Mit ESG-Bilanzen zum klimafreundlichen Gebäude?
Welche Relevanz hat das Thema ESG-Bilanzierung heute für Ihre Kunden in der Wohnungswirtschaft? Werden Sie angesprochen von Kunden, die sagen, wir brauchen eine Bilanzierung, können Sie uns helfen? Oder ist das noch kein Thema auf der Ebene der Genossenschaften und der städtischen Wohnungsunternehmen?
Norbert Rolf: Das ist sehr unterschiedlich. Ich meine, der Klimawandel und daraus folgend die Energiewende geht uns alle an, jedes Unternehmen, jede Privatperson. Aber es gibt in der Tat den eingangs von Ihnen erwähnten Unterschied zwischen den Unternehmen, die stark vom Finanzmarkt getrieben sind, die durch die Taxonomie ganz unmittelbar betroffen sind, und den Unternehmen der Wohnungswirtschaft, die häufig sehr stark das Bestandhalten im Fokus haben. Und da die Transaktion nicht im Vordergrund steht, also der Verkauf und damit verbunden Finanzierungsfragen, tritt das vielleicht in vielen Fällen nicht so ganz weit nach vorne. Fakt ist, jede Transaktion die man sich anguckt, wird genau vor diesem Hintergrund betrachtet. Und auch die Bankenseite ist stark angehalten, die Risiken, die sich aus ihr ergeben können, einzupreisen. Ob das mehr Kernkapital ist, was hinterlegt werden muss, ob die Zinsen höher sind und auch Versicherungsprämie spielen eine Rolle.
Herr Then, wie sind die Erfahrungen mit Ihren Kunden?
Ist das ESG-Scoring schon ein Thema?
Dirk Then: Ich kann das, was Herr Rolf sagt, bestätigen. Es ist ein sehr, sehr gemischtes Feld. Gerade die kleineren Bestandshalter haben das Thema `Werterhalt´ im Vordergrund und beschäftigen sich jetzt vor dem Hintergrund des Green Deals mit anderen Themen. Zum Beispiel mit der Sanierung der Heizung. Und es geht im Vorfeld von Sanierungsmaßnahmen darum, Transparenz darüber zu bekommen, was geht denn in meinem Gebäude ab? Datentransparenz war bislang noch kein großes Thema, dass man Datentransparenz bekommt, dass man Informationen sammelt, um dann über Wege nachzudenken, die einen auf eine nächste Stufe in Richtung der ESG-Kriterien bringen können.
Wir haben mit Herrn Dr. Ebbers von der LEG Immobilien Gruppe einen Vertreter eines börsennotierten Unternehmens unter uns. Das heißt, Ihr Unternehmen ist heute schon verpflichtet zu einer ESG-Bilanzierung und zur Publikation von Nachhaltigkeitsberichten.
Mirko Ebbers: Einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen wir schon länger, seit zwei Jahren heißt es `Nicht finanzielle Berichterstattung´. Darin veröffentlichen wir nach den Vorgaben, die zum Beispiel aus der Taxonomie kommen. Es ist noch nicht so, dass wir die Immobilien wirklich hart nach ökonomischen und ökologischen Kriterien in die Bilanz aufnehmen. Denn es ist nicht einfach belastbar zu messen, in welchem Zustand sich ein Gebäude tatsächlich befindet? Das ist eine große Aufgabe, die wir noch nicht vollständig gelöst haben. Aber ich glaube, wir haben einen guten Pfad gefunden. Wir berichten jetzt schon korrekt nach dem was wir wissen, aber perspektivisch braucht es mehr und mehr Daten, um wirklich eine gute Berichterstattung zu machen.
Wie reagiert man auf dem Börsenparkett auf Ihren Nachhaltigkeitsbericht? Fragen Investoren nach dem Bericht?
Mirko Ebbers: Als die EU Taxonomie groß diskutiert wurde, gab es sehr viele Anfragen von Analysten und auch von unseren Investoren, wie wir uns aufstellen. Nun ist der Finanzmarkt relativ schnelllebig. Obwohl ESG weiterhin medial sehr präsent und die EU aus meiner Sicht sehr aktiv in der Gesetzgebung ist, steht für die meisten Wohnungsunternehmen die reine Ökonomie wieder im Vordergrund, weil sich die aktuelle Finanzsituation etwas verdüstert hat. Mein Eindruck ist, dass wieder sehr stark auf die kurzfristige Bewertung der Immobilien geschaut wird. Ich erwarte aber trotzdem, dass uns das Thema Nachhaltigkeit nicht mehr loslassen wird. Wir werden bis zum Ende unseres Lebens damit beschäftigt sein, dass diese Welt erhalten und für unsere Nachkommen lebenswert bleibt. Deswegen wird es wiederkommen. In der Vergangenheit haben wir gesehen, dass das wichtig war für Investoren und Analysten, die natürlich auch eine Beratungsfunktion am Finanzmarkt innehaben. Und wir werden, ich denke, sobald die aktuelle Krise vorbei ist, wieder mehr Nachfragen in die Richtung erleben.
Norbert Rolf: Ich möchte das bekräftigen. Die LEG hat eine Vorreiterrolle, aber wir müssen sehen, dass es eine Taxonomie-Entwicklung geben wird. 2023 sind die Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern dran, 2024 sind sogar die KMU dran, also kleine und mittelständische Unternehmen. Das sind wir alle. Und das ist dann dieses riesengroße Reporting-Paket. Wir wissen noch nicht genau, was da alles im Detail hineingehört, aber es sind viele und komplexe Informationen, die abgefragt werden. Ich finde das richtig, damit wir kein Greenwashing betreiben. Und um den Bogen zur Ihrer Eingangsfrage zu schlagen: Es wird alle Unternehmen der Wohnungswirtschaft unmittelbar treffen. Wir müssen uns dieser Herausforderung stellen.
Dirk Then: Unbedingt. Und ich möchte bekräftigen, was Dr. Ebbers gerade festgestellt hat. Wir können nicht aufhören, uns mit dem Thema zu beschäftigen, nur weil im Moment aufgrund der gestiegenen Zinsen Finanzierungfragen im Vordergrund stehen. Wir müssen trotzdem kontinuierlich an dem Thema weiterarbeiten, erst recht, wenn man in die Nachhaltigkeitsberichterstattung gehen will und wenn man angefangen hat, Daten zu erheben und Gebäude zu kategorisieren. Man kann diese Dinge ja auch freiwillig und aus Überzeugung tun, weil sie Nutzen stiften. Wir müssen einfach dranbleiben.
Es gibt ein Einfallstor für das Thema Energie- und CO2-Einsparung. Das ist die aktuelle Energie- und Preiskrise. Herr Dr. Then, erwarten Ihre Kunden verstärkt Dienstleistungen und Daten für eine CO2-Bilanzierung?
Dirk Then: Diese Frage muss ich auf verschiedenen Ebenen beantworten. Wir haben die langfristige Ebene, dass ich überhaupt mal anfangen muss meinen Bestand zu kategorisieren. Diese Anfragen kommen immer stärker bei uns an. Wir unterstützen unsere Kunden dabei, in diese Kategorisierung zu gehen und Energieverbräuche in CO2-Bilanzen umzurechnen. Aber wir erleben aktuell auch sehr kurzfristige Aktionen, die durch den Gesetzgeber getrieben sind, Stichwort: EnSiKuMaV (Anm.: Seit dem 1. September 2022 gilt die Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen. Sie gibt Regelungen zu Energieeinsparungen vor.). Das heißt, jetzt müssen Daten und Informationen über Energieverbräuche und Preisentwicklungen bereitgestellt werden.
Wir stellen fest, es gibt immer mehr
Anlass für Transparenz im Gebäude
Wie ist das im Falle Ihres Unternehmens, Herr Rolf, wie reagiert Ihre Kundschaft? Gibt es da verstärkte Nachfragen? Vielleicht den Wunsch nach bestimmten digitalen Tools?
Norbert Rolf: Wir sind in der aktuellen Entwicklung als Mess- und Energiedienstleister stärker gefragt. Ich glaube, jeder von uns versucht, die Kunden zu unterstützen, indem er Transparenz schafft und technische Lösungen anbietet. Wie kann man Energie durch Verhaltensänderungen und durch die Optimierung von Heizungsanlage einsparen? Was mir an dem Thema wahnsinnig wichtig ist: Erstens wird es uns langfristig beschäftigen und zweitens ist es ein Teamspiel. Das heißt, heute haben wir ein Vertragsverhältnis mit einem Immobilieneigentümer, aber der Nutzer wird immer entscheidender, auch für den Eigentümer. Es ist alles in einem Fluss. Wir freuen uns auf diesen gemeinsamen Lern- und Entwicklungsprozess. Und da die Chancen im Bestand gehoben werden, ist es jetzt an uns allen, wirklich zusammenzukommen. Dann können wir messen, Daten-Transparenz erzeugen, aktives Management betreiben und dadurch schließt sich dann wunderbar der Kreis.
Dirk Then: Für die Reduktion von Energieverbrauch und CO2-Emissionen müssen Immobilieneigentümer und Nutzer auf der gleichen Seite stehen. Dafür hat Prof. Andreas Pfnür von der TU Darmstadt den schönen Begriff von der ‚Beutegemeinschaft‘ geprägt. Beide Seiten müssen etwas davon haben, wenn sich Technologiefenster öffnen. Norbert Rolf: Es gibt ja ein wunderbares Gesetz zur Aufteilung der CO2-Steuer. Diese Verteilung wird sich nach dem tatsächlichen Verbrauch im Gebäude, nicht nach dem theoretischen Verbrauch berechnen. Das heißt, was ein Nutzer im Gebäude tatsächlich verbraucht, wird die Höhe des Steueranteils für den Eigentümer beeinflussen. Das ist ein schönes Beispiel für diese Beutegemeinschaft. Wenn wir nicht als Team spielen, wird das nicht gehen.
Mit Teamplayer meinen Sie Eigentümer, Nutzer und ...
Norbert Rolf: … Dienstleister; ja, genau, alle drei.
Herr Ebbers, berichten Sie uns, wie Ihr Arbeitsalltag aussieht?
Mirko Ebbers: Meine Aufgabe ist, dass wir uns als LEG nachhaltig korrekt aufstellen, dass wir einfach wissen, wo wir stehen und wo wir hinwollen. Wir brauchen Antworten auf die Fragen, wie viel Energie unsere Gebäude verbrauchen und wie viel CO2 stoßen sie aus. Das sind Informationen, die wir in der Vergangenheit aus Datenschutzgründen gar nicht erheben durften, denn sie lassen Rückschlüsse auf das persönliche Verhalten von Mietern zu. Wir brauchen dafür eine solide Gesetzesgrundlage. Wir können unsere Mieter aktuell gar nicht lückenlos darüber informieren, wie viel sie demnächst für das Gas werden bezahlen müssen, denn wir verfügen nicht immer über die Energieverbrauchsdaten der Mieterhaushalte, sofern sie direkt Verträge mit Versorgern geschlossen haben. Wir müssen uns auch fragen, ob die Sanierung der beste Weg ist, um Gebäude CO2-neutral zu machen? Oder sollten wir nicht viel stärker das Nutzerverhalten beeinflussen? Vielleicht ist das ein effizienterer Weg.
Wir müssen natürlich sanieren, aber wir müssen auch andere Kniffe finden, um am Ende unseren CO2-Pfad einzuhalten. Es ist wie das Zusammenspiel eines Orchesters. Denn nur mit Sanierungen werden wir es nicht schaffen. Das ist einfach zu langsam und zu teuer. Wir müssen geschicktere Arten finden, uns ökologischer aufzustellen. Mein ‚Orchester‘, das sich um das Thema exklusiv kümmert, besteht übrigens aus vier Personen plus einem Werkstudenten. Uns ist vollkommen klar, dass der CO2-Ausstoß, den wir in dieser Sekunde auslösen, uns später auf die Füße fallen wird. Das heißt, wir müssen jetzt unterwegs sein.
Herr Ebbers, wie kommen Sie an die Verbrauchsdaten von Mietern, die eine Gasetagenheizung und einen Versorgungsvertrag mit einem Gasversorger haben? Was ist, wenn der Mieter jede Kooperation verweigert?
Mirko Ebbers: Die unterjährigen Verbrauchsinformationen kriegen wir in diesem Fall tatsächlich nicht. Das würde sich ändern, sobald das Gesetz zur Aufteilung der CO2-Umlage in Kraft tritt. In dem Moment, in dem unser Kunde eine Steueraufteilung erwarten darf, würden wir an seine Daten kommen. Meines Wissens ist aber das Gesetz noch nicht final verabschiedet.
Dirk Then: Ich möchte gerne über die Verbindung zwischen einzelnen Heizkörpern und der Zentralheizung sprechen, also über die Schaffung von Regelkreisläufen. Mein Unternehmen ist derzeit stark damit beschäftigt, smarte Thermostate für die Ausrüstung ganzer Gebäude in den Markt zu bringen. Smarte Thermostate liefern Informationen zur Soll- und Ist-Temperatur jedes Heizkörpers, die sich in die Zentralheizung einsteuern lassen. Damit geraten wir aber in Konflikt mit dem Datenschutz, denn wir benötigen die Daten jedes einzelnen Nutzers, um die Heizungsanlage effizient steuern zu können. Heute bekommen wir nur ganz grobe Daten, nämlich Vor- und Rücklauftemperaturen und Wärmemengen und müssen daraus irgendwie den idealen Heizungsbetrieb ableiten, ohne zu wissen, ob an jedem einzelnen Heizkörper die Wärmemenge ankommt, die der Nutzer gerade haben möchte.
Kollidiert das Ziel mehr Klimaschutz mit dem Datenschutz?
Norbert Rolf: Ja, das kann passieren, aber ich frage mich manchmal, ob wir das vorsorglich zu komplex angehen. Als Eigentümer erstellen wir eine Heizkostenabrechnung, wir kennen die Verteilwerte und wissen also etwas über das Nutzerverhalten. Das Spannende ist, wir müssen es besser verstehen, weil wir unmittelbar Energie einsparen müssen. Das ist total wichtig. Wir arbeiten seit zehn Jahren mit der Westsächsischen Hochschule Zwickau zusammen, um den Einfluss des Nutzerverhaltens und den Einsatz smarter Thermostate besser zu verstehen.
Wir wissen heute: Durch dieses mir ist kalt, ich drehe die Heizung auf und jetzt ist mir warm genug, ich drehe die Heizung zu, entstehen 50 Prozent des Energieverbrauchs. Diese Trägheit der Heizung ist ein wesentlicher Treiber der Heizkosten. Beim Einsatz smarter Thermostate zur Regelsteuerung müssen wir schauen, ob wir mit anonymisierten Daten arbeiten können. Durch den Einsatz smarter Technik erreichen wir in der Wohnung ungefähr 20 Prozent Einsparung. Das haben wir empirisch für rund 1.400 Wohnungen, die wir zwischenzeitlich ausgestattet haben, nachweisen können, und zwar über alle Altersklassen. Und wenn wir die Zentralheizung mit einbinden können, erreichen wir bis zu 30 Prozent Einsparung. Unabhängig von der energetischen Ertüchtigung des Gebäudes bringt uns das einen Riesenschritt voran.
Den zweiten Teil der Talkrunde lesen Sie in der IVV-Ausgabe 01-02/2023, die Ende Januar erscheinen wird.
Eine Kurzfassung als Video können Sie sich über unsere Website ansehen: ESG-Bilanzen in Wohnungsunternehmen
Thomas Engelbrecht
Anhang | Größe |
---|---|
Beitrag als PDF herunterladen | 432.2 KB |
◂ Heft-Navigation ▸