Editorial

Helft Euch selbst: Nieder mit den Normen

Jetzt ist Selbsthilfe all derer angesagt, die im Bauwesen tätig sind. Behördenmitarbeiter, Architekten, Planer, Verantwortliche aus Wohnungsunternehmen und die Wissenschaft. Wartet nicht länger auf staatliches Tun, sondern nehmt die Dinge selber in die Hand. Befreit Euch vom verkrusteten Denken. 20.000 Vorschriften, darunter 4.000 DIN-Normen, davon nur wenige gesetzlicher Mindeststandard, lasten auf dem Wohnungsbau wie Blei.

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 Bild: Adobestock/ my_stock
Bild: Adobestock/ my_stock

Zwei Dinge müssen wir sehen: Die Preise für Baumaterialien werden nicht wieder auf das Niveau sinken, das wir vor dem Inflationsschub hatten, und nach der Zeitenwende in der Sicherheitspolitik wird der Staat Fördergelder auf den sozialen Wohnungsbau konzentrieren. Mehr gibt‘s nicht, basta! Was also tun? Wie lässt sich der Wohnungsbau ankurbeln? (Bericht ab Seite 14)

Jetzt ist Selbsthilfe angesagt!

Gegen die mentale Verfestigung von Norm-Empfehlungen zu Quasi-Gesetzen hilft befreites Denken und eine auf Vertrauen und Transparenz beruhende Vertrags- und Kommunikationskultur. Die Hamburger Bausenatorin Karen Pein (Interview Seite 19) hat es vorgemacht. Auf ihre Initiative haben hunderte Experten ein Jahr lang DIN-Normen identifiziert, auf die Planer und Bauherren verzichten können, ohne dass die Sicherheit und der Komfort des Wohnens gefährdet werden. Ergebnis: Ohne auch nur eine Bestimmung der Hamburger Bauordnung ändern zu müssen, lassen sich bis zu 2.000 Euro pro Quadratmeter im Wohnungsbau sparen. Auf diesem Kostenniveau ließe sich der Bau von Sozialwohnungen komplett mit der staatlichen Förderung bezahlen. In Schleswig-Holstein wird seit Jahren günstig mit dem sogenannten Regelstandard sozialer Wohnungsbau betrieben.

Es ist Bewegung in zahlreiche Landesbaubehörden gekommen. Schon vor einem Jahr haben die Hamburger Senatorin Karen Pein und vier Ressortkollegen aus norddeutschen Ländern auf einem „Wohngipfel“ das Ziel ausgegeben, durch die Entschlackung des Normenwesens die Baukosten um 30 Prozent zu senken. Die jüngste Länderbauministerkonferenz im September 2024 hat sich darauf verständigt, bei der Reduzierung von Standards eng zusammenzuarbeiten. Die kommende Bundesregierung muss zusätzlichen Schub durch die Verabschiedung des Gebäudetyps E erzeugen. Und es braucht die Absicherung des einfachen Bauens durch eine Ergänzung des Werkvertragrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch (Vorschlag Prof. Leupertz auf Seite 17). Danach können Auftragnehmer und Auftraggeber vereinbaren, dass die anerkannten Regeln der Technik kein vertraglich geschuldeter Mindeststandard sind.

Die Chancen stehen gut, dass Deutschland sich von übertriebener Vorsicht, Pedanterie und Perfektionismus verabschiedet. Der Veränderungsdruck war selten höher. Die Zeit, in der alle Hürden mit billigem Geld zugeschüttet werden konnten, ist vorbei. Ein neuer Pragmatismus, eine zupackende Mentalität, eine auf Vertrauen basierende Kooperation zwischen allen Bauschaffenden, die Anpassung und Absenkung von Normen – durch freie, verbindliche Absprachen der Baubeteiligten – wäre ein echtes Konjunkturprogramm für den Wohnungsbau, das ohne staatliches Fördergeld auskommt.

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Thomas Engelbrecht

Thomas Engelbrecht
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