Unterlassungsanspruch kann verwirken

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Bild: makibestphoto/stock.adobe.com
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1. Der Anspruch auf Unterlassung zweckbestimmungswidriger Nutzung von Sondereigentum verjährt nicht, kann jedoch verwirken, wenn die zweckbestimmungswidrige Nutzung über Jahrzehnte beanstandungslos geduldet wird.

2. Ist der Anspruch auf Unterlassung bereits verwirkt, ist hieran auch ein Sonderrechtsnachfolger, d.h. ein neuer Wohnungseigentümer, gebunden.

(Leitsätze des Bearbeiters)

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 31.03.2022 - 2-13 S 131/20

Problemstellung

Die Teilungserklärung einer Wohnungseigentümergemeinschaft regelt, wie und zu welchen Zwecken die Sondereigentumseinheiten genutzt werden dürfen. In reinen zu Wohnzwecken dienenden Wohnungseigentumsanlagen ist in der Regel eine berufliche bzw. gewerbliche Nutzung nicht zulässig. Maßgeblich ist dabei, ob die zweckbestimmungswidrige Nutzung mehr stört als der zweckbestimmungsgemäße Gebrauch.

Bei zweckbestimmungswidriger Nutzung besteht ein Anspruch auf Unterlassung, der nicht verjähren kann, da mit der Fortsetzung der zweckbestimmungswidrigen Nutzung eine dauerhafte Störung verbunden ist.

Gleichwohl kann ein solcher Unterlassungsanspruch untergehen, wenn dieser ausnahmsweise verwirkt ist. Verwirkung liegt nur in seltenen Fällen vor und erfordert neben der zeitlichen Komponente auch besondere Umstände, die eine Geltendmachung des Anspruchs als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen.

Entscheidung

Der Beklagte ist Ersterwerber einer Eigentumswohnung der im Jahr 1994 errichteten Wohnungseigentumsanlage. Berufliche oder gewerbliche Tätigkeiten werden in der Teilungserklärung nicht ausdrücklich gestattet. Die Wohnung dient nach der Teilungserklärung zu Wohnzwecken. Der Beklagte hat die Wohnung an seine Ehefrau vermietet, die in der Wohnung seit mehr als 25 Jahren eine Arztpraxis betreibt. Dies wird über Jahre hinweg beanstandungslos geduldet, bis im Jahr 2019 ein Patient randaliert und die Hauseingangstür und die Briefkastenanlage beschädigt. Daraufhin beschließt die Wohnungseigentümerversammlung, die Unterlassung der Nutzung als Praxis durchzusetzen.

Die Klage hat vor dem Amtsgericht Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten wird die auf Unterlassung gerichtete Klage abgewiesen.

Zwar liegt eine zweckwidrige Nutzung vor, die einen Unterlassungsanspruch begründet. Dieser ist jedoch aus Treu und Glauben nicht mehr durchsetzbar, da er verwirkt ist.

Die Nutzung als Arztpraxis stört mehr als die in der Teilungserklärung bestimmte Nutzung als Wohnung. Es ist darauf abzustellen, ob nach einer typisierenden Betrachtungsweise die Nutzung mehr stört als die zweckbestimmungsgemäße. Dies ist bei einer Praxis regelmäßig der Fall, da das Aufkommen an Patienten das übliche Besuchsaufkommen bei einer Wohnraumnutzung überschreitet. Es kommt daher nicht darauf an, ob und in welchem Umfang in der Arztpraxis Drogenpatienten behandelt werden.

Der damit verbundene Unterlassungsanspruch ist jedoch vorliegend verwirkt, da sowohl aufgrund des Ablaufs von mehr als 25 Jahren und der bisherigen Duldung Umstände vorliegen, die das Vertrauen des Eigentümers rechtfertigen, dass der Unterlassungsanspruch nicht mehr geltend gemacht wird.

Es kommt dabei nicht darauf an, ob dies im Verhältnis zu sämtlichen aktuellen Eigentümern der Fall ist. Es ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Anspruch verwirkt wurde. Ist einmal Verwirkung eingetreten, sind daran auch neue Eigentümer als Sonderrechtsnachfolger gebunden.

Hier haben die Wohnungseigentümer, die einen Unterlassungsanspruch seit Jahrzehnten nicht erhoben haben, zu erkennen gegeben, dass sie mit der Nutzung einverstanden sind, worauf sich die Beklagten eingerichtet haben.

Durch das Randalieren eines Patienten ist keine zeitliche Zäsur eingetreten, da das Randalieren nicht auf eine Willensentscheidung der Beklagten zurückzuführen ist. Zwischenzeitliche Veränderungen der Patientenstruktur – Methadonvergabe an Drogensüchtige – führt zu keiner Zäsur, da die Methadonvergabe zu einer hausärztlichen Praxis gehört und damit keine „neue“ Störung vorliegt.Auch durften die Beklagten auf die Duldung vertrauen. Aus dem Umstand, dass die Nutzung in der Vergangenheit nicht unterbunden wurde, folgt zwar nicht, dass der Eigentümer bzw. der Nutzer darauf vertrauen darf, dass die künftige zweckbestimmungswidrige Nutzung weiter toleriert wird. Hier handelt es sich jedoch um eine illoyal verspätete Rechtsausübung, da die Praxis seit mehr als 25 Jahren mit Kenntnis der übrigen Eigentümer betrieben wurde, ohne dass diese etwas gegen die Nutzung unternommen haben.

Verurteilt wurden die Beklagten jedoch zur Zahlung von Schadensersatz wegen der beschädigten Briefkastenanlage.

Konsequenzen

Hier hat der Eigentümer Glück gehabt. Die Verwirkung eines Anspruchs ist die absolute Ausnahme. Die zeitliche Komponente ist nicht alles. Entscheidend ist letztlich das Umstandsmoment. Fehlt es an diesem, kann auch noch nach Jahren zweckbestimmungswidriger Nutzung Unterlassung verlangt werden.

Praxistipp

Sowohl vor dem Kauf als auch vor der Vermietung von Wohnungseigentum ist zu prüfen, ob die beabsichtigte Nutzung auch im Einklang mit der Zweckbestimmung steht. Ist dies nicht der Fall, können sich Investitionen über kurz oder lang als Fehlinvestition herausstellen. Maßgeblich ist die Teilungserklärung nebst Aufteilungsplan einschließlich sämtlicher Änderungen oder Ergänzungen. Die Rechtsprechung hat sich wiederholt mit entsprechenden Fällen befasst. So kann in einer reinen Wohnungseigentumsanlage die Nutzung einer Wohnung als Ingenieur- oder Planungsbüro ohne Publikumsverkehr, als Anwaltskanzlei oder als Ferienwohnung zulässig sein. Während eine Nutzung als Arztpraxis oder heimartige Nutzung als Flüchtlings- oder Altenheim in der Regel nicht zulässig ist. Eine Überlassung einer Wohnung an eine Flüchtlingsfamilie zur Wohnnutzung dürfte hingegen in der Regel zulässig sein.OS

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