Milliarden für die Mischung Wohnen in Berlin
Kritik an Wohnungsbau
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (beide SPD) haben zur Besichtigung von sechs Neubauprojekten der landeseigenen Wohnungsunternehmen eingeladen. Die vom Verband BBU organisierte Tour macht einmal mehr deutlich, wie stark rechtliche und politische Hindernisse Planungs- und Bauprozesse, zumal in verdichteten Ballungsräumen, verzögern und wie kompliziert demokratische Bürgerbeteiligungen in pluralistischen Stadtgesellschaften sind. Beredtes Zeugnis dafür legt die Nachbarin einer Baustelle ab. Nachdem der Tourbus gehalten hat, schimpft sie aus einem offenen Fenster: „Für diesen Neubau wurden 100 Jahre alte Bäume gefällt. Haben Sie das auch kommuniziert?“
Die Kritik sitzt und begleitet die Tour-Teilnehmer auf ihrem Weg in den sechsten Stock eines Rohbaus. Bauherrin ist die WBM, die hier in der Modersohnstraße insgesamt 110 Wohnungen in drei Gebäuden schafft. Oben angekommen, betonen die Verantwortlichen des Unternehmens, dass es für dieses Projekt ein umfangreiches Bürgerbeteiligungsverfahren gegeben habe. Und Bausenator Andreas Geisel sagt: „100 Prozent Zustimmung zum Neubau werden wir in der Demokratie nicht bekommen. Aber es kann nicht sein, dass wir zugunsten derjenigen, die bereits eine Wohnung haben, darauf verzichten Wohnungen zu bauen für Menschen, die noch keine haben.“ Es sei wichtig, die Berliner Mischung zu erhalten. Es dürfe nicht sein, dass allein der Geldbeutel über den Wohnort entscheide.
2021 erstmals mehr als eine Milliarde Neubau-Investitionen
Das ist im Kern die politische Begründung des Berliner Senats für Milliardeninvestitionen in den Neubau durch die landeseigenen Wohnungsunternehmen. In den fünf Jahren zwischen 2017 und 2021 haben die sechs Unternehmen in Umsetzung der wohnungspolitischen Ziele des Landes rund 6,9 Milliarden Euro investiert, davon rund 4,4 Milliarden Euro in den Neubau. Diese Angaben macht der Verband BBU. Dabei hätten die Neubauinvestitionen im Jahr 2021 erstmals die Grenze von einer Milliarde Euro durchbrochen. Im laufenden Jahr sollen die Gesamtinvestitionen sogar noch steigen und mit dann rund 2,2 Milliarden Euro (+ 39 %) ein neues Allzeit-Hoch erreichen.
Im genannten Fünfjahreszeitraum seien von den sechs Unternehmen rund 20.100 Wohnungen fertiggestellt worden. 2021 seien es rund 3.300 neue Wohnungen gewesen. Für die kommenden fünf Jahre nannte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey erneut das Ziel von 35.000 neuen Wohnungen allein durch die landeseigenen Unternehmen. Bis zum Sommer seien in diesem Jahr 2.400 Wohnungen fertig geworden und der Senat halte fest an der Zahl von 6.000 neuen Wohnungen bis Dezember 2022.
„Senatskommission hat Genehmigung von 6.000 Wohnungen beschleunigt“
Giffey berichtet von der von ihrer Regierung eingesetzten Senatskommission zur Beschleunigung von Genehmigungsprozessen. Diese Kommission habe im laufenden Jahr bereits den Weg frei gemacht für 6.000 neue Wohneinheiten. „Wir schaffen es konfliktbeladene Bauprojekte zu beschleunigen“, versichert Giffey. In Berlin sind es nicht nur Bürgereinwände und Proteste, die Bauprojekte erschweren, sondern auch die Polykratie der verschiedenen Senatsressorts für Bauen, Umwelt oder Wirtschaft, die sich häufig gegenseitig blockieren oder Entscheidungen hin- und herschieben. Die neue Senatskommission tage alle vier Wochen, erklärt Giffey. Wenn in dieser Zeit untere Behörden nicht zu einer Einigung kommen, ziehe die Senatskommission die Sache an sich und erteile die Baugenehmigung. Genau das zu verhindern, steigere den Ehrgeiz unterer Behörden zu eigenen Entscheidungen zu kommen.
Ist eine Weihnachtsbaumplantage wichtiger als neue Wohnungen?
Verzögerungen gab es auch bei einem Bauvorhaben der Howoge für ein neues Quartier mit 612 Wohnungen in Berlin-Treptow-Köpenick. Nach der Schilderung von Howoge-Geschäftsführer Ulrich Schiller waren in diesem Fall nicht fehlende Entscheidungen einer Behörde Grund für die sich hinziehenden Planungszeiten, sondern Streit um die Frage, ob eine alte Weihnachtsbaumplantage gefällt werden darf oder ob sie einen schützenswerten Wald darstellt. Die Klärung machte unter anderem die Hinzuziehung eines Gutachters erforderlich. Auf dem Baugrund befand sich ehemals ein Gartenbaubetrieb, der die Plantage nach der Schließung weiterwachsen ließ.
Fördermittel des Landes von 750 Millionen Euro
Die Steigerung der Gesamtneubauinvestitionen der Landeseigenen auf rund 2,2 Milliarden Euro in diesem Jahr erscheint angesichts der akuten wirtschaftlichen Krisenfaktoren zumindest zweifelhaft. Laut Amt für Statistik Berlin-Brandenburg wurden im ersten Quartal 2022 nur noch 2.900 Baugenehmigungen erteilt, fast ein Drittel weniger als Im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Noch scheinen sich die extrem steigenden Preise für Rohstoffe und Baukomponenten nicht negativ auf die Bauprojekte der landeseigenen Wohnungsunternehmen auszuwirken. So äußerte sich zumindest der Vorstandsvorsitzende der Gesobau AG, Jörg Franzen, gegenüber der IVV. Für das Neubauprojekt in der Mühlenstraße im Stadtteil Pankow mit 111 neuen Wohnungen hätten die Baufirmen keine höheren Preise verlangt. Es gebe in diesem Fall keine Preisgleitklausel. Für andere Bauvorhaben hätten ausführende Firmen Preiserhöhungen angekündigt, die aber noch zu verhandeln seien. Angesichts der aktuell schwierigen Rahmenbedingungen nicht zu bauen, sei für die Landeseigenen keine Alternative, so Jörg Franzen. Die Bedingungen müssten in anstehenden Gesprächen mit dem Senat festgelegt werden. Geld für den Neubau ist offenbar vorhanden, denn Bausenator Geisel kündigte für das Jahr 2023 Fördermittel des Landes in Höhe von 750 Millionen Euro an. Mit dieser Summe solle der Bau von jährlich 5.000 Sozialwohnungen angekurbelt werden, „damit die Berliner Mischung erhalten bleibt“.
Die Hälfte der neuen Einheiten sind Sozialwohnungen
Tatsächlich wird bei allen Neubauprojekten der landeseigenen Unternehmen die Hälfte der Wohnungen für Mieter mit Wohnberechtigungsschein reserviert. Ein Beispiel ist der Neubau der Gewobag in Berlin-Charlottenburg. In Wasserlage, unmittelbar an der Spree und in der Nähe des Charlottenburger Schlosses gelegen, entstehen 111 Einheiten, die sich in mehreren kompakten Gebäudekörpern auf fünf bis sieben Stockwerke verteilen. Die durchschnittliche Wohnungsgröße beträgt 60 Quadratmeter. Die Hälfte der Wohnungen wird gefördert. Mieter mit kleinem und mittlerem Einkommen (und im Besitz eines WBS) werden 6,50 bis 6,70 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zahlen. Für die frei finanzierten Wohnungen berechnet die Gewobag Kaltmieten zwischen 9,50 Euro und 14,90 Euro. Die Gesamtkosten des Neubaus betragen nach Angaben von Gewobag-Vorstandsmitglied Snezana Michaelis 28,6 Millionen Euro inklusive Grundstückkosten bzw. 3.680 Euro Baukosten pro Quadratmeter.
Die preisdämpfende Wirkung der Landeseigenen
Bei den landeseigenen Unternehmen insgesamt betrugen die durchschnittlichen Nettokaltmieten im vergangenen Jahr 6,29 Euro pro Quadratmeter. Dieser Betrag lag nach der BBU-Statistik um 50 Cent je Quadratmeter unter dem Mietspiegeldurchschnitt (6,79 Euro/Quadratmeter). Noch deutlicher werde der preisdämpfende Effekt mit Blick auf die Wiedervermietungsmieten: Hier lagen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mit 7,25 Euro pro Quadratmeter um gut 30 Prozent unter dem allgemeinen Marktniveau (10,55 Euro/Quadratmeter).
Genossenschaften und Private sind mehr unter Druck
Die Kapitalausstattung der landeseigenen Wohnungsbauunternehmen durch den Senat ist offensichtlich recht „komfortabel“, zumindest im Vergleich zu anderen Mitgliedsunternehmen des Verbands BBU. Denn private Unternehmen und Genossenschaften stehen – auch das zeigt die Verbandsstatistik – deutlich mehr unter wirtschaftlichen Druck. In der Jahrespressekonferenz Mitte Juli stellte der BBU fest: Mit einem Plus von nur noch 1,1 Prozent lag das Investitionswachstum bei den Unternehmen 2021 so niedrig wie seit 2008 nicht mehr. „In Anbetracht der sehr hohen Baupreisinflation sind unsere Investitionen real sogar deutlich zurückgegangen“, warnte BBU-Chefin Maren Kern. Bei den Baufertigstellungszahlen in Berlin meldeten die Unternehmen sogar den ersten Rückgang seit acht Jahren (-20,3 %). Auch die Zahl der Grundsteinlegungen sei 2021 im Vergleich zum Vorjahr um fast 30 Prozent gesunken. Hintergrund dieser besorgniserregenden Entwicklung seien auch die sich rasant eintrübenden Rahmenbedingungen in Folge der Corona-Pandemie, die sich nun durch den Krieg in der Ukraine noch weiter verschlechterten.
In einer Verbandsumfrage gaben 19 Prozent der Mitgliedsunternehmen an, geplante Neubauprojekte – wenn noch möglich – gar nicht erst umsetzen zu wollen. Weitere 32 Prozent gehen von Verzögerungen bzw. Umfangsänderungen aus. Nur 19 Prozent gaben an, die Projekte unverändert umzusetzen.
Thomas Engelbrecht
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