Potenzial für 20.000 Wohnungen in Metropolen
Fertigstellung voraussichtlich Ende 2021“ steht zweieinhalb Jahre später immer noch auf dem Schild, das vor dem „Steglitzer Kreisel“ in Berlin hängt. Der ehemalige Büroturm ist so etwas wie ein Synonym für geplatzte Immobilienpläne. 120 Meter hoch, sollten auf 30 Etagen mehr als 300 Wohneinheiten mitten in der wachsenden Hauptstadt entstehen. So war der Plan. Stattdessen gab es Ärger mit der Bausubstanz und Planänderungen. Das Projekt zeigt, dass die Umwandlung in Wohnraum nicht unbedingt einfach ist. Dennoch: Immobilienexperten sind überzeugt, dass in alten Bürolandschaften durchaus Potenzial für den Wohnungsmarkt steckt.
Der in vielen Großstädten herrschende Mangel an verfügbaren Mietwohnungen könnte zumindest teilweise durch die Umnutzung von Bürogebäuden kompensiert werden, heißt es als Ergebnis einer Studie von JLL. Demnach bieten leerstehende Büroflächen in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, München und Stuttgart Potenzial für fast 20.000 Wohnungen, die 2025 zur Verfügung stehen könnten.
Dem Gesamtbedarf an zusätzlichen Wohneinheiten von jährlich rund 58.800 Wohneinheiten in den genannten Städten steht ein erwartetes durchschnittliches Fertigstellungsniveau von rund 42.200 Wohnungen pro Jahr gegenüber. „2022 gab es eine sehr hohe Nettozuwanderung nach Deutschland. Außerdem haben viele Wohnungssuchende ihren Kaufwunsch aufgrund der gestiegenen Kreditzinsen auf Eis gelegt. Das hat die Nachfrage nach Mietwohnungen zusätzlich angeheizt“, erläutert Helge Scheunemann, Head of Research JLL Germany.
Besonders groß ist die Lücke zwischen geplanten Fertigstellungen und dem Wohnungsbedarf in Berlin. Dort fehlen bis 2025 jedes Jahr 6.500 Einheiten. In Frankfurt müssten zusätzlich 3.500 Wohnungen geschaffen werden, in München 3.300. Als einzige Metropole weist Düsseldorf ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Angebots- und Nachfrageentwicklung auf. „Die Zahlen verdeutlichen, dass Konversionen von Büros nur ein Baustein sein können, um die städtische Wohnungsknappheit zu lindern“, so Scheunemann.
Bisher spielen Umnutzungen von Büros zu Wohnungen mit Ausnahme einzelner Projekte kaum eine Rolle. Nur in Frankfurt haben Flächenkonversionen traditionell eine größere Bedeutung. So hat sich in den vergangenen 15 Jahren die Zahl der Umwandlungen mehr als verdoppelt. Im Fünfjahresschnitt liegt der Anteil der fertiggestellten Wohneinheiten aus Konversionsprojekten mit gewerblichen Nutzungen bei rund 33 Prozent. „In Frankfurt gibt es im Vergleich zu den anderen Metropolen relativ viele Flächen in Bürotürmen, die sich aufgrund der hohen Ausnutzung der Grundfläche besonders für das Umwandeln in Wohnraum eignen, da sie einen natürlichen Lichteinfall bieten“, sagt Scheunemann.
Weitere Aspekte, die bei einer Umnutzung von Bürogebäuden berücksichtigt werden müssen, sind technische Kriterien wie Deckenhöhen und Versorgungseinrichtungen sowie insbesondere die Lage. So sind die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, an Schulen, Kindergärten und Freizeiteinrichtungen, Einkaufsmöglichkeiten sowie die Nähe zu Grün- und Erholungsflächen wichtige Merkmale der Wohnlagequalität. „Je besser die Lage und die Qualität des Gebäudes, desto höhere Mieteinnahmen können in der Wirtschaftlichkeitsberechnung angesetzt werden und am Ende den Ausschlag geben, ob sich eine Konversion überhaupt lohnen würde“, sagt Scheunemann.
Umbaukosten um annähernd die Hälfte günstiger als der Neubau
Neben den potenziellen Einnahmen spielen die mit der Umnutzung verbundenen Kosten eine wesentliche Rolle bei der Entscheidungsfindung pro oder contra Konversion. JLL-Berechnungen gehen davon aus, dass die durchschnittlichen Umbaukosten für die Umnutzung von Büroflächen zu Wohnraum in den sieben A-Städten zwischen 1.700 und 2.200 Euro pro Quadratmeter betragen und damit im Durchschnitt um fast 50 Prozent niedriger ausfallen als für einen Neubau.
Allerdings können die Kosten je nach Gebäude und Umfang der Umbauarbeiten erheblich variieren. „In einigen Fällen können die Kosten höher sein als bei einem Neubau. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Gebäude vor der Umwandlung vollständig abgerissen werden muss und selbst die Gebäudehülle für die Umwidmung nicht nutzbar ist. Daher ist es wichtig, im Vorfeld eine sorgfältige Kosten-Nutzen-Analyse durchzuführen, um sicherzustellen, dass die Umnutzung bestehender Bestandteile wirtschaftlich sinnvoll ist“, erklärt Scheunemann.
Kommunen sollten Konversionen finanziell unterstützen
Es sollten jedoch nicht nur die rein ökonomischen Kosten betrachtet werden, sondern auch die umweltrelevanten Kostenfaktoren, vor allem der CO2-Ausstoß. So liegen die CO2-Emissionen bei Sanierungen deutlich unter den Werten für Neubauten. Ein Aspekt, der bei genehmigungsrechtlichen Fragen vorteilhaft sein könne. Schließlich würden emissionsärmere Bestandssanierungen Kommunen dabei helfen, ihre Klimaziele zu erreichen. Zudem stellen laut Scheunemann veraltete und leerstehende Gebäude negative Standortfaktoren dar, sie schreckten Investoren ab und mindern die touristische Attraktivität. „Aus Sicht der Kommunen ist es daher sinnvoll, großflächige Konversionsprojekte in die städtebauliche Planung zu integrieren und zu fördern. Denn die erzielbaren Mieterträge werden die Konversionskosten nur selten decken können.“
Arge für zeitgemäßes Bauen sieht Hindernisse und Vorteile
Dass in Deutschland dennoch das Potenzial enorm ist, sieht auch die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. aus Kiel. Die Experten schätzen, dass langfristig 40 Prozent der heutigen Büroflächen umgenutzt werden können. Geschäftsführer Dietmar Wallberg geht davon aus, dass so zwei Millionen Wohnungen à 70 Quadratmeter geschaffen werden können. Verteilt über 20 Jahre wären dies 100.000 Wohnungen pro Jahr.
Dennoch kommt das Geschäft in Deutschland nur schwer in Gang. Woran liegt das? Mit den baulichen Problemen fängt es an. Bürogebäude werden meist nicht dafür geplant, eines Tages anders genutzt zu werden. Häufig sind sie so breit, dass in ihrer Mitte fensterlose Räume entstehen. Außerdem müssen wegen automatisierter Lüftungsanlagen neue Fenster eingebaut werden. Balkone sind an glatten Bürofassaden schwer anzubringen. Die Wasserversorgung ist meistens unterdimensioniert, und der Schallschutz ist nicht optimal.
Hinzu kommen bürokratische Hürden, die das Geschäft erschweren. Wenn es um die Vergrößerung von Fenstern geht oder um Geschossdurchbrüche, verweigern untere Baubehörden häufig ihre Zustimmung. Dies alles treibt die Kosten hoch.
Wallberg hält diesen Hindernissen eigene Erfahrungen entgegen. Er hat abgeschlossene Projekte untersucht und kommt für den Umbau auf einen durchschnittlichen Preis von 1.300 Euro pro Quadratmeter. Bei Abriss und Neubau kalkuliert er mit rund 3.600 Euro pro Quadratmeter.
Weiterer Pluspunkt aus Sicht der Arge: Die neuen Wohnungen stehen genau da zur Verfügung, wo Grundstücke kaum noch zu finden sind, in zentraler Lage. Er kritisiert, dass sich viele Lokalpolitiker wegen höherer Gewerbesteuereinnahmen aus Büroimmobilien gegen Umwandlungen stellen. Schließlich flössen die Steuereinnahmen nur, wenn die Büros vermietet sind.
Aktuelle Beispiele
Iber Immobilien Frankfurt stellt in Kürze Luxus-Wohnungen im Projekt 180 fertig, einem Areal, auf dem bis vor Kurzem Bürogebäude standen. Es ist eines der größten Projekte zur Umwandlung von Büros in Wohnungen in Frankfurt. Noch in diesem Jahr entstehen insgesamt 222 Wohnungen – darunter viele kleine Einheiten, aber auch einige mit großer Dachterrasse und einmaligem Blick vom Sachsenhäuser Berg auf Skyline, Altstadt und Henninger-Turm. Außerdem sollen kleine Gewerbeeinheiten und eine Kita entstehen.
Ein anderes Projekt wurde vor Kurzem fertiggestellt: An der Herriotstraße im Lyoner Quartier, der ehemaligen Bürostadt Niederrad, wurde das unter Denkmalschutz stehende ehemalige Dokumentationszentrum der Max-Planck-Gesellschaft umgebaut. 42 Zwei- und Drei-Zimmer-Wohnungen befinden sich jetzt in dem vom Frankfurter Büro ABB Architekten in den Sechzigerjahren entworfenen Gebäude mit sieben Geschossen. Zu mieten sind sie ab einem Preis von etwa 15,50 Euro je Quadratmetern.
Aus Büros werden Sozialwohnungen für Wohnungslose
Zwei Beispiele aus Hannover: Das Immobilienunternehmen Gundlach Bau und Immobilien hat aus dem Bürogebäude der evangelischen Jugend das „Haus Miteinander“ in Hannover-Linden umgebaut. Der umfassend nachhaltig geplante Umbau hat Platz für insgesamt 21 preiswerte Sozialwohnungen für ehemals Wohnungslose und vier große Wohnungen für WGs mit jeweils drei bis vier Zimmern.
Kooperationspartner für dieses soziale Wohnprojekt ist die Soziale Wohnraumhilfe (SWH) . Bereits seit 1992 arbeitet Gundlach in vielfältigen Wohn-Kooperationen mit der Sozialen Wohnraumhilfe gGmbH (SWH) des Diakonischen Werks des Stadtkirchenverbandes. Das Projekt „Miteinander“ setzt diese engagierte Partnerschaft fort. Mit Fertigstellung des Umbaus verwaltet die SWH für 35 Jahre als Generalmieter die 21 Wohnungen am Steinbruch 10-12. Für 5,60 Euro pro Quadratmeter werden die geförderten Wohnungen seit September 2021 vergeben. Zusätzlich stehen vier Wohnungen mit insgesamt 15 Zimmern für Wohngemeinschaften, beispielsweise für Studierende, zur Verfügung. Diese haben jeweils drei oder vier Zimmer jeweils mit 15 bis 20 Quadratmetern und pro Zimmer ein eigenes Bad. In der Küche und einem Gemeinschaftsraum findet WG-Leben statt.
Die 21 geförderten Wohnungen im „Haus Miteinander“ entstanden unter hohem Aufwand in einem ehemaligen Bürogebäude. Insgesamt sind hier 770 Quadratmeter Wohnfläche entstanden sowie barrierefreie und rollstuhlgerechte Mietwohnungen. Besonders herausfordernd waren die statischen Schwierigkeiten, die aufgrund der Stahlsteindecke bestanden. Darüber hinaus fanden umfassende Brandschutz-ertüchtigungen statt. Das Wärmeverbund-system der Außenwände wurde mit einer Rillenoptik gestaltet. Ebenfalls wurde im Zuge des Sanierungsprojektes der gesamte Dachstuhl erneuert.
„Wir brauchen baurechtliche Erleichterungen“
Gundlach-Geschäftsführer, Dr. Frank Eretge, fasst seine Erfahrungen mit Umwandlungen zusammen: „Die Umnutzung bestehender Gebäude für neue Verwendungen ist auch unter dem Aspekt der Ressourcenschonung ein wichtiges Zukunftsfeld. In Hannover-Linden entstand neuer Wohnraum aus nicht mehr benötigten Büros.
Allerdings bedarf es dabei künftig deutlicherebaurechtliche Erleichterungen, zum Beispiel durch eine eigene Umbauordnung. Dann kann es besser gelingen, mehr attraktiven Wohnraum zu schaffen, der wirtschaftlich umsetzbar ist.“
GESOBAU baut eigene Verwaltungs-zentralen zu Wohnungen um
Bereits im Jahr 2015 begann das landeseigene Berliner Wohnungsunternehmen GESOBAU mit der Umnutzung des firmeneigenen Geschäftssitzes in Pankow. Das Gebäude, errichtet um 1900, diente der GESOBAU in den 1990er-Jahren als Verwaltungszentrale. In der Streustraße 117-120 entstanden im Zuge der Umwandlungauf einer Fläche von rund 3.340 Quadratmetern insgesamt 45 Wohnungen, inklusive Dachgeschossausbau. Auf Anfrage der IVV hieß es aus der Presseabteilung der GESOBAU: „Unsere Erfahrungen mit der Umwandlung von Gewerbe in Wohnen sind sehr gut, wir haben dort dringend benötigten, bezahlbaren und nachgefragten Wohnraum geschaffen.“
Die Wohnungen sind barrierearm und im Standard der EneV 2009 errichtet. Sie sind mehrheitlich für Menschen mit körperlichen Einschränkungen komfortabel nutzbar.
Die GESOBAU verfüge über vergleichsweise wenige großvolumige Gewerbeeinheiten, die sich für eine Umwandlung eignen. Ein besonderes Projekt sei daher die aktuelle Umwandlung der ehemaligen Unternehmenszentrale am Wilhelmsruher Damm im Märkischen Viertel. Bis Herbst 2023 entstünden durch Umnutzung und Instandsetzung aus dem ehemaligen Hauptsitz der GESOBAU AG ein neues Wohn- und Geschäftsgebäude mit insgesamt 66 neuen und sechs Bestandswohnungen. 53 der neuen Ein- bis Zwei-Zimmer-Wohnungen werden zudem barrierefrei konzipiert, sind mit bodengleichen Duschen ausgestattet und schwellenfrei gestaltet. Diese sollen bevorzugt an Senioren vergeben werden.
Christina Hövener-Hetz
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