Die Branche braucht eine radikal andere Geschwindigkeit
Digitalisierung ist weder Selbstzweck noch Ziel. Sie ist vielmehr Mittel zum Zweck. Das gilt gerade für den Gebäudesektor. Denn speziell in diesem Bereich ist Digitalisierung der zentrale Schlüssel auf dem Weg zur Dekarbonisierung.
Davon gehen nicht nur Experten und Studien wie zum Beispiel die Bitkom-Studie „Klimaschutz und Energieeffizienz durch digitale Gebäudetechnologien“ aus. Das belegen auch verschiedene Projekte von großen und mittelständischen Unternehmen, PropTechs und Start-ups.
Der Handlungsbedarf ist groß
Wie groß der Handlungsbedarf in Bezug auf die Dekarbonisierung im Gebäudesektor ist, zeigt ein Blick auf die nüchternen Zahlen. Trotz einer Emissionsminderung von knapp sechs Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten im Jahr 2022 überschreitet der Sektor zum wiederholten Mal die erlaubte Jahresemissionsmenge, die bei 107,4 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten liegt. Mit etwa 35 Prozent des Endenergieverbrauchs und etwa 30 Prozent der CO2-Emissionen ist der Gebäudesektor damit übrigens der Bereich, in dem die meisten CO2-Emissionen in Deutschland verursacht werden. Viel Zeit und Spielraum bleiben der Branche also nicht mehr, wenn man die ambitionierten Klimaschutzziele erreichen will. Zumal die signifikante Einsparung von CO2 für die Wohnungs- und Immobilienbranche zwar eine große, aber bei Weitem nicht die einzige Herausforderung darstellt.
In den vergangenen beiden Jahren war es vor allem die Politik, die auf nationaler und europäischer Ebene immer wieder neue Verordnungen erlassen und komplexe Gesetze verabschiedet und die Branche zu einem schnellen, flexiblen und kurzfristigen Handeln verpflichtet hat. Die Liste ist lang: Von der „Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen (EnSiKuMaV)“ über die „EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD)“ bis hin zur jüngsten „Novelle des Gebäudeenergiegesetz (GEG)“ und dem „CO2-Kostenaufteilungsgesetz (CO2KostAufG)“.
Wohnungsunternehmen unter massivem Zeitdruck
Doch was in der Regel gut gemeint ist, war nicht zwangsläufig auch immer gut gemacht. Die Unternehmen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sind dadurch teilweise unter massiven Handlungs-, vor allem aber unter Zeitdruck geraten. Schlimmer noch: Die fristgerechte Erfüllung der neuen gesetzlichen Vorgaben hat nicht selten dazu geführt, dass unternehmensintern enorme personelle Ressourcen gebunden wurden. Experten und Spezialisten, die an anderen Stellen und in anderen Projekten im Unternehmen gefehlt haben – so zum Beispiel in zentralen und wichtigen Digitalisierungsprojekten.
Doch wenn die dringend notwendige Energiewende und die damit verbundene Dekarbonisierung im Gebäudesektor innerhalb des gesteckten zeitlichen Rahmens gelingen soll, wird vor allem eines benötigt: eine radikal andere Geschwindigkeit bei der Digitalisierung.
Effizienter, automatisierter und digitalisierter Heizungsbetrieb
In anderen Branchen konnten wir beobachten, dass Digitalisierung vor allem Agilität und Geschwindigkeit erfordert. Viele Unternehmen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft befassen sich hingegen eher mit Langlebigkeit. Gerade Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen werden häufig intensiv geplant und sind langfristig ausgelegt. Und in der Vergangenheit waren es dann auch genau solche Maßnahmen, die mit Blick auf die Dekarbonisierung des Gebäudebestands im Fokus standen.
Mittlerweile weiß man jedoch, dass ein deutlich größeres Einsparpotenzial im Gebäudeinneren liegt. Aufwendige und häufig auch noch teure Sanierungen der Gebäudehülle machen nur etwa 20 bis 30 Prozent des Energieeinsparungspotenzials aus.
Das wesentlich größere Potenzial liegt im Inneren des Gebäudes – zum Beispiel in der optimalen Einstellung und der digitalen Steuerung und Kontrolle der Heizungsanlage“, erklärt Philip Meyer-Bothling.
Ein Blick in den Heizungskeller zeigt, dass dort nicht nur ein großer Handlungsbedarf, sondern vor allem auch ein sehr großes Optimierungs- und Energieeinsparpotenzial besteht.
Nur etwa jede fünfte Heizung ist optimal eingestellt
Denn anders als beim eigenen PKW war eine regelmäßige Überprüfung und ein entsprechendes Monitoring der Heizungsanlage bisher nicht verpflichtend. Fast schon fahrlässig, wenn man bedenkt, dass jede zweite Heizungsanlage älter als 15 Jahre ist und wenn man weiß, dass nur etwa jede fünfte Heizungsanlage in Deutschland optimal eingestellt und richtig dimensioniert ist.
Die Lösungen sind so naheliegend wie einfach: „Durch digitales Monitoring der Heizungsanlage, einen hydraulischen Abgleich oder die automatisierte Steuerung der Heizung lassen sich auch mit geringinvestiven Lösungen Energieeinsparungen von bis zu 35 Prozent erzielen“, so Meyer-Bothling.
Wie das funktioniert, beweisen zwei junge Start-ups und ein renommierter Mess- und Energiedienstleister:
- Der Bielefelder Spezialist für KI-gestützte Optimierung der Gebäudetechnik, synavision, bietet seinen Kunden mit der Kombination aus Analyse der technischen Anlagen im Gebäude, Mess- und Zählerdaten und einer attraktiven KI-Lösung eine schnelle und effektive Möglichkeit zur signifikanten Steigerung der Nachhaltigkeit des eigenen Immobilienbestands.
- Schnelle Energieeffizienzgewinne, dauerhafte Energieeinsparungen im Bereich Heizung und Warmwasserbereitung und einen rechtskonformen Betrieb der Heizungsanlage ermöglicht das als führend beim hydraulischen Abgleich geltende Unternehmen myWarm seinen Kunden.
- Mit der intelligenten Heizungssteuerung KAIROS hat der Mess- und Energiedienstleister Brunata-Metrona gemeinsam mit der Westsächsischen Hochschule Zwickaueine smarte Infrastruktur für Wohngebäude entwickelt, die es ermöglicht, jeden einzelnen Heizkörper im Gebäude sowie die zentrale Heizungsanlage präzise über eine Künstliche Intelligenz zu steuern.
IVV-Fachartikel: Heizungstausch und Förderung – wer hat jetzt was zu tun?
Mehr Digitalisierung wagen
Um weitere geringinvestive, smarte und vernetzte Lösungen entwickeln und implementieren und um Einsparpotenziale effizient ausschöpfen zu können, müssen die Unternehmen im Gebäudesektor mehr Digitalisierung wagen. Ein zentraler Schlüssel liegt dabei in der konsequenten Nutzung von künstlicher Intelligenz und der intelligenten Nutzung sämtlicher im Gebäude vorhandenen Daten.
„Das Management der Daten darf allerdings nicht in Silos, sondern muss smart und in einem offenen Ökosystem erfolgen“, erklärt Meyer-Bothling abschließend. Die Basis hierfür kann eine Datenlogistikplattformwie die des Berliner Start-up OrchEstate sein, die Daten nach dem „Need to know“-Prinzip innerhalb des offenen Ökosystems zugänglich macht.
Thomas Scheffler
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