Gesetzesnovelle in der parlamentarischen Beratung

Wie der Bau-Turbo ausgebremst werden soll

Nach der parlamentarischen Sommerpause wird der Bau-Turbo nun im Bundestag debattiert. Ziel der Bundesregierung ist eine wesentliche Beschleunigung von Baugenehmigungen und die Verringerung des Wohnungsmangels. Ob Deutschland das wirklich will, erscheint ungewiss.

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Mehr Wohnungsbau in den grünen Randbereichen der Städte: Nach dem Willen der Bundesregierung soll das ohne Bebauungsplanänderungen möglich sein. Kritiker fürchten eine planlose städtebauliche Entwicklung. Bild: Adobestock/Calado
Mehr Wohnungsbau in den grünen Randbereichen der Städte: Nach dem Willen der Bundesregierung soll das ohne Bebauungsplanänderungen möglich sein. Kritiker fürchten eine planlose städtebauliche Entwicklung. Bild: Adobestock/Calado

Das soll die Reform des Baugesetzbuches bewirken

Städte und Gemeinden können künftig schneller grünes Licht für den Wohnungsbau in angespannten Wohnungsmärkten geben – auch ohne Bebauungsplan. Mit dem Paragraphen 246e Baugesetzbuch soll der Wohnungsbau in angespannten Wohnungsmärkten vereinfacht und beschleunigt werden, in dem kein gesonderter Bebauungsplan vorgelegt werden muss. Diese Ausnahme soll befristet sein bis Ende 2030.

Auch der Wohnungsbau durch Etagenaufstockungen und Dachausbauten soll erleichtert werden. Künftig sollen Erweiterungen von Gebäuden überall und nicht mehr nur in angespannten Wohnungsmärkten möglich sein, insbesondere Aufstockungen, auch quartiersweise oder stadtweit, ohne dass ein Bebauungsplan geändert werden muss. Bisher gab es diese Möglichkeit nur für den Einzelfall.

In Innenstädten soll leichter verdichtet gebaut werden können, das heißt in zweiter Reihe auf dem Grundstück oder auf Höfen. Bisher scheitert das daran, dass eine verdichtete Bebauung häufig nicht dem bisherigen Charakter des Quartiers entspricht.

Mit der sogenannten Genehmigungsfiktion geben die Bundesländer den kommunalen Bauämtern vor, dass beantragte Genehmigungen als erteilt gelten, wenn die zuständige Behörde nicht innerhalb einer Frist von zwei Monaten über den Antrag entscheidet.

Branchenverbände: „Reform steckt auf halben Weg fest“

Den Interessenverbänden der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft begrüßen grundsätzlich die Einführung eines Bau-Turbos, die geplanten Lockerungen baugesetzlicher Vorgaben gehen ihnen aber nicht weit genug. Aus Sicht von GdW-Präsident Axel Gedaschko bleibe die Novelle auf halber Strecke stehen, weil bei der Erstellung von Bauleitplänen nach wie vor „schwierige Abwägungsprozesse“ vorgesehen seien. Allzu oft würden sich die Kommunen bei der Güterabwägung gegen den Wohnungsbau und für den Umweltschutz bzw. die Schonung von Grünflächen entscheiden. Daher müsse, so die Forderung des GdW, der Wohnungsbau den Status des überragenden öffentlichen Interesses erhalten. ZIA-Präsidentin Iris Schöberl sprach sich unter anderem dafür aus, die Sonderregelungen des § 246e ohne Befristung in das Baugesetzbuch aufzunehmen.

Architekten und Umweltschützer befürworten „Umbau-Turbo“

Scharfe Kritik an den Bestrebungen, bestehende Genehmigungs- und Beteiligungsmechanismen aufzuweichen, kam im Vorfeld der ersten Anhörung der Novelle im Bauausschuss des Bundestages am 10. September. Ein breites Bündnis aus 17 zivilgesellschaftlichen Akteuren üben unter Federführung der Bundesarchitektenkammer, Architects for Future, dem Paritätischen Wohlfahrtverband und der Deutschen Umwelthilfe fundamentale Kritik. Das Bündnis forderte den Abschied vom Bau-Turbo oder umfassende Nachbesserungen. Der Zusammenschluss aus Architekten-, Umwelt- und Sozialverbänden fordert einen „Umbau-Turbo“, der soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und demokratische Planung miteinander verbinde.

„Planlose städtebauliche Entwicklung“

Welche Sorgen die Kritiker des Bau-Turbos umtreiben, spiegelt sich in einer kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke an die Bundesregierung wider. Gefragt wird unter anderem, in welcher Größenordnung die Bundesregierung eine Neuversiegelung von Flächen durch die Regelungen des Gesetzentwurfs erwartet. Zudem geht es um den möglichen Verlust von Grünflächen in Innenstädten durch Bauvorhaben. In der Vorbemerkung zur kleinen Anfrage kritisieren die Abgeordneten, der Bau-Turbo schaffe Raum für eine „weitgehend planlose Entwicklung innerhalb und außerhalb der Städte sowie die Grundlage für eine klimaschädliche und städtebaulich problematische Entwicklung von Siedlungsstrukturen“.

„Kein Zeitdruck für Kommunen im Genehmigungsprozess“

Das Schreckensbild einer ökologischen Katastrophe zeichnet auch das erwähnte Bündnis von Architekten, Umwelt- und Sozialverbänden. Der Gesetzentwurf umgehe planungsrechtliche Standards, überfordere Kommunen und schaffe rechtliche Risiken, „ohne zentrale Ursachen der Krise wie Bodenpreise, Baukosten, Spekulation und soziale Ungleichheit anzugehen.“ Genehmigungsfristen von nur zwei Monaten setzten Verwaltungen unter Druck und verkürzten Beteiligungsrechte. Strategische Stadtplanung werde durch Einzelentscheidungen ersetzt, was langfristig zu teuren Lösungen und unkoordinierten Prozessen führe. Das Bündnis fürchtet den Verlust wertvoller, landwirtschaftlicher Nutzfläche, die Fähigkeit zur regionalen landwirtschaftlichen Selbstversorgung. Gleichzeitig würde die Regelung ökologische Schäden wie verstärkte Flächenversiegelung, Zersiedelung und die Verringerung natürlicher Wasserrückhalteflächen begünstigen – mit erheblichen Folgen für Natur und Umwelt, vom Biodiversitätsverlust bis hin zu einer erhöhten Anfälligkeit für Überschwemmungen und deren kostspielige Folgeschäden.

Das Bündnis würde einen Bau-Turbo nur unter folgenden Bedingungen mittragen:

  • Die Erleichterungen sind nur anwendbar in angespannten Wohnungsmärkten und in den Innenbereichen von Städten, um Zersiedelung zu vermeiden.
  • Es gilt ein verbindliches Baugebot mit Frist von eineinhalb bis drei Jahren je nach Bauvorhaben, danach oder bei Veräußerung des Grundstücks: Erlöschen der Baugenehmigung.
  • Beschränkung auf Neubauten mit mindestens sechs Wohneinheiten, um die begrenzten Flächen effizient zu nutzen und den Geschosswohnungsbau gezielt zu fördern.
  • Verbindliche Quote von mindestens 50,1 Prozent dauerhaft bezahlbarem Mietwohnungsbau, um soziale Wirksamkeit sicherzustellen.
  • Verbindliche Beteiligung von Fachbehörden und Öffentlichkeit bei Vorhaben ab 20 Wohneinheiten.

Bundesrat meldet erhebliche Bedenken an

Die Kritik an beschleunigten Genehmigungsverfahren kommt nicht nur aus dem Bundestag und der Zivilgesellschaft, sondern auch aus der Staatsbürokratie. Denn auch die Ländervertretung, der Bundesrat, zeigte sich in seiner Stellungnahme zum Bau-Turbo Ende Juli besorgt um Umwelt und Gesundheit. Die Ländervertretung erklärte unter anderem zu den vorgesehenen Änderungen bei Lärmschutzvorschriften, dass ein aus Gesundheitsschutzgründen gebotenes Lärmschutzniveau weiterhin gewährleistet bleiben müsse. Außerdem verlangt der Bundesrat wegen der Systemrelevanz der Landwirtschaft vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Situation einen langfristigen Schutz landwirtschaftlicher Produktionsflächen im Außenbereich von Städten und Gemeinden. Dieses Anliegen werde durch klimabedingte Umweltveränderungen noch verstärkt.

Öffentliche Anhörung im Bauausschuss des Bundestags

Am 10. September kamen im Bundestag die Mitglieder des Bauausschusses zusammen, um die Argumente und Positionen von Sachverständigen und Interessenvertretern zum Bau-Turbo zu hören. Erwartungsgemäß wurde die Reform sehr unterschiedlich und zum Teil als nicht weitreichend genug beurteilt. So begrüßte die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände in ihrer Stellungnahme die mit dem Gesetzentwurf verfolgten Ziele. Gleichzeitig müssten aber die weiteren Ursachen für den Rückgang der Bautätigkeit im Wohnungsbau angegangen werden wie gestiegene Bau- und Finanzierungskosten, Fachkräftemangel und Materialknappheit.

In der von der Vorsitzenden Caren Lay (Die Linke) geleiteten Anhörung begrüßte Christian Lieberknecht, Geschäftsführer Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) den Gesetzentwurf. Der könne aber nur ein Baustein von mehreren sein, um Baukosten zu begrenzen und Wohnen bezahlbar zu machen. Der von der CDU/CSU-Fraktion benannte Sachverständige nannte die Bereitstellung von zusätzlichem Wohnraum angesichts des weiteren Wachstums der Bevölkerung unabdingbar.

Dirk Salewski vom Bundesverband der Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) erklärte, mit dem Entwurf werde das Bauplanungsrecht punktuell vereinfacht und es werde somit zu punktuellen Verbesserungen im Wohnungsbau kommen. Man brauche aber viele Instrumente, um den Wohnungsbau wieder zum Leben zu erwecken, sagte der von der CDU/CSU benannte Sachverständige. Die in dem Entwurf vorgesehene Verlängerung des Verbots der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Gebieten mit angespannter Wohnlage lehnte er ab: „Umwandlungsverbote sind Eingriffe in den freien Markt, die die Eigentumsbildung verhindern, ohne dass neue Wohnungen gebaut werden.“

Dagegen sprach sich Melanie Weber-Moritz Bundesdirektorin Deutscher Mieterbund, für die Verlängerung des Umwandlungsverbots aus. Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen würden in aller Regel zu einer Verdrängung von Mietern und zu erheblichen Mietsteigerungen führen, erklärte die von der SPD-Fraktion benannte Sachverständige.

Professor Matthias Hellriegel (Hellriegel Rechtsanwälte) begrüßte den Gesetzentwurf sehr. Die Änderungen beim Lärmschutz seien revolutionär. Die Regelungen könnten dazu beitragen, „den Wohnungsbau anzukurbeln“. Kritikern entgegnete er, die Kommunen könnten den Bau-Turbo anwenden, müssten das aber nicht, sagte der von der CDU/CSU benannte Sachverständige.

Für Änderungen am Gesetzentwurf sprach sich Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, aus. Sie verlangte, den § 246e, eine zentrale Bestimmung des Bau-Turbos, zu ändern. Mit der jetzigen Fassung werde der Bau von Einfamilienhäusern möglich. Es sei jedoch der Geschossbau und nicht das Einfamilienhaus, der mehr Wohnraum schaffe. Daher müsse die Vorschrift auf Neubauten mit mindestens sechs Wohnungen beschränkt werden, erklärte die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benannte Sachverständige. Auch Weber-Moritz vom Mieterbund plädierte dafür, den Bau von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen für Selbstnutzer prinzipiell auszuschließen.

Für die von der SPD-Fraktion benannte Sachverständige Aygül Özkan (Hauptgeschäftsführerin Zentraler Immobilien Ausschuss) reicht es für den Wohnungsbau nicht aus, den Turbo zu zünden. Sie sah „erheblichen Nachbesserungsbedarf“ und verlangte eine längere Geltungsdauer des bis Ende 2030 befristeten Turbos, etwa bis 2035.

Komplexe Bauvorhaben in urbanen Räumen würden eine deutlich längere Planungssicherheit benötigen. Die Befristung bis Ende 2030 dürfe kaum zu wesentlichen Effekten führen, sagte auch der von der AfD-Fraktion benannte Unternehmensberater Peter Lutz. Wohnungsbau brauche eine Langfristperspektive, die hier nicht erkennbar sei.

Judith Nurmann (Architects for Future Deutschland) befürwortete das Anliegen des Gesetzgebers, planerische Prozesse zu vereinfachen. Der „Wohnungsbau-Turbo“ sei jedoch ungeeignet, um die dringend notwendige Bauwende im Sinne des Klima- und Ressourcenschutzes voranzubringen. Die von der Linksfraktion benannte Sachverständige sprach sich für eine zweite große Novelle des Baugesetzbuches aus.

Architekt Robert Scholz, ein von der AfD benannter Sachverständiger, sagte, es seien insbesondere Maßnahmen zur besseren Finanzierbarkeit durch steuerliche Entlastungen und staatliche Zinsstützungen sowie eine Rückführung energetischer Bauvorschriften notwendig. Der Bau-Turbo befinde sich im Leerlauf. Er mache Lärm, aber sei keine geeignete Antwort auf die bestehenden Herausforderungen im Wohnungsbau.

Bernd Düsterdiek (Deutscher Städte- und Gemeindetag) betonte die Notwendigkeit, die Planungshoheit der Kommunen zu wahren. Es gebe weitgehende Befreiungs- und Abweichungsmöglichkeiten vom bisherigen Planungsrecht.

Angesicht der Vielzahl der Kritiker und ihrer gewichtigen Argumente stellt sich die Frage, wie viel „Turbo“ in der Baurechtsreform des Bundes am Ende des parlamentarischen Verfahrens noch stecken wird.

Dr. Cedric Vornholt

Dr. Cedric Vornholt
Rechtsanwalt, Kanzlei FPS, Frankfurt/Main
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Artikel Wie der Bau-Turbo ausgebremst werden soll
Seite 12 bis 18
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