Editorial

Wie sich Perfektionismus und Pedanterie überwinden lassen

Nach der Bundestagswahl stehen Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung an. Im zukünftigen Koalitionsvertrag ließe sich das Kapitel „Förderung des Wohnungsbaus“ sehr kurz halten. Unter der Kapitelüberschrift „Wie wir das Baurecht ausmisten“ wären Verweise auf einige Initiativen in den Bundesländern ausreichend.

1105
 Bild: Adobestock/ my_stock
Bild: Adobestock/ my_stock

Bereits auf dem Wohnungsbau-Tag im April 2024 in Berlin hatte Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher auf die absurde Situation hingewiesen, dass von den 4.000 DIN-Normen nur 20 Prozent als gesetzlicher Mindeststandard festgeschrieben seien. Nun hat die Hamburger „Initiative kostenreduziertes Bauen“ den „Hamburg-Standard“ vorgelegt. Rund 300 Fachleute haben Normen und Vorschriften auf ein pragmatisches Maß reduziert und stellen fest, dass sich im Wohnungsbau bis zu 2.000 Euro pro Quadratmeter einsparen lassen, ohne die Wohnqualität zu gefährden. Das geht durch angepasste Standards in Baukonstruktion und Gebäudetechnik, die Optimierung von Prozessen und Verfahren, eine effizientere Planung und den Verzicht auf besonders teure Bauteile wie Tiefgaragen.

Schleswig-Holstein baut Sozialwohnungen seit Jahren nach den einfachen Grundsätzen, die der Bund mit dem Gesetz für den Gebäudetyp E zukünftig einführen will. Die praktischen Ergebnisse sind verblüffend. Die reinen Baukosten bei Sozialwohnungen lassen sich um bis zu einem Drittel senken. Unterm Strich würde die bisherige vom Staat gezahlte Fördersumme von gut 3.200 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche sogar ausreichen, um damit den Bau von Sozialwohnungen komplett zu finanzieren (Bericht in Ihrer Printausgabe auf Seite 10 oder online).

Im Mai 2024 kündigten fünf Bausenatorinnen und Bauminister auf dem ersten norddeutschen Wohngipfel in Hannover weitreichende Erleichterungen im Baurecht an. Die Runde war sich einig, dass sich die Baukosten um ein Drittel senken lassen. In allen fünf Landesbauordnungen soll der Gebäudetyp E verankert werden. Die Entrümpelung der Bauvorschriften durch die einzelnen Bauministerien scheint ohnehin deutlich vorangeschritten. So betonten Schleswig-Holsteins Bauministerin Sabine Sütterlin-Waack und ihr Ressortkollege Christian Pegel aus Mecklenburg-Vorpommern, dass in ihren Ländern die dreimonatige Genehmigungsfiktion eingeführt sei, um die Arbeit von Bauämtern zu beschleunigen. Hier gelte der Grundsatz: Genehmigt ist alles, was das Bauamt nicht innerhalb von drei Monaten ablehnt.

Den Parteien, die jetzt die programmatischen Grundlagen für die neue Bundesregierung aushandeln, muss in Sachen Wohnungsbau klargemacht werden: Weniger ist mehr. Wir brauchen keine neuen Vorschriften; wir brauchen auch nicht mehr Fördergelder. Notwendig ist ein Mentalitätswandel, ein zupackender Pragmatismus und der Abschied von überzogenen Qualitätserwartungen. Es ist mehr eine kulturelle, denn eine technische Herausforderung.

Der neue Hamburg-Standard der „Initiative Kostenreduziertes Bauen“ ist das Ergebnis dieser konsensualen Kultur und Kommunikation. Rund 300 Fachleute aus Bauwirtschaft, Architektur, Wohnungswirtschaft und Verwaltung haben sich darin ein Jahr geübt. So kann es gelingen, unsere Erstarrung durch Perfektionismus und Pedanterie zu überwinden.
>> IVV-Artikel: Hamburg mistet aus

Software für die kaufmännische Immobilienverwaltung kann heute weit mehr als nur Heiz- und Nebenkosten abzurechnen. Welche Funktionen die Software im Einzelnen bietet, hängt vom jeweiligen Programmkonzept, der Zielgruppe und natürlich vom Preis ab. Diese...

Thomas Engelbrecht

Thomas Engelbrecht
Chefredakteur
AnhangGröße
Beitrag als PDF herunterladen337.8 KB

◂ Heft-Navigation ▸

Artikel Wie sich Perfektionismus und Pedanterie überwinden lassen
Seite 3
1.4.2025
Editorial
Jetzt ist Selbsthilfe all derer angesagt, die im Bauwesen tätig sind. Behördenmitarbeiter, Architekten, Planer, Verantwortliche aus Wohnungsunternehmen und die Wissenschaft. Wartet nicht länger auf...
2.2.2024
Nicht im Jahr 2024
Was wird das angelaufene Jahr 2024 bringen? Ganz offensichtlich wird es keine Belebung des Wohnungsbaus geben. Die Zahl der Baugenehmigungen befand sich während des ganzen letzten Jahres im freien...
5.2.2024
Wohnraumversorgung
Bis Ende des Jahres 2024 wird es in Deutschland nur noch 981.100 Sozialwohnungen geben. Damit sinkt die Anzahl erstmals seit vielen Jahrzehnten unter die Millionenschwelle. Das ist lediglich rund ein...
4.3.2024
Ohne Versiegelung
Zusätzliche preisgedämpfte Mietwohnungen entstehen bisher eher selten durch Dachaufstockung. Dabei ist das Potenzial dafür enorm. Innovative Projekte zeigen, was möglich ist.
26.7.2024
GdW-Jahresbilanz
2023 ist die Fertigstellung von Neubauten durch sozial orientierte Wohnungsunternehmen erstmals deutlich um 13 Prozent auf nur noch rund 28.000 Wohnungen eingebrochen. Eine im Juni durchgeführte...
6.11.2024
Vorteile bei großen Projekten
Die Bundesregierung hat sich das serielle Bauen auf die Fahnen geschrieben, um dem Wohnungsmangel entgegenzuwirken und Kosten zu senken. Diese Bauweise bietet tatsächlich einige Vorteile, ist jedoch...