Von der Sonne verwöhnt
Der Betrieb erfordert allerdings technologische und energiewirtschaftliche Kompetenz auf höchstem Niveau.
Die Teilnehmer der von der IVV-Redaktion organisierten Objektbesichtigung wurden vor dem Zukunftshaus von leitenden Mitarbeitern der degewo empfangen. Martina Lindebaum, Projektleiterin in der degewo-eigenen Bauabteilung „Bau-Werk“, sowie Christian Ciaglia und Norman Nerlich vom Energietochterunternehmen „degewo NetzWerk“ führten die Fachbesucher in die Musterwohnung und die im Keller liegenden Technikräume.
Nach der anderthalbstündigen Führung brachte ein Bus die Besuchergruppe ins Verlagshaus der Huss Medien GmbH. Dort wurden die praktischen Eindrücke durch mehrere Vorträge vertieft.
Dekarbonisierung des Gebäudebetriebes
Für alle Projektbeteiligten dürfte das nahezu energieautarke Gebäude, das 100 Prozent der Wärme und rund 50 Prozent des Stroms selbst produzieren soll, eine „Herzensangelegenheit“ sein. So jedenfalls drückt es der Leiter des Fachbereichs „Regenerative Energietechnik“ an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) aus. Prof. Friedrich Sick und seine Mitarbeiter am Institut haben das energie- und haustechnische Gesamtkonzept erarbeitet. Das Ziel aller Berechnungen: die Dekarbonisierung des Gebäudebetriebes.
Sick berichtete, dass er normalerweise missionarisch auftreten müsse, um Bauherren von erneuerbarer Energietechnik zu überzeugen. Im Falle des Zukunftshauses sei es umgekehrt abgelaufen. Die degewo wollte einen maximalen Anteil an kostenloser regenerativer Energie.
Mehr als 60 Jahre lang war das achtgeschossige Gebäude mit 64 Wohnungen eines dieser unzähligen einfachen Berliner Mietshäuser. Errichtet wurde es in einer Zeit, in der es beim Bauen vor allem darum ging, den Menschen nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs ein Dach über dem Kopf zu geben. Die Kaltmieten waren günstig, das Wohnen bescheiden. Die Bäder beispielsweise boten eine Toilette, eine Badewanne, aber kein Waschbecken. Andererseits wies der schnörkellose Gebäudekörper eine wichtige Voraussetzung für einen geringen Wärmebedarf auf.
Aufgrund seiner kompakten Bauweise und der geringen Wohnungsgrößen ist das Verhältnis von Außenfläche zu Raumvolumen sehr günstig.
Die technologische Aufrüstung des altgedienten Mietshauses sieht so aus:
- Der Gebäudekörper wurde so stark gedämmt, dass der Niedrigenergiestandard erreicht wird.
- Das komplette Flachdach ist mit Hybridsolarmodulen belegt worden, die gleichzeitig Strom und Wärme erzeugen.
- An der nur durch wenige kleine Fenster unterbrochenen Südfassade wurden Photovoltaik-Paneele installiert.
- Auf einer Freifläche neben dem Gebäude wurde ein Erdspeicher für die Langzeitwärmespeicherung eingebaut.
- Vor dem Haus steht ein Container mit einem Batteriespeicher für solare Stromüberschüsse.
- In jeder Wohnung arbeitet eine dezentrale Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung.
- In die abgehängten Zimmerdecken ist eine Flächenheizung eingebaut (Kapillarrohrnetz).
Betrieb des Gebäudes allein durch Sonnenenergie
Die Heizleistung wird von zwei elektrischen Wärmepumpen erbracht. Einen Kessel, der ersatzweise mit Gas oder Öl befeuert wird, gibt es im Zukunftshaus nicht. Die elektrische Energie erhalten die Wärmepumpen aus den Solarmodulen. Betrachtet man nur den Strombedarf für den Gebäudebetrieb, also die Energie für Wärmepumpen, Lüftungsanlagen, Aufzüge und das Licht im Treppenhaus, so ist nach Angaben von Prof. Sick das Ziel des Plusenergiehauses erreicht. Darüber hinaus werden die Solarmodule auf Dach und Fassade kleinere Stromüberschüsse erzeugen, die als „Mieterstrom“ an die Bewohner verkauft werden sollen.
Allerdings decken die regenerativen Erzeugungskapazitäten nur den geringeren Teil des Strombedarfs der Wohnungsnutzer ab.
Die Wärmequellen der Wärmepumpen
Neben den Solarkollektoren funktioniert der Erdtank (E-Tank) als Wärmequelle für die Wärmepumpen. Im Sommerhalbjahr heben die solarthermischen Module das Temperaturniveau des Erdspeichers um einige Grad an. Im Winterhalbjahr dient dieser „Überschuss“ unter dem Rasen als Wärmequelle für die Wärmepumpen. Die Effizienz der Wärmepumpen wird den Berechnungen zufolge sehr hoch sein, weil die Temperaturdifferenz zwischen Erdspeicher und Flächenheizung in den Wohnungen relativ gering ist. Da mit den Zimmerdecken große Flächen beheizt werden, kann die Temperatur gering sein.
Mietpreisniveau zwischen herkömmlichem Sanierungsobjekt und Neubau
Im Juni sind die ersten Mieter in das „Zukunftshaus“ eingezogen. Sie profitieren von einer hohen Wärmebehaglichkeit und sehr geringen, langfristig stabilen Betriebskosten. Außerdem sind sie frei, sich für den Bezug von Mieterstrom zu entscheiden, der günstiger angeboten wird, als es der Grundversorger tut.
Für die Verantwortlichen der degewo scheint klar, dass das energietechnische Konzept des Zukunftshauses aufgrund seiner Komplexität keine Blaupause für andere Sanierungsobjekte darstellt. Man will von dem Projekt lernen und zumindest Teile der regenerativen Anlagen in anderen Gebäuden installieren.
Autor: Thomas Engelbrecht
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