Besser Holz statt Beton? Auf dem ehemaligen Flughafengelände in Berlin-Tegel probiert man aus, wie dieser Paradigmenwechsel großflächig funktionieren kann. Dort entstehen derzeit mehr als 5.000 Wohnungen, die meisten davon sollen in Holz errichtet werden. „Das Schumacher Quartier wird das größte urbane Holzbauquartier weltweit und ein nachhaltiger und sozialer Stadtteil für mehr als 10.000 Menschen“, berichtet Gudrun Sack, Architektin und Geschäftsführerin der Tegel Projekt GmbH. Das Viertel will aber noch mehr: Es soll zum Zukunftslabor für den Holzbau werden. Dafür arbeiten Wissenschaftler und Ingenieure gleich nebenan im Forschungs- und Industriepark „Urban Tech Republic“ an visionären Ideen. „Wir wollen zeigen, was bereits alles machbar ist und neue Wege gehen“, so Sack.
Holz als Baumaterial erlebt derzeit einen Boom. In den vergangenen Jahren hat das Interesse stetig zugenommen, an vielen Orten entstanden strahlende Leuchtturmprojekte. Im mehrgeschossigen Bauen trumpfen die Metropolen rund um den Globus längst mit spektakulären Holzgiganten auf und auch in Deutschland löst ein Rekord den nächsten ab. Auf das Holzhochhaus Skaio in Heilbronn mit einer Höhe von 34 Metern, folgen derzeit das Roots in Hamburg mit 65 Metern und das WoHo in Berlin mit 98 Metern.
Inzwischen will man aber nicht nur hoch hinaus mit Holz, sondern auch breit in die Fläche wachsen. Das imposante Reallabor in Berlin Tegel ist ein weiterer großer Schritt in diese Richtung.
In München steht die größte Holzbausiedlung Deutschlands
Mit dem Prinz-Eugen-Park in München loteten Planer und Architekten bereits zuvor ausgiebig die Möglichkeiten aus. Auf dem 30 Hektar großen Gelände einer ehemaligen Kaserne entstand ein neues Viertel mit 1.800 Wohnungen, ein Drittel davon musste nach Vorgaben der Stadt München als ökologische Mustersiedlung in Holzbauweise umgesetzt werden. Dafür entwickelte die Stadt eigens ein Förderprogramm, das einen Mindestanteil von Holz auswies. Das Vorzeigeprojekt ist heute mit 566 Wohnungen die größte zusammenhängende Holzbausiedlung Deutschlands, seit Anfang 2020 sind die Arbeiten abgeschlossen.
Ziel dabei war es auch hier, die Verwendung und Weiterentwicklung des ressourcenschonenden Baustoffs zu unterstützen. „Vor zehn Jahren meinten noch viele, dass Holz sich nur für rustikale Chalets eignet, aber die Haltung hat sich komplett gedreht“, sagt Tom Kaden, der als Architekt an dem Projekt beteiligt war und als Professor für Holzbau am Institut für Architekturtechnologie der Technischen Universität Graz lehrt. Zudem stärkt inzwischen ein angepasstes Baurecht vielerorts das Bauen mit Holz – ob in Bayern, Hamburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg. „In den vergangenen Jahren hat die Klimasensibilität enorm zugenommen und eine neue Generation von Planern und Architekten verhelfen dem ökologischen Baustoff zu einem regelrechten Höhenflug“, beobachtet Kaden. Die neuen Großprojekte im Wohnungsbau machen den Anfang, mit diesem Schub werde Holz in der Breite ankommen, ist er überzeugt.
Für das Schumacher Quartier in Berlin sind die Bebauungspläne für den ersten Abschnitt im Verfahren, bald beginnt der Vergabeprozess. Dabei denken die Planer ganz neue Dimensionen mit. Der 3D-Druck für den Holzbau oder die serielle Fertigung im Forschungs- und Industriepark gleich nebenan, der die Kiefer aus dem Brandenburger Forst verarbeitet: „Wir möchten Innovationen voranbringen und eine regionale Wertschöpfungskette der kurzen Wege aufbauen, um den Holzbau kostengünstig abzubilden“, erklärt Sack. Das Material für das neue Quartier soll nicht per Tieflader quer durch die Republik reisen, sondern möglichst aus der Umgebung kommen. Damit dies dauerhaft möglich bleibt, werden die umliegenden Wälder mit Laubbäumen aufgeforstet, um sie widerstandsfähiger gegen längere Trockenperioden zu machen.
Nachwachsend, schadstofffrei in der Herstellung und obendrein recyclebar – zur Entstehung braucht Holz nur Licht, Luft, Erde und Wasser, wobei es dann noch Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff umwandelt. Ein Kubikmeter Holz bindet etwa eine Tonne CO2. „Das Bauen mit Holz ist ja längst pure Notwendigkeit, um in Zeiten des Klimawandels umweltschonend zu agieren“, meint Architekt Ulf Rössler vom Münchner Büro Dressler Mayerhofer Rössler, der eines der Häuser für eine Baugemeinschaft entworfen hat. „Ohne den verstärkten Einsatz des nachhaltigen Baustoffs sind die CO2-Ziele für den Gebäudesektor gar nicht erreichbar.“ Allein die acht Projekte im Prinz-Eugen-Park speichern insgesamt 13.000 Tonnen CO2.
„Holz ist für uns ein wichtiges Element, um ökologisch und klimaneutral zu bauen“, unterstreicht Gerda Peter, Geschäftsführerin der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWG München, die 57 Mietwohnungen und eine Kindertagesstätte im Prinz-Eugen-Park errichtet hat. Über dem Sockel aus Stahlbeton erheben sich vier Baukörper mit bis zu sechs Geschossen, die großteils aus Holz konzipiert sind. „In den vergangenen Jahren hat sich der mehrgeschossige Holzbau rasant entwickelt und bietet inzwischen unglaublich viele Optionen“, so Peter. Ob Aufstockung, Reihenhäuser oder Geschosswohnungsbau – inzwischen habe das Wohnungsunternehmen alle Typologien in Holz durchgespielt. „Auch das Bauen in Serie würden wir gerne umsetzen, dafür fehlten uns bisher nur die Grundstücke mit den passenden Bebauungsplänen“, berichtet Peter.
Die pflegefreie Holzfassade überdauert 30 Jahre
Die vielfältigen Holzbau- und Hybridlösungen auf den acht Baufeldern des Prinz-Eugen-Parks decken die Spannweite vom Reihenhaus bis zum 7-Geschosser ab. Dabei demonstrieren die unterschiedlichen Ansätze das Potenzial des nachhaltigen Baustoffs in all seinen Facetten. Architekt Rössler etwa hat für eine Baugemeinschaft im Norden der Siedlung 39 Wohnungen verteilt auf 24 Atriumhäuser und zwei viergeschossige Punkthäuser entworfen. Die Fassaden aus Fichte und die Gründächer verbinden sich mit dem naturnahen Charakter der umgebenden Parkanlage. „Eine besondere Pflege benötigt die Holzfassade nicht“, betont Rössler. Mit der Zeit entwickele sich eine schöne Patina, zwischendurch müsste eventuell mal ein Brett ausgetauscht werden. 30 Jahre überstehe die Konstruktion problemlos ohne größere Sanierungen. „Die Herausforderung im Prinz-Eugen-Park lag in unserem Fall vor allem darin, die Grundrisse möglichst flexibel zu halten und gleichzeitig die Detailierung der Bauteile maximal zu vereinheitlichen“, erzählt Rössler. Die Atriumhäuser wurden bis auf die Untergeschosse vorrangig in Holzbauweise errichtet. Bei den Punkthäusern schließen die Holzrahmenfassade und die Geschossdecken aus Brettsperrholz an einen Stahlbetonkern an.
Baukosten pro Quadratmeter durchaus günstig
Weiß verputzt leuchten die drei kompakten Baukörper mit drei, fünf und sieben Geschossen des Berliner Architektenbüros Kaden + Lager. Die beiden niedrigeren Gebäude wurden mit Massivholz in Schottenbauweise konstruiert. Für den siebengeschossigen Baukörper tragen die schachbrettartig angelegten Brettsperrholzwände und -decken die Lasten ab. „Wir haben für eine Genossenschaft gearbeitet, dabei stand die Frage der Kosten weit vorn“, erklärt Kaden. Holz ermögliche durchaus günstiges Bauen – auch weil es immer mehr Firmen gäbe, die sich das Know-how dafür angeeignet haben. Die reinen Kosten für die acht Projekte im Prinz-Eugen-Park lagen je nach Grad der Nachhaltigkeit etwa zwischen 2.500 und 3.000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche.
Die GWG München beauftragte für ihre Häuser eine vergleichende Untersuchung, die im Jahr 2020 im Schnitt auf Mehrkosten von 20 Prozent gegenüber dem Massivbau kam. „Die Rechnung betrachtet allerdings nur die reinen Herstellungskosten, die kürzere Bauzeit beim Holzbau in Vorfertigung und die damit verbundene geringere Beeinträchtigung der Nachbarn sind nicht berücksichtigt“, so Peter. „Und es handelt es sich um eine Durchschnittszahl, insbesondere Hybridbauten lassen sich auch günstiger abbilden.“ Dass sich zudem immer mehr Betriebe auf den Holzbau spezialisieren, könnte künftig weiter auf die Kosten durchschlagen. Ein intensiverer Wettbewerb drückt schließlich in der Regel die Preise.
In Berlin denkt man ohnehin in neuen Maßstäben – auch um den Aufwand zu senken: „Wir möchten die Prozesse anders aufsetzen, Wege sparen und zukunftsgerichtete Technologien einbinden“, umreißt Architektin Gudrun Sack die Leitlinie. All das soll auch dazu führen, am Ende günstiger als der Massivbau zu werden. Ein Beispiel: „Bei der Produktion per 3D-Druck etwa müssen die Handwerker die Fenster nicht mehr in die Fassade einbauen“, so Sack. Rahmen, Dichtungen und Metallelemente ließen sich gleich mitdrucken, nur das Glas müsse dann noch eingesetzt werden. Auch wenn diese Art der Fertigung noch in der Entwicklung stecke, sei sie grundsätzlich schon nutzbar und werde bestimmt im Berliner Schumacher Quartier angewandt. „An der einen oder anderen Stelle werden wir das Bauen sicherlich revolutionieren“, meint Gudrun Sack.
Ein Vorfertigungsgrad von 90 Prozent
Schon heute ist die Bauphase von Holzgebäuden kurz. Sie werden mit einem Vorfertigungsgrad von bis zu 90 Prozent geplant. Die in der Halle produzierten teils bis 25 Meter langen Wände und die Decken müssen die Handwerker dann nur noch auf der Baustelle montieren. Das geht schnell, denn die Platten sind bis auf den Millimeter genau zugeschnitten. So kommt es weit seltener zu Fehlern, Anpassungen auf der Baustelle sind kaum noch nötig. „Für einen Drei- oder Vier-Geschosser aus Holz in Vorfertigung brauchen wir nur noch acht bis neun Monate, die Bauzeit verkürzt sich damit um gut ein Jahr, die Projektlaufzeit insgesamt sogar um zwei Jahre“, berichtet GWG-Geschäftsführerin Peter. Zeit ist bekanntlich Geld – in diesem Fall fließen die Mieteinnahmen entsprechend früher. „Bei unseren Mieten von durchschnittlich sieben Euro pro Quadratmeter fällt das weniger stark ins Gewicht als für einen gewinnorientierten Investor, der in München vielleicht 15 bis 20 Euro Miete pro Quadratmeter aufruft“, so Peter. Ein weiteres Plus: „Die Fassade ist bei gleicher Dämmleistung dünner als im Massivbau, dadurch lässt sich zusätzliche Wohnfläche gewinnen“, erläutert Architekt Ulf Rössler. Je nach Höhe des Gebäudes bringt das zwei bis fünf Prozent mehr Raum. Und dank der exzellenten Dämmeigenschaften des Materials ließen sich die Vorgaben der KfW-Standards mit nur geringfügig stärkeren Außenwänden erreichen. „Wenige Zentimeter mehr Dämmstärke an der Fassade schaffen eine Verbesserung vom KfW55- zum KfW40-Standard“, so Rössler.
Nach Preisexplosion entspannt sich Holzmarkt wieder
Die intensive Nachfrage aus den USA und Asien, globale Lieferprobleme und der Borkenkäfer in heimischen Wäldern – all das sorgte ab 2020 für eine große Angebotslücke und eine Preisexplosion von Holz. „Schuld daran trägt auch die Sägeindustrie, in der wenige Schwergewichte die Preise lenken“, berichtet Tom Kaden. Der Markt habe sich inzwischen aber, wenn auch auf höherem Niveau, wieder eingepegelt.
„Während sich die Preise für Holz langsam entspannen, erleben wir seit 2021 eine Verteuerung von Beton und Stahl“, sagt Architekt Rössler. Auslöser seien die Verknappung auf den internationalen Märkten und die steigenden Energiepreise. Tendenziell schließe sich somit die Schere. Rössler prognostiziert, dass sich die anziehenden Energiepreise auch in Zukunft auf die Baubranche auswirken: „Diese Entwicklung wird sich fortsetzen und energieintensive Baustoffe wie Stahl, Zement und einige Dämmstoffe extrem treffen.“ Das könnte dann dem Holzbau einen weiteren Schub verleihen.
Geschäftsführerin Gerda Peter setzt mit der GWG München ohnehin in Zukunft verstärkt auf Holz. Allein in diesem Jahr errichtet die Baugesellschaft Holzgebäude mit rund 250 Wohnungen: „Diesen Kurs wollen wir in den kommenden Jahren fortführen“, so Peter. Schließlich werde der nachhaltige Umgang mit ressourcenschonenden Baustoffen immer wichtiger, schon das mache Holz einfach zum Baustoff der Stunde.
Die kommunalen Behörden haben die Verantwortung für die Stadtplanung und können in dieser Rolle wichtige Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen, insbesondere wenn sie Eigentümer der Baugrundstücke sind. Ein gutes Beispiel dafür ist das Quartier Prinz-Eugen-Park in München. Die Stadt hat dort die Vergabe einer ökologischen Mustersiedlung an bestimmte Kriterien geknüpft, darunter auch eine hohe Kohlenstoffspeicherung, wie sie vor allem mit Holz als Baustoff erreicht werden kann.
Die Grundlage des Projekts Holzbau-KIS bildet das bereits entwickelte Fachinformationssystem Holzbau-GIS aus dem Vorläuferprojekt. >> weiterlesen beim Fachmagazin Build-Ing
Bettina Brüdgam
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