Landtag beschließt Reform der Bauordnung

Niedersachsen wagt sich an die Entrümpelung

Angesichts von immer weniger bezahlbarem Wohnraum und einer Flaute in der Bauwirtschaft will Niedersachsens Landesregierung das Bauen „einfacher, schneller und günstiger“ machen. Dazu hat der Niedersächsische Landtag eine Reform der Bauordnung beschlossen.

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Möchte eine Immobilienverwalter oder ein Vermieter neuen Wohnraum schaffen, zum Beispiel durch eine Dachaufstockung oder einen Anbau, sollte dies vereinfacht werden. Bild: Adobestock/ detailfoto
Möchte eine Immobilienverwalter oder ein Vermieter neuen Wohnraum schaffen, zum Beispiel durch eine Dachaufstockung oder einen Anbau, sollte dies vereinfacht werden. Bild: Adobestock/ detailfoto

Unter anderem werden Genehmigungsverfahren verkürzt und die Pkw-Stellplatzpflicht entfällt. Während der Landesverband der Wohnungswirtschaft (VdW) von einem „modernen und zukunftsweisenden Regelwerk“ spricht, reagiert der BFW-Landesverband eher zurückhaltend. Von einem großen Wurf könne nicht die Rede sein, weil der Neubau von der Novelle unberührt bleibe. Tatsächlich soll die Reform in erster Linie Aufstockungen sowie Aus- und Umbauten im Bestand erleichtern. Der Städte- und Gemeindebund ist enttäuscht, seiner Meinung nach hat das Land Zuständigkeiten auf die Kommunen abgewälzt.

Die wesentlichen Änderungen in der Landesbauordnung

Vorschriften wie der Einbau eines Fahrstuhls bei bestimmten Umbauten oder verpflichtende Autostellplätze bei Neubauten sollen mit der Novelle künftig wegfallen. Außerdem soll es ab 1. Juli 2024 keine Genehmigungsverfahren für Umbauten mehr geben und Grenzabstände für Neubauten sollen verringert werden, um Grundstücke enger bebauen zu können.

„Der Staat muss loslassen“, sagte Bauminister Olaf Lies (SPD) vor dem Landtag. „Es hilft uns nichts, am Ende Vorgaben zu haben, die wir alle gesellschaftlich begrüßen, aber bei denen am Ende keine Umsetzung mehr erfolgt.“ Seit 2020 seien die Baukosten rasant gestiegen und der Neubau von Wohnimmobilien dadurch eingebrochen. Die geplante umfassende Deregulierung mit niedrigeren Standards bezeichnete Bauminister Lies vor diesem Hintergrund als einen „Paradigmenwechsel“, der bundesweit Vorbild für einen neuen „Deutschland-Standard“ zum schnelleren Bauen werden könne. Das Ziel der Reform sei es, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und die Bauunternehmen zu stärken.

In Niedersachsen werden laut aktuellem Wohnungsmarktbericht bis 2040 knapp 237.000 zusätzliche Wohnungen benötigt. Im Bereich der staatlich geförderten Sozialwohnungen ist der Bestand seit Ende 2016 von mehr als 85.000 auf rund 51.000 Wohnungen zurückgegangen. Der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Niedersachsen und Bremen (vdw) begrüßt die Verabschiedung der novellierten Landesbauordnung und bezeichnete das neue Regelwerk als einen bedeutenden Fortschritt für den Wohnungsbau im Land.

Verbandsdirektorin Dr. Susanne Schmitt: „Der Wohnungsbau ist am Boden. Wir brauchen ein Umdenken, um endlich wieder zu vertretbaren Kosten bauen zu können. Einfach Bauen ist die Zukunft. Ganz besonders freuen wir aus der Wohnungswirtschaft uns über den Start des Gebäudetyp E. Ich bin mir sicher, dass wir nun auch rasch erste Pilotprojekte starten können. Es müssen nicht immer die überdimensionierten Heizungsanlagen und dicke Schallschutzwände sein. Einfach kann gut und nachhaltig sein – im sozialen Wohnungsbau genauso wie bei Millionärsvillen.“

Auch die Verbesserungen im Bereich der Genehmigungsverfahren sowie der vorgelegten vereinfachten Bauregeln könnten sowohl im Neubau als insbesondere auch beim Umbau wichtige Potenziale, zum Beispiel beim Ausbau von Dachgeschossen, haben. Denn der sozial orientierte Wohnungsmarkt stehe unter mächtigem Druck. Die vielen tausend neuen Wohnungen, die benötigt werden, könnten allein durch Neubau nicht realisiert werden. Mit den geplanten Erleichterungen beim Ausbau von Dachgeschossen, bei der Aufstockung von Gebäuden und beim Umbau in Wohnraum könnten in den nächsten Jahren Tausende von neuen Wohnungen flächensparend und kostengünstig gerade in innerörtlichen Lagen entstehen.

„Die neue Niedersächsische Bauordnung ist ein großer Wurf. Sie bietet viele Chancen für die soziale Wohnungswirtschaft sowie die gesamte Bau- und Immobilienbranche“, so Dr. Schmitt. „Gleichzeitig müssen wir uns nun auf die Veränderungen einstellen und die neuen Möglichkeiten auch optimal nutzen. Die Novellierung ist nur ein Mosaikstein für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum.“

Oppositionelle CDU mit Lob und Tadel für die Reform

Auch die oppositionelle CDU begrüßte den geplanten Wegfall von Vorschriften – mit Einschränkung. Entscheidend sei, dass die Baugenehmigungsbehörden „die neuen Handlungsspielräume nutzen, um das Verfahren zu beschleunigen und Bauvorhaben nicht länger zu verzögern“, sagte der CDU-Baupolitiker Christian Frölich. Aufgrund der viel zu kurzen Beratungszeit ist das Gesetz der Landesregierung zur Änderung der NBauO allerdings mit konstruktiven Mängeln behaftet, die behoben werden müssen“, sagt Frölich.

Das Gesetz sei an einigen Stellen unzureichend: „Bei Gebäudeaufstockungen nach dem neuen §85a müssen dennoch alle Bedingungen der höheren Gebäudeklasse – wie beispielsweise ein zweites Treppenhaus als zusätzlicher Rettungsweg – erfüllt werden. Hier ergeben sich somit keine Erleichterungen oder Einsparungspotenziale. Der Wegfall der Stellplatzpflicht für Wohnungsneubauten werde zudem eine enorme Herausforderung für die Kommunen darstellen. Unkontrollierte Nachverdichtung und überforderte öffentliche Räume können die Folge dessen sein. All diese Punkte haben wir als CDU in einem Änderungsantrag eingebracht, der allerdings keine Zustimmung fand“, so Frölich.

Kommunen kündigen Widerstand an

Die kommunalen Spitzenverbände reagierten enttäuscht auf die „kompromisslose Linie von Bauminister Olaf Lies“ im Zuge der Änderung der Landesbauordnung. „Es ist ernüchternd, dass auf die Kompromissangebote der Kommunen nicht reagiert wurde. Der Minister und die Landtagsmehrheit setzen auf plakative Signale, die die Bautätigkeit in Niedersachsen nicht befördern, sondern eher durch neue Bürokratie behindern werden.“

„Mit der Abschaffung der Verpflichtung für Bauherren, bei Wohngebäuden Stellplätze zu schaffen, betreibt Minister Olaf Lies Wirtschaftsförderung auf Kosten der Kommunen. Diesen Griff in die kommunalen Kassen werden wir nicht akzeptieren“, erklärte der Präsident des Niedersächsischen Städtetages, Frank Klingebiel. Darüber hinaus gefährde die Gesetzesänderung die Verkehrswende in den Städten. Diese hätten künftig keine Handhabe mehr, Bauherren, die die notwendigen Einstellplätze nicht schaffen wollen, zu verbindlichen Mobilitätskonzepten etwa zur Förderung des ÖPNV, von Car-Sharing-Angeboten oder des Radverkehrs zu motivieren.

„Wir begrüßen die vorgeschlagenen Änderungen der Niedersächsischen Bauordnung. Die Erleichterungen für den Neubau können den Prozess insgesamt beschleunigen und günstiger machen. Alles, was den Neubau wieder in Schwung bringt, ist gut. Dieser innovative und pragmatische Ansatz ist gut, um zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“, erklärte Silke Hoog, Sprecherin der Vonovia.

BFW vermisst „den großen Wurf“ für den Wohnungsneubau

Positiv äußerte sich David Jacob Huber, Geschäftsführer des BFW Landesverbandes Niedersachsen/Bremen e.V. „Die aktuelle Novelle der NBauO, die nun beschlossen ist, ist absolut zu begrüßen. Ein Downsizing des Regelwerkes senkt die Bau- und Planungskosten. Leider geht die Novelle nicht weit genug, der Neubau ist davon noch gar nicht betroffen. Die vorliegende Novelle mag für den einen oder anderen Bauherrn schon reichen, etwas mehr im Bestand zu bauen und zu entwickeln. Den großen Wurf, der den Neubau wieder starten lässt, hat man mit der Novelle nicht geschafft. Wir gehen daher davon aus, dass die Neubauzahlen nicht massiv ansteigen werden. Es wird eine kleine Belebung geben, mehr aber leider nicht.“

>> Artikel: „Wie kommen wir aus dem Schlamassel wieder raus?“

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Seite 14 bis 15
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