Der Klimaschutz als Wachstumstreiber
Der guten Stimmung auf der diesjährigen Real PropTech-Konferenz nach zu urteilen, brachte die Corona-Krise den Erfolgskurs der PropTech-Branche nicht sonderlich ins Schlingern. Im Gegenteil. Die Geldströme sprudeln mehr denn je: Im ersten Halbjahr 2021 wurden rund 287 Millionen Euro in PropTechs investiert. Das ist mehr als im gesamten Jahr 2020 mit rund 284 Millionen Euro. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 lagen die Mittelzuflüsse bei etwas über 159 Millionen Euro, waren also nur etwa halb so groß. Zudem boomen Neugründungen: Stand September wurden in diesem Jahr bereits 55 neue PropTechs initiiert. Im Vorjahr waren es insgesamt 80. Wachstumstreiber sind insbesondere digitale Lösungsstrategien für ein proaktives Energie- und CO2-Management. Ein Thema, das der Wohnungswirtschaft unter den Nägeln brennt. Denn wie das Wohnen bis 2045 klimaneutral werden soll, ist völlig offen. Ohne Digitalisierung dürfte es nicht gehen. Schließlich sind valide Daten nötig, um zu wissen, wie viel CO2 ein Wohngebäude in die Luft bläst und welche Reduktionsmaßnahmen am effektivsten sind, um die Emissionen innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens bestenfalls auf Null oder wenigstens nahe Null zu drücken.
Wärmeerzeugern auf den Zahn fühlen
Transparenz in den Heizungskeller will das Start-up ENER-IQ bringen. Das 2018 gegründete Unternehmen mit Sitz in Norderstedt vor den Toren Hamburgs bietet eine Software-as-a-Service-Lösung, die den Betrieb von Wärmeerzeugern mittels Künstlicher Intelligenz (KI) optimiert. Über vorhandene Schnittstellen, oder bei älteren Heizungsanlagen extra Sensorik, erfasst die Anwendung Daten aus Heizungsanlagen in bis zu sekündlicher Auflösung. Auf der cloudbasierten Plattform werden die Daten aufbereitet und analysiert. Anschließend macht eine integrierte KI automatisch Verbesserungsvorschläge und alarmiert bei Ausfällen, Störungen oder Leckagen wahlweise den zuständigen Techniker oder Handwerker. „Unsere Kunden aus der Wohnungswirtschaft kämpfen mit dem Druck, Energie und CO2 sparen zu müssen, und mit ausfallenden Heizungsanlagen, die zu unzufriedenen Bewohnern führen“, berichtet Mitgründer und Geschäftsführer Sven Rausch. Hier setze die Lösung an, indem sie unterstütze, Energie zu sparen, Reparaturen zu vermeiden oder zu beschleunigen und die Lebensdauer der Anlagen zu verlängern. Zudem ermöglichten die zusätzlich zur Verfügung gestellten Kennzahlen datenbasierte Handlungsentscheidungen.
Zu den derzeit 20 Kunden, die das Start-up betreut, gehört die Joseph-Stiftung. Das kirchliche Wohnungsunternehmen setzt die Software seit rund zwei Jahren in einigen Liegenschaften probehalber ein, um den darin verbauten Wärmeerzeugern (Wärmepumpe, Gas- und Pelletheizung u. a.) auf den Zahn zu fühlen. Michaela Meyer, zuständige Bereichsleiterin für die Bestandsentwicklung, überzeugt besonders die Möglichkeit, perspektivisch alle Anlagen an einem Standort virtuell im Blick zu haben: „Das wäre ein echter Gewinn.“ Wie es mit dem Einsatz der KI sei, werde man sehen. Momentan befänden sich die Algorithmen in der Trainingsphase. Nützlich wäre überdies, ein CO2-Soll-Szenario für jedes Gebäude durchspielen zu können. So lasse sich sehen, welche Maßnahme wie viel CO2-Ersparnis bringe, um auf ein möglichst niedriges Niveau zu kommen.
Komplexe Energiesysteme einfach steuern
Auch das Berliner Start-up Green Fusion will die Heizungsanlagensteuerung durch Bits und Bytes verbessern, um Energie und CO2 zu sparen. Dazu entwickelten die Ingenieure eine Software, die die herstellerunabhängige Bedienung und Auswertung hybrider Energiesysteme durch offene und standardisierte Schnittstellen sicherstellt.
„Gerade für vernetzte Quartiere ist eine interoperable Lösung unerlässlich“, sagt Geschäftsführer Paul Hock.
Der studierte Wirtschaftsingenieur und sein Team kennen die Last mit proprietären Wärmeerzeugern durch die Mitarbeit an der energetischen Quartierssanierung der Wohnanlage Lichterfelde der Märkischen Scholle eG in 2018. Damals noch Studenten, zerbrachen sie sich die Köpfe, wie man die vielen verschiedenen Anlagen, die über 850 Wohnungen mit Wärme versorgen, zu einem intelligenten Energiesystem verbindet, sodass sie nicht gegeneinander, sondern aufeinander abgestimmt funktionieren. Eine Sisyphusarbeit, die im digitalen Zeitalter, wo fast alles per Plug-and-Play läuft, eigentlich unnötig sein sollte. Also wurde programmiert, was das Zeug hält.
Das Resultat ist ein schlauer Energiemanager, der unter anderem in einem energetisch sanierten 21-Parteien-Haus mit rund 2.400 Quadratmetern in Berlin-Pankow im Einsatz ist, wo er eine Erd- und eine Luftwärmepumpe sowie eine Geothermie- und eine PV-Anlage, die die alten Gaskessel ersetzen, vernetzt steuert. Nur ein Gaskessel dient als Back-up in Spitzenlastzeiten. Maximal 33 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr benötigt das Gebäude an grüner Energie. Vor der Sanierung war es ein ordentlicher Energieschlucker und ein Klimasünder obendrein.
Über ein Dashboard im Hausflur sehen die Bewohner, wie viel Energie sie erzeugen und verbrauchen. Bei einer Störung erkennen sie sofort, wo der Fehler liegt und können reagieren. Für Immobilieneigentümer sei die Lösung auch deshalb interessant, weil die Energie- und CO2-Daten exportiert werden könnten, um sie mit Werten in anderen Datenbanken zu vergleichen, etwa mit denen der gemeinnützigen Beratungsgesellschaft co2online, erläutert Hock. Dadurch wäre die Performance des eigenen Gebäudes besser einzuordnen.
Klimawirkung messbar machen
Viel Gehirnschmalz ist auch in die Softwarelösung des Start-ups Right Based On Science geflossen. Das aus Frankfurt stammende Jungunternehmen hat vor vier Jahren eine Klima-Metrik namens „X-Degree Compatibility“ (XDC) konzipiert und diese in Kooperation mit der sozial-ökologischen GLS Bank, dem auf komplexe Analysen spezialisierten Beratungsunternehmen D-fine und dem Wohnkonzern Vonovia auf Immobilien erweitert. Anhand der Gebäude- und Energiedaten einer Immobilie wird die konkrete Gradzahl ermittelt, die der zu erwartenden Erderwärmung entspricht, wenn alle Gebäude weltweit vergleichbar gebaut wären. „Damit machen wir die Klimawirkung jedes einzelnen Gebäudes fassbar und regen zum Handeln an“, sagt Mathematikerin Liv Hammann, die auf Umweltmodellierung spezialisiert ist und als Analystin im Team des PropTechs arbeitet, dem überdies Physiker, Juristen, Softwareentwickler und Wirtschaftswissenschaftler angehören.
Das Anliegen des Start-up ist es, wissenschaftliche Fakten zum Klimawandel und dessen Auswirkungen zu liefern, die die Basis für Unternehmensentscheidungen bilden, statt dass diese weiter im diffusen Klein-Klein verharren. Anfangs nur als spröde Excel-Tabelle verfügbar, wird es voraussichtlich ab November dieses Jahres eine benutzerfreundliche Webversion geben, in die die zur Berechnung nötigen Informationen wie Flächengröße, Gebäudetyp und Emissionswerte einzugeben sind. Anschließend können weitere Werte eingegeben werden, um den Effekt möglicher Sanierungsszenarien auf die besagte Gradzahl zu berechnen.
Die Vonovia hat ihren gesamten Gebäudebestand mithilfe der Methodik bereits ausgewertet und Erkenntnisse zur Klimawirksamkeit des Portfolios auf verschiedenen Betrachtungsebenen (Einzelgebäude, Quartiere, regionale Abgrenzung) gewonnen. Zudem werden Modernisierungsszenarien für einzelne Gebäude simuliert. Momentan arbeite man an der Weiterentwicklung der Software, so ein Sprecher, damit die Simulationen passgenauer auf den Bestand anwendbar wären.
Start-up-Programm lockt innovative Köpfe
Dass sich die Herausforderungen der Zeit, insbesondere die Bewältigung der Klimakrise, nur mit modernen Lösungen adäquat bewältigen lassen, weiß auch die Gewobag. 2019 modernisierte die Großvermieterin mittels neuer Technologien, modernster Smart Home-Anwendungen und einem ausbalancierten Energiekonzept 734 Wohnungen in ihrem Wohnpark Mariendorf und reduzierte so den CO2-Ausstoß ihres Quartiers um 3.000 Tonnen pro Jahr. Maßgeblich daran beteiligt war das Start-up Zuhause Plattform, das die Prozessvernetzung und -steuerung verantwortete. Um die Möglichkeiten der Digitalisierung noch besser zu nutzen und digitale Innovationen anzuschieben, gründete die landeseigene Wohnungsgesellschaft im Juni 2021 das Tochterunternehmen Gewobag ID, das sich um Innovation, Digitalisierung und Geschäftsfeldentwicklung kümmert. Eingebettet ist die Neugründung in das neue Innovations- und Start-up-Programm der Gewobag, das in diesem Jahr erstmals mit dem Wettbewerb zum Thema Energieeffizienz startet. Gesucht werden innovative Köpfe für Lösungen im Bereich Energiedatenmanagement. Den Gewinnern winken Preisgelder bis zu 20.000 Euro plus die Realisierung eines gemeinsamen Pilotprojektes. Zu den aussichtsreichsten Kandidaten gehört unter anderem das oben erwähnte Start-up Green Fusion.
Die Suche nach praktikablen Lösungen für ein effektives und zugleich transparentes Energie- und CO2-Management, damit Wohngebäude in Zukunft erwiesenermaßen klimafreundlich sind, hat in der Wohnungswirtschaft also begonnen. Die Zeit drängt, passende Antworten zu finden. Denn ob es bei dem Jahr 2045 bleibt, in dem Deutschland klimaneutral sein will, ist alles andere als sicher. Vielleicht wird der Zeitpunkt von der Politik vorverlegt. Die Findungsphase sollte demnach nicht mehr allzu lange dauern. Besser könnten die Geschäftsaussichten für Start-ups nicht sein.
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Dagmar Hotze
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