Vom Bauen in schweren Zeiten
Es ist eng auf dem Balkon des Neubaukomplexes unweit des Bahnhofs Ostkreuz. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU), Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) und Umweltsenatorin Manja Schreiner (CDU) haben sich zum Fototermin mit den Geschäftsführern des Bauherrn Howoge, Ulrich Schiller und Katharina Greis, eingefunden. Der Blick der prominenten Runde schweift zum Rummelsburger See, und die Politiker wünschen sich wohl insgeheim, dass mehr solcher Neubauten entstünden in Berlin, dieser Stadt, in der die Wohnungsknappheit zu einem zentralen politischen Streitpunkt geworden ist.
Anlass des Zusammentreffens ist die Neubautour, auf der die sechs landeseigenen Berliner Wohnungsbaugesellschaften einmal jährlich Politik und Presse ausgewählte Neubauprojekte vorführen. Es ist eine Rundfahrt in schwierigen Zeiten, wie Jörg Franzen, Vorstand der Gesobau AG und Sprecher der sechs Gesellschaften, ausführt: Gestiegene Baukosten, höhere Zinsen, Inflation, immer mehr Auflagen beim Bau, das Hin und Her um die KfW-Förderung – wer Wohnungen bauen will, sieht sich zahlreichen Herausforderungen gegenüber.
Es gibt ganz viele Mieter bei den landeseigenen Unternehmen, die sich durchaus eine höhere Miete leisten könnten. Jörg Franzen, Vorstand der Gesobau AG
Mieten durften nicht erhöht werden
Für die sechs Wohnungsunternehmen des Landes Berlin (Howoge, Gesobau, Gewobag, WBM, Degewo sowie Stadt und Land) mit ihren zusammen nicht weniger als 357.000 Wohnungen (Stand Ende 2022) kommen weitere Herausforderungen hinzu. Denn sie sind in ein enges politisches Korsett geschnürt: Laut der im Jahr 2017 erstmals abgeschlossenen Kooperationsvereinbarung („Leistbare Mieten, Wohnungsneubau und soziale Wohnraumversorgung“) mit dem Senat müssen sie mindestens 50 Prozent ihrer Neubauwohnungen als öffentlich geförderte Einheiten errichten. Bei der Vermietung ihres Bestands sind sie verpflichtet, sogar 63 Prozent der Wohnungen an Haushalte zu vermieten, die Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben. Aber auch im freifinanzierten Bereich sind ihnen bei der Gestaltung der Mieten die Hände gebunden – im letzten und in diesem Jahr durften sie die Mieten überhaupt nicht erhöhen.
„Wir wollen weiter Leistungen für die Stadt und für die Berlinerinnen und Berliner erbringen“, betont Jörg Franzen auf der Tour. Aber dafür bräuchten die Unternehmen Einnahmen. Damit spricht der Vertreter der sechs Gesellschaften eine zentrale Frage an: Wie können die „Landeseigenen“ die vielfältigen Aufgaben – Neubau, energetische Sanierung, soziale Stabilisierung der Quartiere – erfüllen, welche die Politik ihnen vorgibt, wenn ihnen die Politik gleichzeitig auf der Einnahmeseite strikte Vorgaben macht? Fein ziseliert wird dieses Dilemma in einer Aussage aufgegriffen, mit der Franzen in der Pressemitteilung zur Neubautour zitiert wird: „Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften“, sagt er darin, „sind ein Schlüssel zur Entspannung des Wohnungsmarkts, zur Erreichung der Berliner Klimaschutzziele und zur Sicherung des sozialen Zusammenhalts in der Stadt. Umso mehr kommt es jetzt und in Zukunft auf die wirtschaftliche Leistungskraft der Unternehmen an. Sie in diesen schwierigen Zeiten zu erhalten und zu stärken und dabei gleichzeitig weiterhin unsere vielfältigen Aufgaben erfüllen zu können, ist das Ziel der gemeinsamen Arbeit von städtischen Wohnungsbaugesellschaften und dem Land Berlin.“
Politik sichert Unterstützung zu
Auf der Neubautour signalisieren die Vertreter des CDU-/SPD-Senats dafür Unterstützung. Es sei wichtig, dass die landeseigenen Gesellschaften für bezahlbare Mieten sorgten, sagt der Regierende Bürgermeister Kai Wegner. Gleichzeitig müssten sie aber auch wirtschaftlich so stark sein, dass sie weiterhin Neubauten realisieren könnten. Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler spricht sich ebenfalls dafür aus, dass die Unternehmen einen „angemessenen Preis“ für die Wohnungen bekommen, ohne dabei die Mieter zu überfordern. „Es gibt ein breites Spektrum an Zahlungsfähigkeit“, sagt der sozialdemokratische Politiker. Denken müsse man dabei auch an diejenigen Mieter, die bei anderen Vermietern wohnten: „Die fragen sich, warum sie mit ihren Steuergeldern finanzieren sollen, dass andere keine Mieterhöhung haben.“ Das ist ganz im Sinne von Gesobau-Chef Jörg Franzen, der die „Leistbarkeit für die Mietenden“ hervorhebt. Es gebe „ganz viele Mieter“ bei den landeseigenen Unternehmen, die sich durchaus eine höhere Miete leisten könnten.
Ganz konkret wird diese Diskussion beim Neubauprojekt der Howoge in der Nähe des Bahnhofs Ostkreuz. Die 169 Wohnungen stehen zwar nahe an den Bahngleisen, bieten aber zur anderen Seite hin eine faszinierende Aussicht auf den Rummelsburger See. 11,50 Euro pro Quadratmeter beträgt hier die Miete der freifinanzierten Wohnungen. Nur schlecht kann Howoge-Geschäftsführer Ulrich Schiller sein Unverständnis darüber verhehlen, dass ihn die Politik zwingt, hochwertige Wohnungen in innerstädtischer Toplage zu diesem Schnäppchenpreis zu vermieten. Und dann erzählt er noch, dass die Howoge bei hundert Bewerbungen pro Wohnung die Bewerbungslisten geschlossen hat.
Einen anderen Aspekt erwähnt Sandra Wehrmann, Vorständin der Degewo AG, auf der Fahrt zur nächsten Station, einem Neubauprojekt mit 337 Wohnungen am Halleschen Ufer im Stadtteil Kreuzberg: Bei dieser Quartiersentwicklung, sagt Wehrmann, arbeite die Degewo gut mit privaten Unternehmen, nämlich der Art-Invest Real Estate und der Pandion AG, zusammen. Die Pandion baue Eigentumswohnungen, „was wir leider nicht dürfen“. Tatsächlich ist es den Berliner Gesellschaften, anders als vielen kommunalen Wohnungsunternehmen vor allem im Süden Deutschlands, politisch verwehrt, im Eigentumssegment aktiv zu werden.
Wer soll das bezahlen?
Das führt zwangsläufig zur Frage, wie die landeseigenen Wohnungsunternehmen ihr ehrgeiziges Neubauprogramm finanzieren sollen. 2022 stellten sie zusammen rund 6.000 Wohnungen fertig und damit gut ein Drittel der 17.300 Wohnungen, die im letzten Jahr in Berlin insgesamt errichtet wurden. Außerdem erwarben sie rund 11.600 Bestandswohnungen von anderen Eigentümern. In diesem Jahr werden die sechs Unternehmen voraussichtlich 5.300 Wohneinheiten fertigstellen.
Eigentlich hat die Politik sogar noch höhere Erwartungen: Laut dem Koalitionsvertrag von CDU und SPD sollten die sechs Unternehmen jährlich rund 6.500 Wohneinheiten errichten. Ebenfalls im Koalitionsvertrag steht: „Die wirtschaftliche Situation der LWU (Landeseigene Wohnungsunternehmen, Anm. d. Red.) muss verbessert werden, um eine zukünftige Schieflage zu verhindern. Insbesondere mit Blick auf das von der Koalition angestrebte Wachstum durch strategischen Ankauf und Neubau ist ihre Eigenkapitalbasis zu stärken.“
Wie das konkret geschehen soll, bleibt auf der Neubautour vage. Stadtentwicklungssenator Gaebler verweist darauf, dass das Land durch die Einbringung von Grundstücken das Eigenkapital seiner Wohnungsunternehmen stärke. Außerdem habe es in diesem Jahr die Bedingungen für den geförderten Wohnungsbau verbessert. Und schließlich stehe das Sondervermögen Klimaschutz für die energetische Modernisierung von Wohngebäuden zur Verfügung.
Verschuldung deutlich gestiegen
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die landeseigenen Unternehmen den Neubau mit einer höheren Verschuldung bezahlen. Laut dem von der Wohnraumversorgung Berlin AöR herausgegebenen „Bericht über die wirtschaftliche Lage der sechs landeseigenen Berliner Wohnungsunternehmen“ erhöhten sich die Verbindlichkeiten im Jahr 2021 (die Zahlen für 2022 lagen noch nicht vor) von 14,2 auf 16,9 Milliarden Euro, was einem Anstieg um 19 Prozent entsprach. Bezogen auf die Wohnfläche nahmen die Schulden um 16,7 Prozent von 643 Euro auf 751 Euro pro Quadratmeter zu.
Dennoch betonen die Gesellschaften ihre finanzielle Stabilität. „Für die Finanzierung unserer Investitionen sind wir sehr gut aufgestellt“, sagte Markus Terboven, Vorstandsmitglied der Gewobag, bereits im Frühjahr anlässlich der Veröffentlichung des Gewobag-Geschäftsberichts 2022. Klar sei allerdings auch, „dass es perspektivisch Lösungen braucht, um die steigenden Baukosten zu kompensieren. Die vom Land Berlin gedeckelten Mieten sind eine Herausforderung. Das kann kein Dauerzustand sein.“
Apropos hohe Baukosten: Auf der dritten Station der Tour, einem Neubauprojekt der Gewobag mit 211 Wohnungen am Bahnhof Südkreuz, lässt eine Bemerkung von Gewobag-Vorständin Snezana Michaelis aufhorchen: Nicht weniger als 4.700 Euro pro Quadratmeter betrugen demnach die Baukosten. Die Mieten liegen hier bei 6,50 Euro pro Quadratmeter für die geförderten Wohnungen sowie rund 12 Euro pro Quadratmeter für die freifinanzierten Einheiten. Vorteilhaft sei in diesem Fall, dass sich die Wohnungen durch Gewerbeflächen mit einer höheren Miete quersubventionieren ließen, sagt Michaelis.
Das Neubauziel von 20.000 Wohnungen ist in Berlin kaum zu erreichen
Noch ein weiteres Problem sprechen die Vertreter der Wohnungswirtschaft auf der Neubautour an: die lange Verfahrensdauer bei Genehmigungsprozessen. Rekordhalter dürfte hier das Howoge-Projekt am Ostkreuz sein: 26 Jahre habe es bis zur Festsetzung des Bebauungsplans gedauert, sagt Geschäftsführer Ulrich Schiller. Doch hier verspricht der aus der Wiederholungswahl vom Februar dieses Jahres hervorgegangene Senat Besserung: In seinem Koalitionsvertrag stellt er ein Schneller-Bauen-Gesetz und eine Novellierung der Berliner Bauordnung in Aussicht. Trotzdem dürfte es unter den derzeitigen Rahmenbedingungen kaum möglich sein, das politische Ziel von jährlich 20.000 neuen Wohnungen in Berlin zu erreichen. Um diesem Ziel zumindest nahezukommen, brauche es nicht nur das Engagement der landeseigenen Wohnungsunternehmen, betont der Regierende Bürgermeister Kai Wegner: Auch die privaten Unternehmen und die Wohnungsgenossenschaften seien wichtige Partner beim Wohnungsbau.

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (Mitte) lässt sich, begleitet von zahlreichen Journalisten, die Degewo-Baustelle am Halleschen Ufer in Kreuzberg zeigen. Links neben Wegner Sandra Wehrmann, Vorständin der Degewo AG. Bild: BBU

Bild: Gesobau AG
Mieten dürfen um 2,9 Prozent erhöht werden
Christian Hunziker


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