltigkeit‘ oder vergleichbaren Werbebotschaften Aufmerksamkeit erzeugt.
Als Kunde wünscht man sich aber, dass auch wirklich drin ist, was draufsteht. Die Regulierung zielt darauf ab, für verschiedene Branchen und somit auch für die Finanzanlage in Immobilien festzulegen, was unter dem Begriff zu verstehen ist. Für Automobilbauer bedeutet dies zum Beispiel die Obergrenze von CO2-Emissionen, während es bei Gebäuden den Verbrauch von Primärenergie je Quadratmeter und Jahr anspricht.
Können die neuen ESG-Regeln auch in der Wohnungswirtschaft mit ihren „nicht gehandelten“ Beständen zum Problem werden?
Auch wenn die Idee der Transparenz wirklich zu begrüßen ist und wohl kaum Fans von „Greenwashing“ zu finden sind, muss vielleicht noch ein wenig abgewartet werden, was der Markt aus der Sache macht. Sicher ist, je mehr CO2 im Betrieb emittiert wird, je mehr Wasser verbraucht und je mehr Abfall erzeugt wird, desto schlechter wird das Gebäude bewertet. Die ESG-Regelungen für den Wohnungsmarkt sehen vor, dass Anlageprodukte neben ihren wirtschaftlichen Eigenschaften auch auf ökologische (E) und soziale Verantwortung (S) sowie Aspekte der Unternehmensführung (G) überprüft werden.
Es geht um mehr als Umweltschutz?
Natürlich. Während die ökologische Verantwortung schnell erklärt ist, werden bei Bauprojekten in der Zukunft auch Eigenschaften messbarer und überprüfbarer gemacht werden, die im sozialen Bereich die Frage beantworten, wo die Kinder von Mitarbeitern eines Büroarbeitsplatzes zur Schule oder in den Kindergarten gehen. Dies schließt neben der schieren Möglichkeit auch Zeiten und Laufwege mit ein. Im S-Bereich sind Ladestationen und Parkkonzepte nur ein erster Schritt. Die Kriterien sollen das gesamte Zusammenleben als wirtschaftliche und soziale Gemeinschaft feststellbar machen. Diese Feststellung führt den Gesetzgeber folgerichtig zur Überprüfung von Transparenz über unternehmerisches Handeln und dessen Ergebnisse im G-Bereich.
Sind „schmutzige Immobilien“ privater und öffentlicher Eigentümer unter Druck?
Ich würde zunächst die größte Aufgabe in der Informationssammlung und Überprüfung sehen. Zertifizierungslabels gibt es schon längere Zeit. Ich nehme an, dass deren Signalwirkung für den Markt größer wird, Anpassungen teilweise noch zu erfolgen haben und nun ein großer Nachfragedruck bei deren Anbietern entsteht. Sie sprechen die richtige Sorge an, denn Bestandseigentümer hinterfragen jetzt. Ich würde nicht übertrieben schnell handeln, aber mir intern belastbare Informationen zur Qualität meines Bestandes einholen, um dann strategische Optionen zu überlegen. Ob nun nur noch bestzertifizierte Objekte einen Käufer finden, wage ich nach den Zinsanstiegen aber zu bezweifeln, wenn man auf die große Nachfrage in Großstädten und deren Faktoren in den vergangenen Jahren blickt.
Wie verhalten sich die Kreditinstitute bei der Finanzierung?
Ich glaube, dass es außer Vorsicht hier noch nicht viel wissenschaftliche Erkenntnis gibt und vor allem, dass jetzt eher die Herausforderungen mit den Zentralbankzinsen und Marktübertreibungen im Vordergrund stehen, wenn man die Bewegung der Finanzierungszinsen im letzten Quartal ansieht.
Muss der private Sektor stärker in Führung gehen beim Klimaschutz?
Wenn jemand Geld ausgibt, wird er sich immer fragen, ob sich das lohnt und was daraus wird. Der professionelle Investor vergleicht heutige Ausgaben zur Erfüllung der ESG-Kriterien mit künftig höheren Einnahmen durch Vermietung, geringerem Aufwand bei der Bewirtschaftung und dem potenziellen Preis des Verkaufs. Wenn diese Rechnung nicht aufgeht und keine Gesetze weitere Maßnahmen zwingend fordern, wird wenig passieren. Es hängt also davon ab, ob der Markt seine Vorliebe für ESG entdeckt und welcher Zwang aus der Politik in diese Richtung noch kommt.
Brauchen wir nicht internationale Konsistenz und Standards?
Ein deutliches Nein. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass in der Folgezeit viele Regulierungen angestoßen wurden, die für den amerikanischen Bankenmarkt sehr sinnvoll waren, aber in Europa aufgrund der anderen Rahmenbedingungen nicht nötig waren und außer weiteren Bürokratiekosten keine positiven Wirkungen hatten. Wenn Immobilienmärkte doch heterogen und unterschiedlich sind, dann ist ein enger gemeinsamer Rahmen das Gegenteil von sinnvoll. Es sollte ein weiter, aber wirkungsvoller Rahmen gesteckt werden.
ESG ohne Digitalisierung? Digitalisierung ohne Daten? Nicht realisierbar?
Da ist was dran. Aber bitte nicht vergessen: Nicht alle Daten sind wichtig. Die Kunst besteht darin, die richtigen auszuwählen und zu nutzen. Ob das nicht der Markt erarbeiten sollte, statt sich von außen vorgeben zu lassen? Gute Unternehmer wissen in der Regel selbst, welche Informationen sie benötigen.
TIPP: Die IVV veranstaltet einen Expertentalk zum Thema
"Mit ESG-Bilanzen zum klimafreundlichen Gebäude", am 28. September 2022.
Hans-Jörg Werth
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