Wird der Bau-Turbo jemals anspringen?
Vorbild für die Einführung des Paragrafen 246e ins Baugesetzbuch sind die Erfahrungen mit dem vereinfachten Genehmigungsverfahren für den Bau von Flüchtlingsunterkünften. Die Idee für diese Novelle entstand in der Bundesregierung angesichts der Neubaukrise. Statt der anvisierten 400.000 neuen Wohnungen, die jährlich entstehen sollten, wurden 2023 nur rund 270.000 Wohnungen bezugsfertig, und die Genehmigungszahlen befinden sich seit 2022 im jähen Abwärtstrend. Angesichts von Wohnungsmangel, Auftragsstornierungen und Baustellenstillstand begrüßten GdW-Präsident Axel Gedaschko und BFW-Präsident Dirk Salewski in einem Pressehintergrundgespräch ausdrücklich, dass die Bundesregierung den „Bau-Turbo“ einlegen möchte. Zuvor hatte sich die Bundesarchitektenkammer öffentlich gegen den geplanten Paragrafen 246e Baugesetzbuch gewandt, der sich in der parlamentarischen Beratung befindet. Diese Novelle, so die Befürchtung der Architektenschaft, stelle sämtliche Grundsätze der Stadtentwicklung in Frage: gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, Umweltverträglichkeit, Öffentlichkeitsbeteiligung und die Schaffung bezahlbaren Wohnraums.
Das plant das Bundesbauministerium
Bund und Länder haben sich auf die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen verständigt. Der „Bau-Turbo-Pakt“ werde dafür sorgen, dass für eine befristete Zeit in Orten mit hohem Bedarf schneller Bauvorhaben geplant und umgesetzt werden können. Damit könnten rasch Baulücken genutzt, Dächer bebaut oder brachliegende Flächen in Wohnraum umgewandelt werden.
Bundesbauministerin Klara Geywitz begründet die temporäre Öffnung des Baurechts:
Wir sorgen dafür, dass bezahlbarer Wohnraum dort entstehen kann, wo er besonders dringend gebraucht wird. Vor allem in Städten gibt es weniger Baufläche, die zudem immer teurer wird. Nun können brachliegende Flächen rasch genutzt und Baulücken geschlossen werden. Für eine bestimmte Zeit kann mit Einverständnis der Gemeinde vor Ort auf einen Bebauungsplan verzichtet werden. Das entlastet die Bauämter vor Ort und beschleunigt das Genehmigungsverfahren.“
Verzicht auf Bebauungsplan: Befristet bis Ende 2026 soll eine Sonderregelung ins Baugesetzbuch aufgenommen werden. Danach können Gemeinden auf die Entwicklung eines Bebauungsplans verzichten, dessen Aufstellung oft mehrere Jahre dauert.
Genehmigungsfiktion: Die Länder werden für die Genehmigungsverfahren im Wohnungsbau befristet bis 2026 eine bundesweit einheitliche Genehmigungsfiktion von drei Monaten einführen. Das bedeutet, dass die beantragte Genehmigung als erteilt gilt, wenn die zuständige Behörde nicht innerhalb dieser Frist über den Antrag entscheidet.
Dachaufstockung genehmigungsfrei: Die Länder werden Nutzungsänderungen von Dachgeschossen zu Wohnzwecken in ihren Landesbauordnungen sowie in der Musterbauordnung unter bestimmten Bedingungen genehmigungsfrei stellen, um so das Potenzial der Umnutzung von Dächern und der Dachaufstockung schnell und unkompliziert nutzbar zu machen.
Wegfall der Kfz-Stellplatzpflicht: Die Länder werden Regelungen zu Kfz-Stellplatzanforderungen im Bauordnungsrecht vereinheitlichen und so anpassen, dass die Kfz-Stellplatzpflicht bei Umbauten und Aufstockungen von Wohnraum entfällt.
Einführung Gebäudetyp E: Die Einführung eines Gebäudetyps E („E“ wie einfach) sei ein wichtiges Element, um einfacher und somit schneller zu bauen. Die Akteure aus der Bau- und Planungsbranche sollen ermutigt werden, kreativ und kostengünstig zu planen und zu bauen. Der Bund nehme dafür die zivilrechtlichen Aspekte im Bereich der transparenten Vertragsgestaltung und -praxis in den Blick, um den am Bau Beteiligten ein vereinfachtes Bauen rechtssicher zu erleichtern.
Bundesweit gültige Typengenehmigung: Durch industrielle Fertigungsmethoden im seriellen, modularen Bauen könne witterungsunabhängig produziert und die Baustellenzeit vor Ort erheblich verkürzt werden. Um diese Form des Bauens weiter zu befördern, werden die Länder regeln, dass bereits einmal erteilte Typengenehmigungen für das serielle, modulare und systemische Bauen bundesweite Gültigkeit erhalten.
Das befürchten die Kritiker der Novelle
Die Bundesarchitektenkammer (BAK) hat sich an die Spitze der Kritiker gesetzt. BAK-Präsidentin Andrea Gebhard steht auf dem Standpunkt: „Der Paragraf 246e BauGB birgt die Gefahr von siedlungspolitischen Fehlentwicklungen und schafft gefährliche Fehlanreize.“ Die gesetzliche Lockerung werde zu vermehrter Wohnbebauung an ungeeigneten Standorten führen wie zum Beispiel Randlagen, Grün- und Sportflächen. Das widerspreche nicht nur den Prinzipien einer nachhaltigen Stadtentwicklung, sondern schaffe auch enorme Herausforderungen für soziale Infrastrukturen und den Umweltschutz.
Das schlagen die Kritiker alternativ vor
Die Bundesarchitektenkammer erinnert an bereits genehmigte Bauprojekte und unbebaute Baulücken mit vorhandenem Planungsrecht. Mit der geplanten Gesetzesreform ignoriere die Regierung das Potenzial der Innenentwicklung von bestehenden Siedlungen. Die Verdichtung von Ortschaften, die Aufstockung bestehender Gebäude und die Umnutzung müssten in den Vordergrund gerückt werden.
Der Appell gegen die Einführung des Paragrafen 246e Baugesetzbuch
Die Bundesarchitektenkammer zählt zu den Unterzeichnern eines Appells gegen die Einführung des „Bau-Turbos“. Getragen wird der Apell unter anderem vom Deutschen Mieterbund, dem DGB, Sozialverband VdK, BUND, NABU, Deutsche Umwelthilfe, BDA Bund deutscher Architektinnen und Architekten und dem bdla Bund Deutscher Landschaftsarchitekt:innen. Die Verbände sprechen von einer „Entdemokratisierung der Planungskultur“ und von der „Beschneidung der kommunalen Selbstverwaltung“.
Der Appell warnt vor Mietpreiserhöhungen und Verdrängungsprozessen; die Lockerung des Baugesetzbuchs eröffne die Möglichkeit, Regelungen zu Dämpfung von Mieten in Gebieten mit Erhaltungssatzung zu umgehen. Umbauten, Ergänzungen und Erweiterungen, die zu einer Mietpreiserhöhung führen, könnten leichter und ohne das übliche Genehmigungsverfahren umgesetzt werden, so die Kritiker der Reform.
Das Bündnis mahnt, statt eines Bau-Turbos werde ein „Bodenspekulations-Turbo“ in Gang gesetzt.
Wir können doch nicht die Ränder unserer Siedlungen einem zerstörerischen Wildwuchs preisgeben – wider jede Baukultur!", mahnt Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer.
Ein neuer Paragraf 246e BauGB eröffne Optionen auf Baugenehmigungen in allen Arealen, die derzeit über die Bauleitplanung geschützt seien. Dadurch werde der Bodenspekulation in großem Stil Tür und Tor geöffnet. In dem gemeinsamen Appell heißt es weiterhin, Deutschland habe sich dazu verpflichtet, den Landschaftsverbrauch bis 2030 auf höchstens 30 Hektar pro Tag zu verringern. Ein unkontrolliertes Flächenwachstum würde die finanziellen Lasten der Kommunen durch steigende Infrastrukturkosten weiter in die Höhe treiben.
Thomas Engelbrecht
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