Digitale Plattform

Mehr Schwung im Handel mit Recyclingmaterialien

Bisher ist die Beschaffung von Baumaterialien aus zweiter Hand ein aufwendiges Unterfangen. Da es keine zentralisierten Informationen gibt, wer was wo in welcher Menge und Qualität anbietet, gibt es auch keinen Markt. Vieles landet deshalb auf dem Müll, obwohl es sich wiederverwenden ließe. Diese Ressourcenverschwendung möchte das Start-up Concular ändern. 

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Auf der Plattform für gebrauchte, wieder verwertbare Baumaterialien lassen sich, ähnlich wie bei Ebay, zahllose Objekte finden. Zunächst müssen die aber fotografiert und dokumentiert werden. FOTO: Thomas Jones
Auf der Plattform für gebrauchte, wieder verwertbare Baumaterialien lassen sich, ähnlich wie bei Ebay, zahllose Objekte finden. Zunächst müssen die aber fotografiert und dokumentiert werden. FOTO: Thomas Jones

Momentan sind die Arbeitstage für Dominik Campanella, Co-Geschäftsführer des in Stuttgart und Berlin ansässigen Start-ups Concular, und sein 25-köpfiges Team deutlich länger als acht Stunden. Gemeinsam mit Siemens Real Estate organisieren sie den geordneten Rückbau des 50 Jahre alten Tagungszentrums des Konzerns am Starnberger See, das einem 13.000 Quadratmeter umfassenden Neubau weicht. Die Dienste des Jungunternehmens sind gefragt, weil es eine digitale Plattform für den Handel mit gebrauchten Baumaterialien entwickelt hat, die es Immobilieneigentümern möglich macht, nicht mehr benötigte Gebäudeelemente und Einrichtungsgegenstände unkompliziert einer neuen Nutzung zuzuführen.

Bestellen wie über Ebay

Die Prozedur funktioniert ähnlich wie der Produktkauf über Ebay: Von Aufzügen über Glastüren bis zur Holzwandvertäfelung reicht die Palette der ausrangierten Objekte, die auf der Online-Plattform mit Beschreibung und Fotos, angefertigt vom Concular-Team, zu finden sind. Haben sich Käufer und Verkäufer gefunden und sind handelseinig geworden, sorgt das Start-up auf Provisionsbasis dafür, dass die Materialien von der Rückbau- zur Neubaustelle kommen und misst dabei zudem das eingesparte CO2 und den vermiedenen Müll. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten - und für das Klima und die Umwelt. Denn der erneute Einsatz von Baumaterialien spart erstens Geld und zweitens Ressourcen und "graue Energie", die in den Materialien steckt, was der CO2-Bilanz eines neuen Gebäudes zugute kommt. "Bisher war die Wiederverwendung von Baustoffen nahezu nicht existent, da der Prozess nicht holistisch betrachtet wurde und nur Insellösungen existieren", sagt Campanella. Mit der Plattform-Lösung rückt die Etablierung zirkulärer Wertschöpfungsketten in der Bau- und Immobilienwirtschaft in greifbare Nähe.

Die Menge macht's

Die Referenzliste des erst 2020 gegründeten Unternehmens ist bereits lang. Neben der Dokumentation und Vermittlung wiederverwendbarer Materialien, die beim Umbau des 40.000 Quadratmeter umfassenden Karstadtgebäudes am Berliner Hermannplatz anfielen, gehören unter anderem die Begleitung des Umbaus der Mercedes-Benz Arena in Stuttgart und die der ehemaligen Zentrale der HSBC-Bank in Düsseldorf zu den umgesetzten Projekten. Die beträchtlichen Größen erklärten sich dadurch, dass sich der Aufwand für das Sichten, Katalogisieren und Eintragen in die Datenbank derzeit erst ab einer Bruttogeschossfläche von 5.000 Quadratmetern lohne.

Politik in der Pflicht

Damit möglichst viele oder besser alle anfallenden recyclingfähigen Abbruchmaterialien einer neuen Nutzung zugeführt werden, sieht Campanella die Politik in der Pflicht: "Es braucht staatliche Unterstützung, um wirkliche Mengen zu erreichen." Abgerissen werde schließlich ohne Ende. Was nötig wäre, damit der Handel mit Second-Hand-Baumaterialien in Schwung käme, seien verbindliche Recyclingquoten und die Maßgabe, dass zum Abriss vorgesehene Gebäude prinzipiell auf Wiederverwendbarkeit geprüft würden, wie etwa in Frankreich. Dort bedarf der Rückbau einer behördlichen Genehmigung[1] und nicht wie in Deutschland nur einer Abrissanzeige.     

Vorstufe zur DIN-Norm  

Aktuell erarbeitet Concular mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN) und weiteren Partnern, darunter die Senatsverwaltung Hamburg, der Abbruchverband Nord sowie die RWTH Aachen und die Hochschule Trier, eine DIN SPEC (eine Art Vorstufe zur DIN-Norm) für Pre-Demolition Audits, mit dem Ziel, ein einheitliches Verfahren zur Aufnahme von Materialien in Gebäuden zu schaffen, damit diese beim Rückbau nicht wie derzeit auf der Deponie landen, sondern hochwertig wieder genutzt werden können. "Mit dem entwickelten Standard können wir die Politik motivieren, diesen zu übernehmen", hofft Campanella.

 Kommunen treiben Ressourcenwende voran     

Auf lokaler Ebene sind Gesetze, die die Wiederverwendung und das Recycling von Baustoffen beim Rückbau öffentlicher Gebäude vorschreiben, mancherorts bereits umgesetzt. Vorreiter ist das Land Berlin mit der im Dezember 2021 in Kraft getretenen Verwaltungsvorschrift für Beschaffung und Umwelt (VwVBU), derzufolge ein qualifiziertes Rückbaukonzept für den Abriss erforderlich ist[2]. Der Kreis Viersen nutzt die Plattform Madaster für die Dokumentation von Neubauten und Bestandsgebäuden und wendet dazu BIM an, um den Bau kreislauffähiger Gebäude und die Wiederverwendung von Materialien zu fördern[3].

Es ist also keine Frage, ob der Handel mit recycelten Baumaterialien in großen Stil kommen wird, sondern wann die kritische Masse erreicht sein wird, damit er sich ökonomisch rechnet. Ökologisch ist er allemal geboten. https://concular.de

[1]    https://www.service-public.fr/particuliers/vosdroits/F17669?lang=en

[2]    https://www.berlin.de/nachhaltige-beschaffung/recht/ (Anhang 1, ab Seite 98)

[3]    https://www.nachhaltiger-kreis-viersen.de/kreis-viersen-nutzt-madaster-plattform-und-geht-naechsten-schritt-im-sinne-der-kreislaufwirtschaft/

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Dagmar Hotze

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