Hybridanlage wärmt ein 50 Jahre altes Hochhaus
Wärmepumpen sind im Neubau mittlerweile als eine der Alternative zu Gas- und Ölheizungen akzeptiert. Auch in der Gebäudesanierung nutzen jetzt Unternehmen regenerative Energien über Wärmepumpen und sammeln dabei viel Know-how. Die GWG Kassel will bis 2030 rund 70 Prozent ihres Wohnungsbestandes mit Fernwärme versorgen. Das Wohnungsunternehmen der Nordhessenmetropole betreut etwa 9.000 Wohnungen und ist damit größter Anbieter von Wohnraum. Die Hälfte etwa ist bereits ans Fernwärmenetz angeschlossen. Weitere Wohnungen folgen. Doch für rund 2.300 Einheiten ist das baulich beziehungsweise technisch nicht umsetzbar. In diesen Gebäuden wird die vorhandene Gasheizung mit Luft-Wasser-Wärmepumpen ergänzt – teilweise in Kombination mit Photovoltaikanlagen. So jedenfalls der ambitionierte Plan. Bis Ende 2023 sind dafür gut 1.000 Wohnungen vorgesehen.
Eine der ersten Hybridanlagen, die seit April dieses Jahres in Betrieb ist, befindet sich im Objekt Hoheneicher Straße 9, im Stadtteil Philippinenhof-Warteberg. Das Hochhaus mit 48 Wohneinheiten auf acht Etagen und einer Wohnfläche von 2.811 Quadratmeter stammt aus dem Jahr 1973. Bis vor Kurzem wurde das Gebäude über eine 180 kW Gas-Brennwert-Heizung von 2007 (Heizlast ca. 135 kW /48 W/m²) mit Wärme und Warmwasser versorgt. Seit 2005 wird zudem Strom aus einer Photovoltaikanlage 250 Wp (9,0 kWp) eingespeist; etwa 80 kWh/m²a (220.000 kWh/a) für die Raumheizung und etwa 40 kWh/m²a für die Trinkwassererwärmung (115.000 kWh/a).
Nach Ausbruch des Ukrainekrieges beschloss die Stadt Kassel, den Umbau der Energieversorgung voranzutreiben und setzt dabei vor allem auf ihre Tochter, die GWG. Geschäftsführer Uwe Gabriel erklärt, wie das Unternehmen schrittweise vorgeht. „Wir planten im Rahmen eines Klimabündnisses millionenschwere Investitionen für den Einsatz moderner Hybridanlagen. Die Stadt übernahm dafür die Bürgschaft. Gemeinsam mit den Planern vom Büro energydesign Braunschweig, die uns in der energetischen und optischen Sanierung seit Jahren begleiten, erstellten wir eine komplette Gebäudeanalyse unseres Bestandes.“
Günstige Voraussetzungen beschleunigten die Installation
Das Planerteam um Dipl.-Ing. Mathias Schlosser brachte dafür seine speziellen Erfahrungen ein und entwickelte eine skalierbare Lösung am Modell Hochhaus. Das könne später auf andere Gebäude einfach angepasst werden. „Wir gingen dabei ganz pragmatisch vor, filterten zunächst alle Gebäude mit 18 und mehr Wohneinheiten heraus. Denn die haben auch den höchsten Energieverbrauch und versprechen maximale Effekte. Bei 60 identifizierten Objekten wäre ein Fernwärmeanschluss sinnvoll. Für die restlichen wäre die Installation einer Hybridanlage umsetzbar“, berichtet Mathias Schlosser. Eine Lösung, die den erwarteten Novellierungen europäischer Richtlinien und des deutschen Gebäudeenergiegesetzes entspricht.
>> auch interessant: Verwalter sollten Check der Gasheizung jetzt beauftragen
Ohne hydraulischen Abgleich würden Effekte der Hybridanlage verpuffen
Gestartet wurde mit dem Hochhaus in der Hoheneicher Straße. Es besaß dafür beste Voraussetzungen. Schon 2005 erhielt es eine gedämmte Fassade und neue Fenster. Ebenso waren Keller- und Geschossdecken gedämmt. Die Rahmenbedingungen wie Stellplatz, Raumhöhe und Türbreite für die Wärmepumpen stimmen. Von Vorteil war auch, dass bereits ein hydraulischer Abgleich vorgenommen wurde. Ohne diesen würden die gesamten Effekte der Hybridanlage verpuffen. Durch das Gebäude führt eine Einrohrheizung. Jede Etage ist mit drei bis vier Wohnungen daran angeschlossen. Viele Bewohner beklagten jahrelang Wärmeverluste in manchen Räumen, in anderen eine Überhitzung. Infolgedessen kam es zu hohem Energieverbrauch und Heizkostenabrechnungen in indiskutabler Höhe.
Vor diesem Hintergrund entwickelte die GWG für den hydraulischen Abgleich die patentierte Lösung „indiControl“, mit der sie Volumenströme dynamisch steuern kann. Das System nutzt dafür separat regelbare Teilheizkreise. So kann flexibler auf den individuellen Wärmebedarf der einzelnen Bewohner reagiert werden. Über „indiControl“ wird der tatsächliche Verbrauch erfasst. Ein Vorteil sowohl für Mieter als auch für Vermieter. Allein der hydraulische Abgleich ergab, so Schlosser, Einsparungen von rund 25 Prozent. All diese Voraussetzungen überzeugten die Stadtväter. Sie unterstützen die Maßnahme im Rahmen des Energiebündnisses Kassel, für das die Stadt eine Bürgschaft von insgesamt 905 Millionen Euro übernommen hat. So verfügt die GWG nun über die Grundlage zur Finanzierung der energetischen Ertüchtigung von 1.000 Wohnungen. Die durchschnittliche Investition pro Wohnung ist auf 9.000 Euro angesetzt.
Heizkessel nur noch bei Bedarf nötig
In der Musteranlage im ersten Hochhaus (es gibt noch drei weitere dieser Art) arbeiten jetzt vier Luft-Wasser-Wärmepumpen vom Typ WPL 25 A Stiebel Eltron mit 15,6 kW (A2/W65). Sie sind hydraulisch und regelungstechnisch in einer Kaskade geschaltet, sodass sie möglichst zuverlässig, energieeffizient und kostengünstig funktionieren können. Besonders bei hohem Wärmebedarf zahlt sich diese Anordnung aus. Im Vergleich zu einer einzelnen Wärmepumpe erhöht sich dann die Betriebssicherheit durch Redundanzfunktion. „Die Gasheizungsanlage wird künftig nur noch bei Bedarf zugeschaltet. Der prognostizierte Bivalenzpunkt der Anlage liegt bei null bis drei Grad Celsius. Das ist der Punkt, an dem die maximale Heizleistung der Wärmepumpe erreicht wird“, erklärt Schlosser weiter. „Unterhalb des Bivalenzpunkts übernimmt noch der Gaskessel die Deckung der restlichen Heizlast. Hauptsächlich werden mithilfe der Wärmepumpen die Wohnungen beheizt. Wir rechnen mit einem Anteil von über 80 Prozent. Der Anteil beim Herstellen der Trinkwasserwärme beträgt weniger als 25 Prozent. Momentan übernimmt das noch der Heizkessel als zweiter Wärmeerzeuger.“
Ins Hybridsystem integriert sind zwei Pufferspeicher mit jeweils 1.000 Liter für die Raumheizung und zwei Durchlaufspeicher mit jeweils 1.501 Liter für die Trinkwasserbereitung. Der Planer rechnet bei dieser Hybridanlage mit einer Jahresarbeitszahl der Wärmepumpe von 2,9 (nur Wärmpumpengerät), was angesichts der Einrohrheizung mit 70°C Vorlauf bei einer Außentemperatur von minus zehn Grad und Wärmeabgabe über Heizkörper einen sehr guten Wert darstellt. Die CO2-Einsparung ist auf etwa 22 Prozent (ohne PV-Anlage) prognostiziert.
Alle Parameter werden über ein Monitoring überwacht, erfasst und ausgewertet. Auch im Interesse des Herstellers der Wärmepumpen Stiebel Eletron, der permanent an die Optimierung seiner Technik arbeitet. All das versetzt die Wohnungsbaugesellschaft in die Lage, systematisch den weiteren Einsatz von Hybridanlagen in ihrem Gebäudebestand zu planen und zu optimieren. Ihr Know-how wollen sie auch anderen Interessenten zur Verfügung stellen. Zwei wichtige Erfahrungen möchte der GWG-Geschäftsführer jetzt schon vermitteln. „Wenn Wärmepumpen im Bestand Sinn machen sollen, müssen die Stromtarife entsprechend angepasst werden. Es reicht auch nicht aus, wie wir erfahren haben, die Wärmepumpen einzubauen. Genauso wichtig ist es, die Mieter in den Umbauprozess mit einzubeziehen und Verständnis für die Funktion der neuen Technologie zu wecken. Denn Wärmepumpen sind besser als ihr Ruf.“
Bärbel Rechenbach
Anhang | Größe |
---|---|
Beitrag als PDF herunterladen | 335.48 KB |
◂ Heft-Navigation ▸