Junges Wohnen im Land der Häuslebauer
Ein Eigenheim verliert an Bedeutung, Mietwohnungen sind jedoch Mangelware
Was für Generationen junger Leute im Ländle selbstverständlich war, ist für die heutige Jugend eine lästige und zudem immer kostspieligere Pflicht, der viele nicht nachkommen wollen. Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn Mietwohnungen sind im ländlichen Raum Baden-Württembergs so gut wie unbekannt. Wer mieten will, muss die Koffer packen und in die Stadt ziehen und kommt nach Ausbildung oder Studium nicht mehr zurück, obwohl er oder sie vielleicht gerne auf dem Land wohnen bleiben bzw. zurückkommen würde.
Eine missliche Situation für Gemeinden, die durchaus an der einen oder anderen Stelle mit Leerstand kämpfen. Das Projekt "Junges Wohnen: Zukunftsorientierte Wohnmodelle für junge Erwachsene durch Umnutzung von leerstehenden Gebäuden im Ortskern" sucht bis Herbst 2021 nach Lösungen.
Junge Leute sorgen für Perspektivwechsel
Zu den teilnehmenden Modellgemeinden des mit 125.000 Euro vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz geförderten Vorhabens gehören Dornstadt, Herbolzheim, Riedlingen, Stühlingen, Schwäbisch Gmünd und Zaberfeld, die zwischen 4.000 und 60.000 Einwohner haben und, stellvertretend für viele Gemeinden in Baden-Württemberg, vor der Herausforderung stehen, jungen Menschen eine wohnliche Alternative zum Eigenheim zu bieten, damit diese am Ort bleiben.
Federführend koordiniert die Studiengesellschaft für Projekte zur Erneuerung der Strukturen (SPES e.V.) die beteiligten Akteure, darunter das Planungsbüro Sutter³ und die Agentur K-Punkt Ländliche Entwicklung der Diözese Rottenburg-Stuttgart, mit dem Ziel, die vielen Ideen, die in den monatlich stattfindenen Design-Thinking-Workshops mit jungen Leuten, Bürgergruppen, Gemeindevertretern sowie Immobilien- und Grundstückseigentümern erarbeitetet wurden, zu sammeln und in einer Studie zusammenzufführen, damit daraus umsetzbare Nutzungskonzepte für leerstehende Gebäude entstehen. Die Resonanz auf das Angebot mitzugestalten sei enorm, so Geschäftsführerin Ingrid Engelhard, vor allem brächten die Jungen einen erfrischenden Perspektivwechsel hinein, der den Fokus erweitert.
Wohnen und Arbeiten im Zusammenhang denken
Gefragt ist nicht der standardisierte Mietwohnungsbau mit 2-Zimmer, Küche, Diele, Bad, sondern es werden gemeinschaftliche Wohnformen gefordert, die gegenseitiges Unterstützen und das Teilen von Dingen ermöglicht. Zwar wollen junge Erwachsene selbständig wohnen, aber nicht allein. Weit oben auf ihrer Wunschliste steht zudem, Wohnen und Arbeiten besser miteinander kombinieren zu können, etwa durch Co-Working-Plätze. Ein Wunsch, der mit den flexiblen Arbeitsmöglichkeiten vieler Weltmarktführer, die in der schwäbischen Provinz beheimatet sind und auf Fachkräfte in der Region bauen, korrespondieren dürfte. Überdies möchten sie innovative Mobilitäsangebote nutzen, um nicht gänzlich vom (eigenen) Auto abhängig zu sein.
Erste Umnutzungsobjekte sind bereits ausgemacht
Mit ihren Wünschen finden die Jungen durchaus Gehör. In Riedlingen beispielsweise, am Südrad der Schwäbischen Alb, kommt ein ehemaliges Feuerwehrhaus für junges Wohnen in Betracht. Zur Auswahl stehen weiterhin ein ungenutztes Rathaus und ein Kindergarten, der noch in Betrieb ist. In Bleichheim in der Gemeinde Herbolzheim, cirka 30 Kilometer nördlich von Freiburg, bietet sich ein ehemaliger Pfarrhof zur Umnutzung an.
Welche Gebäude in die engere Wahl kommen und ob der Umbau finanziell stemmbar ist - schließlich spielt der Mietpreis auch eine Rolle, der 8 Euro pro Quadratmeter nicht überschreiten soll - zeigt die Studie, die nach dem Projektende erscheint. Die Ergebnisse dürfte auch für Wohnungsunternehmen mit Liegenschaften im ländlichen Raum von Interesse sein. Eine Anregung besticht bereits jetzt: Wohnen im Kontext mit anderen Nutzungen denken. Dann könnte Wohnen auf dem Land nicht nur für junge Leute attraktiv sein.
Weitere Infos Studiengesellschaft für Projekte zur Erneuerung der Strukturen (SPES e.V.)
IVV-Serie "Wohnen der Zukunft weitergedacht":
„Nachhaltigkeitsansätze greifen bislang zu kurz“ (aus IVV 01-02/21)
Bezahlbares, altersgerechtes Wohnen in Kulmbach (aus IVV 03/21)
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Dagmar Hotze
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