IVV-Serie: Wohnen der Zukunft weitergedacht

Konzepte gegen die Landflucht dringend gesucht

Während Großstädte weiter wachsen, ist der Bevölkerungsschwund auf dem flachen Land teilweise dramatisch. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Mietwohnimmobilienmärkte. Soll der Leerstand in der Provinz nicht noch größer werden, müssen Wohnungsunternehmen in ländlichen Regionen aktiv um Zuzügler werben.

Für das Eigenheim ziehen Stadtmenschen gern aufs Land. Anders ist es bei Mietern. Foto: Adobestock/Frank
Für das Eigenheim ziehen Stadtmenschen gern aufs Land. Anders ist es bei Mietern. Foto: Adobestock/Frank

Nach der kürzlich veröffentlichten Raumordnungsprognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)[1] droht die Kluft zwischen Stadt und Land in den nächsten zwanzig Jahren noch größer zu werden: Danach werden Metropolregionen wie München, Leizig, Hamburg oder Berlin im Jahr 2040 jung, bunt und vielfältig sein. Für rund 100 peripher gelegene Kreise (55 davon in Ostdeutschland) sieht die Zukunft dagegen wenig rosig aus. Arm, alt, abgehängt – so lässt sich das Szenario auf den Punkt bringen, das die Forschenden für Landstriche in Mecklenburg-Vorpommern, Ostsachsen oder Nordbayern vorausberechnen. Neu sei diese Entwicklung indes nicht, betonen sie. Die regionalen Trends der Vergangenheit setzten sich zukünftig lediglich fort.

Mietwohnungsmärkte driften auseinander

Wohnungsunternehmen spüren das Auseinanderdriften der Mietwohnungsmärkte längst. Beispiel Sachsen-Anhalt: Während die Leerstandsquote in den Großstädten Magdeburg und Halle bei rund sechs Prozent liegt, ist sie im ländlichen Raum mit etwa 13 Prozent mehr als doppelt so hoch[2]. In Gegenden von Rheinland-Pfalz ist die Situation ähnlich: In Mainz ist kaum etwas frei (0,8 Prozent), in Primasens steht jede elfte Wohnung leer (9,1 Prozent)[3]. Die Liste der regionalen Ungleichheiten ließe sich fortsetzen. Und eine Trendwende ist trotz steigender Mieten in Städten und moderater Kosten in der Provinz von mancherorts unter fünf Euro kalt nicht in Sicht. Günstige Mieten allein sind demnach kein Argument, mit dem sich Zuzügler in die Provinz locken lassen.

Hausbau boomt in der Provinz

Ganz anders Häuslebauer, die sich den Traum vom Eigenheim vorzugsweise dort erfüllen, wo die Baulandpreise (noch) günstig sind. Wobei das traute Neubauheim durchaus weiter ab vom Schuss liegen darf, wenn die Parameter stimmen, wie eine gute ÖPNV-Anbindung und schnelles Internet für Homeoffice. Fast 106.000 Ein- und Zweifamilienhäuser in Fertigbauweise wurden 2020 genehmigt bzw. realisiert, die meisten davon in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen[4]. Auch im Landkreis Stendal im nördlichen Sachsen-Anhalt, der laut Raumordnungsprognose zu den stark schrumpfenden Regionen gehört, hat man gut mit Anfragen potenzieller Bauherren zu tun. In der Stadt Stendal, die mit dem Zug nur rund 40 Minuten vom Berliner Hauptbahnhof entfernt liegt, ist der Run auf Baugrundstücke seit Jahren so groß, dass Bauland mittlerweile knapp ist. Zugleich stehen in der Region fast 600.000 Quadratmeter Wohnfläche in überalterten Gebäuden leer[5].. Zwar gelingt die eine oder andere Vermarktung über das Onlineportal "Luxus der Leere". Davon bleibt der Mietwohnungsmarkt jedoch unberührt. Wie also können Wohnungsunternehmen das Interesse für ihre Angebote im ländlichen Raum wecken?

„Summer of Pioneers“ in Wittenberge und andere Initiativen

Beispielgebend ist die Initiative von Wittenberge in der brandenburgischen Prignitz, die 2019 den "Summer of Pioneers"[6] veranstaltete. Ein Jahr lang waren 20 Menschen aus der Digitalwirtschaft eingeladen, in der 17.000 Einwohner zählenden, einstigen Industriestadt (die US-amerikanische Nähmaschinenfabrik Singer hatte hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Zweigwerk) auszuprobieren, wie es sich dort wohnt, lebt und arbeitet. Dazu waren sie in leerstehenden Kommunalwohnungen einquartiert, die dafür möbliert wurden. Zudem richtetet die CoworkLand Genossenschaft einen Coworking-Space ein, der immer noch existiert. Fazit: 15 Teilnehmende sind geblieben oder kommen regelmäßig, die Wittenberge zuvor nicht kannten.

In Görlitz ermöglichte ein wissenschaftlich begleitetes Forschungsprojekt das Wohnen und Arbeiten auf Probe, wobei sich herausstellte, dass das Wohnungsangebot nicht immer den Wünschen und Vorstellungen von Zuzugswilligen entspricht[7]. In die Offensive geht die Wohnungsgenossenschaft Dessau und schafft mit neun demnächst neu entstehenden Stadthäusern modernen Wohnraum für eine Mieterklientel, die in der Bauhausstadt, wo überalterte Bestandsbauten den Wohnungsmarkt prägen, bisher vergeblich nach entsprechenden Angeboten sucht[8].

Mehr Kommunikation und bessere Koordination

Demnach ist die Provinz nicht nur für Häuslebauer attraktiv, sondern spricht auch Mietinteressierte an, wenn das Gesamtpaket aus Wohnen, Leben und Arbeiten stimmt. Aufschlussreich dazu ist die GdW-Studie "Regionalen Ausgleich stärken – die Wohnungswirtschaft als Gestalter von Heimat"[9], die untersuchte, welche Rahmenbedingungen zu schaffen oder zu verbessern sind, damit Wohnungsunternehmen mit dazu beitragen können, eine Balance zwischen Stadt und Land herzustellen. Neben zielgerichteten Förderinstrumenten und Finanzierungsmitteln sehen die Verfasser die Akteursvernetzung vor Ort, eine regional koordinierte Wohnbaulandentwicklung und die Definition eines siedlungspolitischen Leitbildes als zentral dafür an. Genau dieser Dreiklang unterstützte die zuvor erwähnten Maßnahmen. Gelingt es außerdem, den verengten Fokus auf die wohnungspolitische Situation in Berlin und Co. um die Möglichkeitsräume in peripheren Regionen zu erweitern und zusammenhängende Konzepte für beide Lebenswelten zu entwickeln, sollte der Mietwohnungsmarkt in der Provinz in Schwung kommen.

Literatur:
[1] www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/analysen-kompakt/2021/ak-04-2021-dl.pdf?__blob=publicationFile&v=2
[2] www.vdwvdwg.de/presse/presseerklaerungen/presseerklaerungen/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=6460&cHash=8120bd1f38fd65879fb34ec542418211
[3] https://isb.rlp.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/ISB_Wohnungsmarktbeobachtung-2020_KLICK.pdf
[4] www.fertigbau.de/news/1504/baugenehmigungen-2020-fertighaeuser-steigern-ihren-marktanteil-erneut-%E2%80%93-auf-jetzt-22-2-prozent.html
[5] www.landkreis-stendal.de/de/datei/anzeigen/id/804502,1037/gesamtpraesentation_regional_monitor.pdf
[6] www.wittenberge-pioneers.de/
[7] http://stadt-auf-probe.ioer.eu/
[8] http://verwaltung.dessau-rosslau.de/fileadmin/Verwaltungsportal_Dessau-Rosslau/Stadtentwicklung_Umwelt/Wohnen/D-R_Wohnen_Broschuere_2015.pdf
[9] www.gdw.de/media/2020/12/endbericht_quaestio_regionalen-ausgleich-staerken-die-wohnungswirtschaft-als-gestalter-von-heimat_2020.pdf

weiterlesen:
IVV-Serie "Wohnen der Zukunft weitergedacht, Teil 2: Junges Wohnen im Land der Häuslebauer


 

Dagmar Hotze

Dagmar Hotze
Fachautorin
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