Interview zur Sanierungswelle

„Nicht erst last minute reagieren“

Das EU-Strategiepapier zur Sanierungswelle im Gebäudebestand hat im Herbst letzten Jahres hohe Wellen geschlagen. Jetzt hört man nichts mehr davon. Still ruht der See? Ganz im Gegenteil. Jetzt hat der politische Umsetzungsprozess begonnen. Dafür wird ein Gesetzespaket auf den Weg gebracht. Nunmehr gibt es einen Arbeitsplan. Es geht um die Überarbeitung der Energieeffizienzrichtlinie sowie der Gebäuderichtlinie. Dazu sollen Ende Juni bzw. im vierten Quartal 2021 Vorschläge vorliegen.

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Oliver Rapf, Geschäftsführer des Buildings PerformanceInstitute Europe (BPIE) mit Sitz in Brüssel und Berlin. Bild: BPIE
Oliver Rapf, Geschäftsführer des Buildings PerformanceInstitute Europe (BPIE) mit Sitz in Brüssel und Berlin. Bild: BPIE

Hierzu hat der Konsultationsprozess begonnen. Das schlägt aktuell vielleicht keine großen Medienwellen. Aber die EU ist exakt inihrem Zeitplan. Die Mühlen der EU mahlen bekanntlich langsam: Gesetzgebungsverfahren, Verabschiedung der Richtlinien und schließlich Umsetzung in nationales Recht.

Welche Herausforderungen kommen jetzt auf die Wohnungswirtschaft zu?

Interview mit Energieexperte Oliver Rapf

>> Haupttext: Sanierungsfahrplan für Gebäudesektor nimmt Gestalt an

Dass man als Wohnungsunternehmen da erst einmal abwarten will, was überhaupt kommt, für Sie nachvollziehbar?

Das wäre nicht klug. Denn es ist klar, dass massive gesetzliche Veränderungen kommen werden. Das Dokument zur Sanierungswelle sagt konkret: Es sollen zum Beispiel energetische Mindeststandards verpflichtend auch für die Sanierung eingeführt werden. Wohnungsunternehmen müssen in der Zukunft hier also stärker investieren, sich Gedanken machen: Wie gestalten wir eine unternehmenseigene Sanierungsstrategie aus? Und wie setzen wir das gemeinsam mit den Mietern um? Bauprojekte brauchen bekanntlich einen mehrjährigen Planungsvorlauf. Für Gebäude, die die energetischen Mindeststandards nicht einhalten, könnte künftig ein Vermietungsverbot drohen?

Das ist ziemlich rigoros – und vermutlich bisher einmalig in der EU?

Auf europäischer Ebene ist dies ein neuer Schritt, aber in einigen EU-Mitgliedsländern bereits Praxis. In England und Wales beispielsweise darf schon jetzt nicht mehr vermietet werden, wenn die Effizienzklasse schlechter als E ist. Frankreich, Großbritannien oder Flandern in Belgien machen heute schon Vorgaben für Gebäude in den unteren Effizienzklassen. Solche Energieschleudern müssen dann innerhalb eines bestimmten Zeitraums saniert werden. In Frankreich etwa ist der Energieverbrauch für Wohngebäude ab 2028 gedeckelt. Liegt er drüber, muss saniert werden. In den Niederlanden müssen Bürogebäude ab 2023 mindestens eine Energieeffizienzklasse von C aufweisen.

Das baut einen erheblichen Druck für die Unternehmen auf.

Ja, davon kann man ausgehen. Was man jedoch auch sehen muss: Man hat die Verpflichtung, aber auch die Unterstützung durch Finanzierungsmittel. Die EU nimmt jetzt für dieses Thema so viel Geld in die Hand wie nie zuvor und die Mitgliedsländer können davon enorm profitieren. Darüber hinaus steht es ja der Bundesregierung frei, zusätzlich Gelder für die energetische Sanierung zur Verfügung zu stellen.

Sie sprechen von gemeinsamer Umsetzung der energetischen Sanierung mit den Mietern. Das klingt gut. Aber werden das noch dieselben Mieter wie vorher sein? Mutiert die Energiewende zum „sozialen Spaltpilz“, wenn bezahlbare Wohnungen durch neue Auflagen aus Brüssel „wegsaniert“ werden, wie Kritiker aus der Immobilienbranche befürchten?

Dass es hier Hürden gibt, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber man löst die Frage, wie man bezahlbaren Wohnraum auch für mittlere und untere Einkommensschichten schafft, nicht, indem man nichts für den Klimaschutz tut. Im Übrigen ist den Bewohnern nicht geholfen, wenn man nicht saniert und sie nach wie vor in schlecht isolierten Wohnungen, vielleicht auch noch mit einer schlechten Luftqualität oder gar Schimmel, leben müssen. Es gibt tatsächlich auch eine soziale Notwendigkeit, Wohnungen vernünftig zu sanieren. Das muss man über eine vernünftige sozialverträgliche Wohnungsbaupolitik regeln.

Die Frage ist, welche Regeln man dafür findet?

Hier brauchen wir schlicht und ergreifend auch neue Finanzierungsmodelle für die verschiedenen Eigentümergruppen, die zudem lokal und regional verankert werden müssen. Wer investiert, möchte die Investition über die Zeit zurückhaben.

Aber wie lang ist der Investitionshorizont?

Wenn die Investition innerhalb von fünf Jahren wieder drin sein soll, hat das andere Auswirkungen auf die Mieten als bei einem Investitionshorizont von 30 Jahren.

Was käme hier denn zum Beispiel in Betracht?

Man kann steuerliche Anreize setzen – für ein langfristiges Herangehen, ohne drastische Mieterhöhungen. Und so unterbinden, dass Wohnungen, die letztlich ein öffentliches Gut sind, von Investoren rein als Spekulationsobjekte genutzt werden. Man kann bei Warmmietenregelungen ansetzen, sodass Mieter nach der Renovierung in Summe nicht mehr bezahlen als vorher. Denn belastend ist in der Regel nicht die Nettokaltmiete. Es sind die Gesamtkosten für eine Wohnung. Es gibt die vielfältigsten Möglichkeiten, die auch in anderen EU-Ländern und außerhalb Europas getestet und angewandt werden. Hier kann auch Deutschlands Regelwerk kreativer werden.

Gute Ideen für Finanzierungsmodelle aus anderen Ländern, wo könnte Deutschland da Anleihe nehmen?

In Flandern beispielsweise zahlt der Käufer eines Bestandsobjekts weniger Nebenkosten, wenn er das Gebäude umfassend saniert. In Deutschland wird die Grunderwerbssteuer hier ein Äquivalent sein. Darüber kann man doch auch mal nachdenken. Wie es gehen kann, zeigt auch ein Beispiel aus Irland – ein Land mit hoher Wohneigentumsquote, aber auch mit viel Energiearmut unter Wohneigentümern. Ein Teil hat Probleme, die Energierechnungen zu bezahlen. Anhand von Energieausweisen hat man in Dublin genau festgestellt: Wo sind energetische Investitionen am dringendsten? – und ein Investitionsprogramm fürbestimmte Viertel entwickelt. In Deutschland werden die Angaben in den Energieausweisen bislang im Grunde nicht genutzt. Sie sind nicht öffentlich zugänglich – obwohl die EU-Gebäuderichtlinie das vorschreibt.

Verschanzt man sich hinter dem Datenschutz?

Das ist das Argument. In Dänemark hat man diese Bedenken nicht. Dort gibt es eine frei zugängliche Energieausweis-Datenbank. Man kann jederzeit nachfragen: Wie viel Energie verbraucht dieses Gebäude? In welcher Energieeffizienzklasse ist es? Das Problem ist lösbar. Es liegt schlicht und ergreifend am politischen Willen. Welchen Nachbesserungsbedarf sehen Sie für Deutschland? In Deutschland etwa gibt es viele parallele Systeme, die der Laie nicht notwendigerweise unterscheiden und vergleichen kann. Das ist nicht unbedingt vertrauensfördernd. Außerdem will man weg von den Papierformularen in Richtung digitale Energieausweise. Alles mit dem Ziel, die für Investitionsentscheidungen unentbehrliche Transparenz herzustellen. Deshalb nochmals: Es macht Sinn, als Wohnungsunternehmen schon jetzt zu prüfen: Wo sind denn meine Energieschleudern? Anstatt nur last minute zu reagieren, wenn die harte Deadline ansteht.

Was könnten Auslösetatbestände für eine verpflichtende Sanierung sein?

Darüber gibt es noch keine politische Einigung. Aber man könnte eine energetische Sanierung beispielsweise an Verkauf, Neuvermietung oder ohnehin notwendige Instandhaltungsmaßnahmen binden. Man sollte sich zunächst auf Wohnungen in den niedrigen Energieeffizienzklassen konzentrieren – die wirklich großen Energieschleudern. Aber auch auf Wohnungen und Gebäude und Siedlungen, wo es viel Energiearmut gibt. Ein Problem, das man hierzulande für gewöhnlich in anderen Ländern verortet. Es gibt Energiearmut aber auch in Deutschland.

Woran machen Sie Energiearmut hierzulande fest?

Amtliche Statistiken belegen, dass zwei Millionen Haushalte in Deutschland es sich im Grunde nicht leisten können, ihre Wohnung oder ihr Haus im Winter ausreichend warmzuhalten. Sie müssen sich entscheiden: Drehe ich die Heizung auf? Oder kaufe ich im Supermarkt etwas zu essen? Das ist ein klares Anzeichen von Energiearmut. Hier muss, damit es nicht die Falschen trifft, die Wohnungspolitik Hand in Hand gehen mit Energieeffizienzpolitik. Und wenn eine Wohnungsbaugesellschaft in die Sanierung eines Problemviertels investiert und über die Energieersparnis hinaus die Quartiersentwicklung insgesamt mitbefördert, muss man vielleicht auch überlegen: Wie kann sie dafür belohnt werden? – Die Umsetzung muss in den Mitgliedsländern stattfinden.

So wie Sie das sagen schwingt ein kritischer Unterton mit?

Dafür muss der politische Wille der Entscheidungsträger dort vorhanden sein. Und auch der Innovationswille in der Industrie, im Gebäudesektor, in der Wohnungswirtschaft. Mit dem Finger Richtung Brüssel zu zeigen, da macht man es sich oft zu einfach.

Investitionen in welcher Höhe könnten durch das EU-weite Sanierungsprogramm angestoßen werden?

Man kann es auf jeden Fall abschätzen. Nach unseren Berechnungen bräuchten wir bei einem Sanierungshorizont von 30 Jahren, das heißt bis 2050, jährlich 243 Milliarden Euro an Investitionen in den Mitgliedsländern, um sämtliche Gebäude klima-neutral zu machen.

Das lässt auf einen erheblichen Kraftakt schließen?

Auch wenn es vielleicht erst mal so scheint: Das ist keine galaktische Größe. Wir haben in der EU ungefähr 25 Milliarden Quadratmeter Gebäudefläche – Wohnungen, Büros, Krankenhäuser etc. Das bedeutet Investitionen von ungefähr zehn Euro pro Quadratmeter und Jahr. Das ist machbar. Die Investitionen können durch entsprechende Förderprogramme ausgelöst werden. Und sie sparen ja nicht nur Energie ein, sie stiften Zusatznutzen durch ein verbessertes Wohnumfeld, erhöhten Komfort, durch Vermietbarkeit. Es ist also ein Investitionsprogramm, von dem alle profitieren.

>> zum Haupttext: Energieschleudern im Visier - EU-Sanierungsfahrplan für Gebäudesektor nimmt Gestalt an

aus IVV Immobilien vermieten & verwalten 06/21

Carla Fritz

Carla Fritz
freie Journalistin

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Artikel „Nicht erst last minute reagieren“
Seite 14 bis 15
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