Im Heizungskeller wartet viel Arbeit auf Wohnungsunternehmen, damit Bits und Bytes in Zukunft dabei helfen, Energie bedarfsgerecht zu nutzen und CO2 zu sparen. Die WBG Fürth arbeitet seit Januar 2023 mit dem System “Paul”, das Sensoren und automatisierte Regulierventile (genannt Aktoren) an der Trinkwasseranlage und am Heizungsnetz nutzt. Künstliche Intelligenz (KI) regelt optimal Temperatur und Volumenstrom und sorgt für einen ständigen hydraulichen Abgleich. Der Einbau der Geräte in die Heizungs- und Warmwasser-Zirkulationsstränge erfolgte zunächst in 450 Wohnungen. Nach der Installation ging das System gleich in Betrieb und analysiert seitdem Daten wie Wassertemperatur und Durchflussmenge in Echtzeit, die mittels KI optimiert werden.
Abbremsen der Heizkosten
Dadurch konnten nicht nur bis zu 40 Prozent Energie und CO2 gespart werden, auch die Legionellenbildung wurde reduziert. Für Rolf Perlhofer, Geschäftsführer der WBG Würth, übertrifft “Paul” bereits im ersten Monat die Erwartungen: “Im Wohnviertel Hardhöhe sparen die ersten Projekte 29 Prozent Energie. Ich gehe davon aus, dass wir alle 1.800 Wohneinheiten mit dem System ausstatten.“
Auch die Hamburger Baugenossenschaft freier Gewerkschafter (bgfg) setzt beim Abbremsen der Heizkosten auf die Intelligenz von “Paul”. Im ersten Schritt wird das Regelsystem in rund 1.000 der insgesamt 7.657 Wohnungen installiert, wo es - wie in Fürth - neben der optimalen Regulierung von Temperatur und Volumenstrom auch für einen ständigen hydraulischen Abgleich sorgt.
Kleiner Eingriff, große Wirkung
Überzeugt hat bgfg-Vorstand Peter Kaye die Lösung, weil sie nur minimal in die vorhandene Technik eingreift, der Einspareffekt aber spürbar sein soll. Unternehmenssprecherin Nicole Meßmer-Pohan beziffert die zu erwartende Energieeinsparung durch “Paul” mit mindestens 15 Prozent. Zudem sei die Lösung nahezu investitionsfrei, weil die Technik umlagefähig wäre. Überdies ließen sich die eingesparten Energiekosten - nach Abzug einer Servicegebühr für den Systemanbieter - zwischen Vermieter und Mietern aufteilen.
“Viele wollen aber auf eine Umlage verzichten, weil die Ersparnis so groß ist, dass sich die Installation sofort rechnet”, freut sich bgfg-Vorstand Peter Kaye.
In weiteren neun Wohnungsunternehmen, darunter die GWG Kreis Viersen und die Baugenossenschaft Mietervereinigung Mannheim, laufen Pilotprojekte oder man steht diesbezüglich in Verhandlungen. Die Daten aus den Liegenschaften laufen in einem Leitstand der Paul Tech AG zusammen und werden dort in Echtzeit überwacht. So lassen sich Abweichungen und mögliche Fehler früh erkennen.
Der Markt für Klimatechnologien boomt
Entwickelt wurde “Paul” von Fachleuten aus dem Heizungs- und Sanitärinstallationsbereich, nicht von IT-Experten oder Softwareentwicklern, wie manches Produkt eines PropTech-Unternehmens. Auslöser für die Gründung war die Legionellenbekämpfung und die Frage, wie sich diese durch die Kontrolle der Mindesttemperatur automatisieren lässt.
Als PropTech sieht Vorstand Maiko Dufner die 2017 gegründete Paul Tech AG, die zuvor unter Actaqua AG firmierte, auch nicht, sondern als Lösungsanbieter im Bereich Climate-Tech. Der Sektor für innovative Klimatechnologien boomt einer PwC-Analyse zufolge[1]: Zwischen dem 2. Halbjahr 2020 und dem 1. Halbjahr 2021 flossen weltweit 87,5 Milliarden US-Dollar in Climate-Tech-Startups.
Auch “Paul” ist im Rennen um die Gunst von Investoren, für dessen Wachstum sich das noch nicht börsennotierte Unternehmen mit Sitz in Mannheim kürzlich frisches Geld in Höhe von über 7,6 Millionen Euro besorgte. Um an Technologien gegen den Klimawandel zu forschen und neue Lösungen zu entwickeln, verfügen die Mannheimer über ein unternehmenseigenes Testlabor. Zentraler Bestandteil ist ein komplettes Trinkwassersystem für verschiedenste Testläufe, das die Experten für Vergleiche und Tests mit analogen Messinstrumenten nutzen.
Auch für Betreiber von Seniorenimmobilien interessant
Außer Wohnungsunternehmen ist noch eine Zielgruppe an “Paul” interessiert: Betreiber von Senioren- und Pflegeimmobilien, wie die Seniorenresidenz Lutherhof in Eisleben, die das System erst kurz vor dem Ende der diesjährigen Heizperiode einsetzte. Die bisher erhobenen Daten zeigen, dass das System bereits zehn Prozent Heizenergie einsparte. Darüber hinaus machte die Analyse einige Schwachstellen in der Anlage sichtbar, die nun behoben werden können. Danach lassen die Parameter darauf schließen, dass die Anlage noch effizienter läuft und bis zu 26 Prozent Energie eingespart werden kann.
[1] https://www.pwc.de/de/nachhaltigkeit/climate-tech-boomt.html