Abwarten ist nichts für Udo Petzoldt. Als die meisten in der Wohnungswirtschaft noch dachten, dass das mit dem Internet wieder vorbeigeht, gründete er mit dem Berliner PropTech-Unternehmen Zuhause Plattform GmbH die Heizkosten-Plattform und stellte damit die Weichen für die digitale Zukunft der Baugenossenschaft. Statt auf kostspielige Messdienstleister angewiesen zu sein, lesen die Kulmbacher die Heizkosten ihrer 1.300 Wohnungen bis auf wenige Objekte künftig selbst ab. Das spart Zeit, Geld und sichert ihnen den uneingeschränkten Zugriff auf ihre Verbrauchsdaten. Übergreifende digitale Kommunikationsprozesse, die Mieterinnen und Mietern einen modernen Service bieten, haben sie ohnehin längst.
Was Petzoldt genauso beschäftigt wie die Digitalisierung ist die Frage nach altersgerechtem Wohnraum, den sich auch Senioren mit geringer Rente leisten können. Hier sieht er sich und die gesamte Branche in der Situation, sozialverträgliche Lösungen finden zu müssen. Der Schuldenatlas 2020 zeigt, dass die Zeit dafür drängt: Seit 2013 hat sich die Zahl der überschuldeten Personen über 70 Jahre auf fast eine halbe Million mehr als vervierfacht. In der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen stieg der Anteil innerhalb des vergangenen Jahres um 13 Prozent auf rund 725.000 Personen. Ein Grund für die Zunahme der Altersüberschuldung sind steigende Mietkosten, die aktuell etwa 26 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens ausmachen. Bei einer Altersrente von derzeit durchschnittlich 1.400 Euro pro Monat – wobei die von Frauen nur halb so hoch ist – ist das Budget schnell ausgeschöpft, gerade in teuren Großstädten. Mit welchen Maßnahmen will eine Baugenossenschaft hier gegensteuern, damit Wohnen für Ältere bezahlbar bleibt?
Herr Petzoldt, mit Ihrer digitalen Heizkosten-Plattform haben Sie im vergangenen Jahr bereits für Aufsehen gesorgt. Aktuell treibt Sie bezahlbares Wohnen um, vor allem für ältere Mieterinnen und Mieter mit schmalem Geldbeutel. Warum gerade für diese Zielgruppe? In einigen Monaten wählen wir einen neuen Bundestag. Ambitionierte Politiker verkündigen bereits ihre Ziele: Kampf gegen Corona, Klimawandel, Energiewende, Digitalisierung und vieles mehr. Ich persönlich gehe davon aus, dass wir in Kürze auch von Firmeninsolvenzen und Arbeitslosigkeit hören und lesen werden. Alle Themen sind unbestritten wichtig. Vergessen wird aber aus meiner Sicht das Megathema Demografie. Wir sind eines der ältesten Länder der Welt, was die Bevölkerung angeht. Und doch tun unsere Politiker so, als bliebe genug Zeit, bei Gelegenheit einmal über diese Situation zu reden. Allerdings nur, wenn nichts Wichtigeres dazwischenkommt. Aufgrund der Corona-Pandemie ist der demografische Wandel derzeit in der Tat kein Thema. Noch weniger ist es die Rentenlücke. Viele ältere Bürgerinnen und Bürger meinen, mit dem Erreichen der lang ersehnten Rente seien alle Probleme gelöst. Ein nach dem Zweiten Weltkrieg etabliertes umlagefinanziertes System, das in den 1950er- und 1960er- Jahren lediglich ein paar wenige Rentner versorgen musste, wird jedoch spätestens nach dem vollständigen Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge, der sogenannten Babyboomer, kollabieren. Spätestens dann ist die Rente nicht mehr sicher! Und das wird gewaltige Auswirkungen auf das Wohnen haben. Wenn bereits jetzt viele ältere Menschen Probleme bei der Finanzierung ihres Wohnraums haben, dürfte dies künftig nicht leichter werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Ansprüche mit fortschreitendem Alter zwangsläufig größer werden. Schwellenlosigkeit, breitere Türen, angepasste Bäder und Küchen, Technik für viele Bereiche in der Wohnung bis hin zu Telemedizin oder sogar gewünschter Überwachung werden selbstverständlich werden müssen. Da diese Zielgruppe in den nächsten Jahren zahlenmäßig rasant wächst, braucht es zielgerichteten Wohnungsbau. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass auf diese Zielgruppe orientierter Wohnungsbau die Lösung vieler Probleme ist. Denn mit der Annahme altersgerechter Wohnungen durch die angesprochene Personengruppe werden Wohnungen frei, die für Jüngere leichter erreichbar sind. Auch viele Häuser, deren Pflege für ältere Eigentümer immer beschwerlicher wird, werden bei einer derartigen Vorgehensweise auf den Markt kommen. In welcher Rolle sehen Sie Ihre Genossenschaft dabei? Wir sind in die Immobilienvermittlung eingetreten. Wir versuchen Ältere beim Verlassen ihres jahrzehntelang bewohnten Eigenheims so mitzunehmen, dass sie mit Freude in eine altersgerechte „High-tech-Wohnung“ umziehen und das verkaufte Haus wieder durch eine Familie belebt wird. Eine Win-win-Situation für alle. Momentan prüfen wir die Einbringung derartiger Objekte in die Baugenossenschaft, um mit unserem Mietangebot zukünftig noch breitflächiger aufgestellt zu sein. Wie sehen denn Ihre Pläne für günstiges Seniorenwohnen aus? Wir bauen viel im geförderten Wohnungsbau und werden dabei professionell und motiviert von der BayernLabo, der Förderbank in Bayern, unterstützt. Durch die Förderung der Wohnungen, die sich ausstattungsmäßig übrigens nicht von frei finanzierten unterscheiden, ist es möglich, einen qualitativ hochwertigen Neubau ab fünf Euro den Quadratmeter anzubieten. Im Gegensatz zu vielen Großstädten profitieren wir allerdings davon, dass genug Grundstücke zur Verfügung stehen. Da tun wir uns leichter als die Kollegen in München oder andernorts. Vielleicht sind aber auch das Lösungsansätze: Je besser die verkehrstechnische Anbindung des ländlichen Raumes ist, umso leichter fällt es, den Lebensmittelpunkt aus der Stadt heraus zu verlagern. Je besser die digitale Infrastruktur der Provinz ist, desto schneller ist auch der Arbeitsplatz ins Homeoffice verlegt. Das macht es älteren Menschen vielleicht leichter, ein paar Kilometer „nach draußen“ zu ziehen. Es muss ja nicht gleich von München nach Kulmbach sein. Wobei ich zugeben muss, dass wir „Heimkehrer“ haben, die im Rentenalter wieder die Nähe zur Heimat suchen. Angeblich verhindern hohe Baukosten preiswerte Wohnungen? Was ist Ihr Geheimrezept? Woher kommen manchmal hohe Kosten? Bei uns behindert häufig die Kommunalverwaltung. In einem Fall werden wir seit fünf Jahren mit Altlastenproblemen drangsaliert. Mietausfälle und gestiegene Kosten gehen mittlerweile in die Millionen. Das sind Millionen, die uns beim Bau fehlen. In einem weiteren Fall wird auf eine Stellplatzquote von 1,38 in der (uralten) städtischen Satzung verwiesen. Viele dieser Stellplätze stehen dann leer und versiegeln nur die Landschaft. Als städtisches Druckpotenzial sind sie aber natürlich herrlich und verteuern unsinnig. Gegen derartige „Unterstützung“ gibt es kein Geheimrezept. Der Amtsschimmel ist oft ein sturer Esel. Wir lassen uns aber nicht entmutigen und kämpfen weiter. Gegen hohe Baukosten haben wir beispielsweise eine eigene, äußerst starke Handwerker-Truppe aufgestellt. Außerdem versuchen wir, so viel es geht bei Zulieferern direkt einzukaufen. Ellenlange Zwischenhändlerketten verteuern die Produkte häufig noch unsinnig. Eine knallharte Kostenkontrolle ist selbstverständlich ein weiterer Baustein unseres Vorgehens. Allerdings darf das nicht zulasten unserer Partnerunternehmen gehen. Auf die achten wir wie auf eigene Mitarbeiter. Da herrscht viel Vertrauen und Miteinander. Fehlen bei einer beauftragten Firma einmal Mitarbeiter, springen wir mit eigenen Leuten ein. Dieser Stil hilft uns auch in Zeiten, wo andere Firmen lamentieren, dass es keine Handwerker gebe. Nun sind preisgünstige Seniorenwohnungen im gesamten Bundesgebiet gefragt, nicht nur in Oberfranken. Streben Sie Kooperationen mit Wohnungsgenossenschaften in anderen Regionen oder sonstigen Akteuren aus der Wohnungswirtschaft an, um Ihr Modell auszurollen? Ich habe viele Jahre in der Bankenbranche gearbeitet. Dort wurde permanent von Kooperationen und Fusionen geredet. Allerdings habe ich noch nie erlebt, dass dies zur Revolution bei einem Geschäftsmodell geführt hat. Oder dass Kunden davon profitiert hätten. Für die Wohnungswirtschaft würde ich mir tatsächliche Kooperationen wünschen. Ich will ein Beispiel nennen: Jede Wohnungsgesellschaft hat im Allgemeinen einen betriebswirtschaftlichen Kopf, manche auch zwei. Die Möglichkeit, diese beim Eintritt in den Ruhestand zu ersetzen, wird immer schwieriger, einfach aufgrund der demografischen Entwicklung. Würden nun drei oder vier Wohnungsgesellschaften ihre betriebswirtschaftlichen Kräfte „poolen“, entstünden schlagkräftige Teams, die neben dem internen Austausch von Wissen und Fähigkeiten auch Personalengpässe auffangen könnten. Noch ein Beispiel: Wie bereits erwähnt haben wir eine starke Handwerker-Truppe für die Bereiche SHK, Maurer, Schreiner, Maler. Warum sollten die nicht beim Nachbar-Unternehmen Dienstleistungen erbringen? Hätte dieses Unternehmen beispielsweise eine starke Elektriker-Truppe, könnten wir uns austauschen. Letztendlich könnte es zu einer gemeinsamen Handwerker-Mannschaft kommen, die regional für mehrere Unternehmen im Einsatz ist. Vielleicht hat eine Gesellschaft ein eigenes Planungsteam oder man schafft sich ein gemeinsames. Eine Baugenossenschaft hat professionelle Immobilienmakler. Wozu sollte jede Gesellschaft ein eigenes Team beschäftigen? Und so gibt es noch zig weitere Beispiele. Sie meinen, das könnte funktionieren? Ich weiß, das klingt fantastisch und theoretisch. In wenigen Jahren wird uns aber nichts anderes übrig bleiben, wenn wir weiter hochwertige Leistungen erbringen wollen. Die demografische Entwicklung wird uns ihre Gesetzmäßigkeiten aufzwingen, ob wir wollen oder nicht. Ein „Das haben wir immer so gemacht“ wird uns da nicht weiterbringen. Corona wirkt eventuell noch als Brandbeschleuniger. Vor Jahren hatten wir benachbarten Unternehmen einen gemeinsamen Weg in die digitale Neuzeit vorgeschlagen. Leider klappte das nicht. Also haben wir uns allein auf den Weg gemacht. Inzwischen sind wir Miteigentümer der Heizkosten-Plattform und digital sehr modern aufgestellt. Deshalb war der erste Lockdown für uns kein Thema. Zumindest was Homeoffice und die Funktionsfähigkeit unserer Firma anging. Welche Schritte stehen als Nächstes auf Ihrer Agenda? Mit der Heizkosten-Plattform arbeiten wir gerade an einer größeren Kooperation und sind mit vielen Unternehmen unserer Größe im Gespräch. Die nun entbrannte Diskussion über die Aufteilung der Kosten für die „CO2-Steuer“ auf unsere Wohnungen und Mieter, macht die Hoheit über die Verbrauchsdaten und deren Nutzung für die Wohnungsunternehmen immer bedeutsamer. Für unseren Wohnungsbestand prüfen wir über die Neubauten hinaus einen flächendeckenden Einsatz der Zuhause-Plattform. Wir halten den Einzug der Digitalisierung in unsere Wohnungen für existenziell, nicht der Moderne wegen, sondern um unseren Mietern in Zukunft vielfältige Dienstleistungen anbieten zu können.
Zudem lassen wir die bereits erwähnte Erweiterung unseres Wohnungsportfolios mit Häusern, die wir von älteren Bürgern im Gegengeschäft für eine unserer Seniorenwohnungen erhalten, prüfen. Weit oben steht überdies die Kooperation mit Sozialdienstleistern, um begleitetes Wohnen in unseren Objekten professioneller und umfangreicher zu gestalten. Des Weiteren klären wir mit einem Mittelstandsunternehmen einen gemeinsamen Auftritt in einer Elektro-GmbH. Damit wollen wir uns einen besseren Zugang zum Einkauf verschaffen und gleichzeitig das Know-how bei planerischen Leistungen sichern. Dem Partnerunternehmen können wir ein nahezu grenzenloses Auftragsvolumen liefern. Spätestens wenn die Politik verstanden hat, dass Energieversorgung so dezentral wie nur möglich sein muss, schlägt die große Stunde für Photovoltaikanlagen, Mieterstrommodelle, Elektrotankstellen und vieles mehr. Die Arbeiten in Neubauten oder Sanierungsobjekten sind da noch gar nicht erwähnt. Insgeheim träumen wir von einer Immobilien-Plattform, wie sie der GdW vor Jahren angedacht hat. Bei veränderten Märkten könnte das ein wichtiges Instrument für uns Wohnungsunternehmen werden. Die Kompetenz hierfür haben wir über unsere Heizkosten-Plattform. Allerdings benötigen wir dazu Partnerunternehmen und unseren Verband. Da sind wir allein doch ein wenig zu klein. Herr Petzoldt, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Wohnen der Zukunft weitergedacht
Dagmar Hotze
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